5 – 2015

Knappheit

«Knappheit» lautet der Titel von diesem Heft, das für einmal die Architektur in anderer Art und Aufmachung zeigt. Es geht uns darum, Knappheit nicht nur aus der Opferperspektive zu sehen, sondern als – besonders schwieriges – Handlungsfeld, in dem sich jedoch unerwartete Opportunitäten finden oder schaffen lassen. Im Kontext von Krise, Arbeits- und Perspektivlosigkeit nutzen in den Ländern des europäischen Südens junge Architekten Spielräume, indem sie sich zusammenschliessen und ihre professionelle Kompetenz ohne den Umweg über offizielle Projekte denen zur Verfügung stellen, die zwar kein Geld, aber Ideen haben, damit aus fast Nichts etwas Neues entsteht. In Grossbritannien, dessen öffentlichens Beschaffungswesen in der Austeritätspolitik praktisch zum Erliegen gekommen ist, ergreifen Architekturbüros die Initiative und lancieren zusammen mit Künstlern und Theaterschaffenden eigene Projekte. Trotz der Knappheit der Mittel ist bei allen vorgestellten Projekten eine urtümliche Energie zu spüren.

Araña (Spinne) ist ein rasch montierbarer Bautyp zur Besetzung freier Gelände.

Recetas Urbanas

Selbsthilfe zur Verbesserung der Stadt

Santiago Cirugenda

In Spanien ist die Krise nach dem Crash von 2008 noch längst nicht durchgestanden. In ihrem achten Jahr leistet das Architekturkollektiv Recetas Urbanas um Santiago Cirugeda in Sevilla wichtige Hilfs- und Aufbauarbeit: Dort wo der Staat versagt hat, schaffen urbane Guerilla-Aktionen selbstverwaltete, soziale Infrastrukturen und kulturellen Rückhalt. Dabei ist Architektur ein entscheidender Katalysator.

Originaltext Spanisch

Geldmangel als Anlass zu einer kreativen Idee: Der portugiesische Beitrag zur Architekturbiennale Venedig 2014 fand hauptsächlich
in einem leer stehenden Ladengeschoss in Porto statt, das LIKEarchitects mit einfachsten Mitteln zu einem Treffpunkt für Architekten und Anwohner umbauten.

Auswandern oder durchhalten?

Neue Ansätze und Netzwerke in Portugal

Anne Wermeille Mendonça

Wer in Portugal Architektur betreiben will, muss zwischen Emigration und dem Backen kleiner Brote wählen. Letzteres bietet die Chance, dem eigenen Beruf seine soziale Bedeutung zurückzugeben. Wir stellen drei Büros vor, die dieses Wagnis eingegangen sind und sich in verschiedenen Netzwerken organisieren. Bei der Legalisierung von Selbstbausiedlungen, der Renovation von Altstadthäusern oder der öffentlich gemachten Praxis profitieren zu gleichen Teilen Architekten, Architektur und Gemeinschaft.

Originaltext Französisch

Im zurzeit grössten besetzten Areal in Zürich belegen offene Lagerschuppen den grössten Teil der Fläche. Um sie bewohnbar zu machen, haben die Besetzerinnen und Besetzer Wohn- und Arbeitsräume in die offene Holzkonstruktion eingebaut.

Jenseits von Marktzwängen

Leben in besetzten Häusern

Thomas Stahel, Pierre Kellenberger (Bilder)

Hausbesetzungen sorgen gelegentlich für Schlagzeilen, doch abseits der Medienaufmerksamkeit wird dort ein ebenso kreativer wie pragmatischer Alltag gelebt. Hausbesetzer ziehen von einer abgewirtschafteten Liegenschaft zur nächsten und richten sich stets wieder aufs Neue ein. Dabei stehen soziales Engagement, politische Agitation sowie ein Leben im Hier und Jetzt zuvorderst – im Gegensatz zu Lohnarbeit, Konsum und Sicherheit. In der fortwährenden Suche nach internem Konsens nimmt das Spontane seine Form an.

Der Französische Meister-Denker Roland Barthes, seinem eigenen Rhythmus folgend beim Schreiben in der Kammer. Draussen dann die eigene Lust am Leben und eine Erotik des Zartgefühls, jenseits heterosexueller Paarbeziehungen und homosexueller Eskapaden.

Lob der Idiotie

Roland Barthes' Vorlesung über den «Idiorrhythmus»

Stefan Zweifel

«Comment vivre ensemble?» Diese Frage stellte sich vor vierzig Jahren der französische Philosoph Roland Barthes; seine Schlüsse scheinen aktueller denn je. In einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die das Prinzip des Optimums über alles stellt, ist Knappheit die alles bestimmende Grösse. Der Mangel stellt das Verhältnis von Individuum und Kollektiv mit Dringlichkeit zur Disposition.

