3 – 2016

Antwerpen

Renaissance einer Metropole

Zwischen unserer Recherchereise Ende September 2015 und der Drucklegung dieses Hefts lagen Ereignisse, die Europa verändert haben: Die Anschläge vom 13. November in Paris und die anschwellenden Flüchtlingsströme. Jüngst ist also die europäische Stadt in den Blick geraten: Das Zentrum von Paris, die Einwandererquartiere im Brüsseler Molenbeek – oder das Antwerpener Borgerhout. Die aktuellen Völkerwanderungen bestärken uns im Eintreten für eine durchmischte Stadt, die Paola Viganò und Bernardo Secchi, in ihren Vorschlägen zur Entwicklung von Antwerpen auch «poröse Stadt» genannt haben. Der mit diesem Begriff verbundene Aspekt der grundsätzlichen Offenheit und Durchlüssigkeit einer Stadtstruktur hat heute an Brisanz gewonnen. Stadtentwicklung und Architektur leisten einen zentralen Beitrag zu einer sozialen Mischung der Bevölkerung als Basis für ein friedliches Miteinander. Der Antwerpener Ansatz zur Akupunktur in den dichtesten Stadtgebieten – dem labyrinthischen Borgerhout im östlichen Teil der Kernstadt – oder dem Nachverdichten zwischen windigen Hochhausscheiben am linken Scheldeufer sind ein Schlüssel für eine Stabilisierung der sozialen Verhältnisse der Stadt und ihrer Kultur. Mit unvergleichlicher Unbefangenheit hat die flämische Architekturszene die Bedingungen des Bauens akzeptiert und in fruchtbare Konzepte gegossen.

Antwerpen: Die Schnittstelle zwischen Stadtkern und Hafen im Norden bildet das Wasserbecken von Willem- und Bonapartedok (1811 / 12). Aus dessen Wasser schraubt sich das Museum aan de Stroom (2010 Neutelings Riedijk). Von seinem Dach zeigt sich das Panorama des Stadtumbaus: Block für Block Wohnbauten statt Lagerschuppen auf dem Eilandje. Ein Fingerzeig ist die Turmreihe am Wasser (Turmensemble Diener & Diener, Gigon-Guyer u.a., seit 2009).

Keine Angst vor der Zukunft

Stadtumbau mit politischer Courage und strategischen Plänen

Paola Viganò im Gespräch mit Caspar Schärer und Roland Züger

Die italienische Architektin und Städteplanerin hat zusammen mit Bernardo Secchi zwischen 2003 und 2006 den Strukturplan ausgearbeitet, nach dessen Vorgabe sich die Stadt Antwerpen entwickeln soll. Bei ihrer Arbeit stiess sie auf fundamentale Bereitschaft für Neues und den nötigen politischen Willen für Veränderungen. Bei der Konzeption des Plans standen Offenheit und das tolerante Zusammenleben der Menschen im Mittelpunkt.

Der Krugerpark in Antwerpen, seit den 1980er Jahren der wichtigste Freiraum in Borgerhout.

Unterwegs zu einer neuen Form

Erneuerung im Stadtteil Borgerhout

Oswald Devisch, Dries Luyten (Bilder)

In Borgerhout, einem von Armut gekennzeichneten Quartier, hat die AG Vespa, ein städtisches Unternehmen für Liegenschaften- und Stadtentwicklung, einzelne Parzellen gekauft, mit innovativen Architekten entwickelt und an urbane Pioniere wieder verkauft. Wohnnutzung wurde hier als städtebauliche Akupunktur betrieben. Gentrifizierung einmal anders.

Originaltext Niederländisch

Militär-Hospital in Antwerpen: Eine schmale Wohngasse vermittelt zwischen Reihenhäusern von Stéphane Beel und Lieven Achtergael (rechts) und dem höheren Wohnblock an der Nord-Süd-Achse von 360 Architecten (links) sowie dem helleren Torbau am nördlichen Eingang des Areals von Collectief Noord (Hintergrund).

Backstein im Grünen

Nach einem Masterplan von Stéphane Beel und Lieven Achtergael verwandeln fünf Büros das Militär-Hospital in ein grünes Wohnquartier.

Schule Alberreke in Klein-Antwerpen von Collectief Noord: Von der Strasse her leitet eine helle Backsteinwand in die Tiefe des Hofs. Auf ihr balanciert die Rückfassade des Torbaus. Eine frei stehende Treppe erschliesst die über dem Durchgang liegenden Klassenräume.