Folly for a Flyover von Assemble wurde aus rezyklierten Materialien am Rand des Olympic Park errichtet. In den neun Wochen seiner Existenz 2011 zog das Projekt 40 000 Besucher an. Tagsüber diente es als Café und für Workshops, Veranstaltungen und Bootsfahrten; abends gab es Filmvorführungen.

Simple Things

Alternative Baukultur in Grossbritannien

Rosamund Diamond

Direkte, unverblümte Aktionen im Stadtraum, handwerkliches Können und neue Kooperationsmodelle: Eine jüngere Generation britischer Architekten testet inmitten einer tiefen ökonomischen Krise ein weites Spektrum von Architektur. In den Arbeiten von Assemble, Studio Weave und Architecture00 verbinden sich kulturelle Avantgarde, Selbstbau und Display-Architektur.

Originaltext Englisch

Der Biedermeierbau kragt in die Währingerstrasse in Wien: Sichtbarkeit für das soziale Wohnprojekt VinziRast von Gaupenraup Architekten und seine öffentlichen Nutzungen, wie Saal und Restaurant.

Zurück in einen Alltag

VinziRast mittendrin in Wien von Gaupenraub Architekten

Markus Bogensberger

Mitten im Herzen Wiens haben Gaupenraub Architekten eine unkonventionelle Wohnform entworfen, zusammen mit Studierenden und Obdachlosen. Zu grossen Teilen im Eigenbau renoviert und aufgestockt wurde ein Wohnhaus, das nun soziale Gegensätze zusammenbringt und den von der Gesellschaft Ausgegrenzten einen Platz in ihrer Mitte schafft: Mit Wohnungen, Werkstätten, einer Gaststätte und einem frei zugänglichen Veranstaltungsraum unter dem Dach.

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Wettbewerb

Francesco Della Casa über den selektiven Studienauftrag RTS Campus in Lausanne

Originaltext Französisch

Recht

Schweizerische Baurechtstagung in Fribourg 2015

Markt

Zweitwohnungsinitiative oder strukturelle Veränderungsprozesse?

Bücher

Roland Züger über das neue Buch der Wüstenrot Stiftung «Herausforderung Erdgeschoss»

Ausstellungen

Alexander Brodsky im Berliner Museum für Architekturzeichnung

Nachruf

Frei Otto, 1925 – 2015

Nach dreissig Jahren ist das Doppelwohnhaus von Peter C. Jakob von einem Pflanzenvorhang umrankt, so wie es von Anfang an vorgesehen war.

Erstling: Bescheidenheit als Zierde

Doppelwohnhaus von Peter C. Jakob in Mühlethurnen

Martin Klopfenstein (Text und Bilder)

Das Doppelwohnhaus von Peter C. Jakob in Mühlethurnen besticht durch den systematischen& Aufbau seiner Holzstruktur und durch die aus heutiger Sicht bescheidenen Mittel. Es liegt wohl gerade an dieser komplexen Einfachheit, dass das Haus in Würde reifen konnte und noch heute so aktuell ist wie vor dreissig Jahren.

Luzern

Outside, looking in

Reflexionen eines englischen Architekten in Europa

Jonathan Sergison (Text und Bilder)

Arbeiten in London und Zürich, Bauen in ganz Europa – und Lehren in Mendrisio: Der Mitgründer von Sergison Bates architects entwirft eine Perspektive europäischer Architektur, in der Eigenes und Globales eine fruchtbare Verbindung finden.

Originaltext Englisch

Der Ring des Memorials schwingt sich über die Hangkante hinaus ins Freie. Die Namen von 580 000 Toten aller Kriegsparteien erinnern an die Opfer des Ersten Weltkriegs.

Abstrakter Pathos

Memorial Notre Dame de Lorette von Philippe Prost

Susanne Stacher, Aitor Ortiz (Bilder)

Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs zwischen Arras und Lens schuf der französische Architekt Philippe Prost ein gemeinsames Mahnmal für alle Opfer des Kriegs: In die Wände einer schwebenden Ellipse sind alphabetisch die Namen von 580 000 gefallenen Soldaten eingraviert.

Die Treppen dienen nur der Flucht im Brandfall. Die Haupterschliessung erfolgt über einen internen Treppenlift. Terrassenhäuser Brühlberg Süd 1 in Winterthur.

werk-material 01.04 / 652

These und Antithese

Rahel Hartmann Schweizer, Dominique Marc Wehrli (Bilder)

Terrassenhäuser Brühlberg Süd 1 Winterthur von Park Architekten, Zürich

Terrassen und Baukörper fügen sich in den Hang ein, dereinst wird die Architektur mit dem Terrain verwachsen. Terrassenhaus Schindellegi.

werk-material 01.04 / 653

These und Antithese

Rahel Hartmann Schweizer, Jürg P. Hauenstein (Bilder)

Terrassenhaus Schindellegi von Hans Diener, Fällanden und Jürg P. Hauenstein, Zürich

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