Zeigen und collagieren

Schule Alberreke in Klein-Antwerpen von Collectief Noord Architekten

Mehrfamilienhaus in Borgerhout/Antwerpen: Das Eckhaus mit vier Etagenwohnungen schliesst einen Bestandsblock in spitzem Winkel und schafft ein Gesicht für den kleinen Platz davor.

Zum Fliegen bringen

Mehrfamilienhaus in Borgerhout von Dierendonckblancke architecten

Pavillon des Museums Middelheim von Robbrecht en Daem: Grosse, in das rechteckige Volumen eingeschnittene Öffnungen und ausladende Rampen verweben die «Urhütte» Het Huis mit dem Wegenetz des Skulpturenparcours.

Vertrackt und doch sachlich

Pavillon des Museums Middelheim von Robbrecht en Daem architecten

Kleinkinderschule in Merksem von 51N4E: Dunkle Ruhe- und helle Gruppenräume wechseln sich im Rund des Kinderhauses ab.

Karussell

Kleinkinderschule in Merksem von 51N4E

Durch die transluzenten Fassaden der Turnhallen Kiel in Antwerpen von UR architecten dringt das Licht nach aussen und lässt den Sportkomplex ganz direkt als wichtigen öffentlichen Ort erscheinen.

Licht an in Suburbia

Labo XX und die Verstädterung der Vorstadt

Michiel Dehaene

Die Peripherie ist die aktuell grösste Pendenz der Antwerpener Stadtplanung. Ausserhalb des Umfahrungsrings, des «Gürtels des 20. Jahrhunderts» geht es darum, im Sprawl das anhaltende Wachstum der Stadt als einen Hebel der Verbesserung zu nutzen. Verdichten ist ein probates Mittel, um gemäss der Studie Labo XX städtebauliche Themen wie Verkehr und Infrastruktur mit anstehenden Projekten zu verknüpfen.

Originaltext Niederländisch

Hier arbeiten Menschen: Das Feuerwehrgebäude von Bovenbouw im Niemandsland des Antwerpener Hafens auf einer Restfläche zwischen riesigen Lagerhallen, Eisenbahnlinien und Schnellstrassen.

Lange Docks und ein Kleinod

Die Geschichte des Antwerpener Hafens und sein Feuerwehrgebäude von Bovenbouw

Caspar Schärer und Roland Züger, Filip Dujardin (Bilder)

Zwischen riesigen Lagerhallen steht wie eine Laterne ein kleines Häuschen für die Hafen-Feuerwehr. In den riesigen, weitgehend automatisierten Industriekomplexen ist der Mensch nur mehr Wächter für den Notfall: Der einstmals für den Hafen entscheidende Bezug zur Stadt ist zum abstrakten Symbol geworden.

Inmitten der Hochhausscheiben des Europarks wirkt selbst das kräftige Volumen der neuen Alterswohnsiedlung klein.

Schafherde zwischen Riesen

Das «Linke Ufer» als städtebauliches Experimentierfeld

Axel Sowa, Filip Dujardin (Bilder)

Das dem Zentrum Antwerpens gegenüberliegende linke Ufer der Schelde wurde im 20. Jahrhundert mit Grossüberbauungen zur Projektionsfläche einer besseren Stadt. Der windigen Leere des mangelhaft umgesetzten modernistischen Stadtentwurfs begegnen nun Projekte der Architekten De Smet Vermeulen, De Vylder Vinck Taillieu und anderen, die mit klar umrissenen Stadträumen und öffentlichen Nutzungen den menschlichen Massstab einführen.

Architekturführer Antwerpen: 40 Adressen für den nächsten Besuch an der Schelde.

Bautenplan Antwerpen

40 Adressen für den nächsten Besuch an der Schelde

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Debatte

Der Ruf der modernen Architektur sei beschädigt, wird kolportiert. Der Architekt Jürg Graser widerspricht vehement und fordert eine Abkehr vom Denken in historischen Referenzen.

Wettbewerb

In elf Jahren soll in der Ostschweiz die nächste Landesausstellung Expo 2027 stattfinden. Ruedi Weidmann stellt den 2014–15 durchgeführten Konzeptwettbewerb vor.

Recht

Liegt ein Schaden an einem eben erstellten Bauwerk vor, so lohnt es sich, diesen vor der Behebung zu dokumentieren. Was dabei beachtet werden muss, regelt die Zivilprozessordnung.

Bücher

Martin Tschanz hat jüngst seine Dissertation über Die Bauschule am Zürcher Technikum, die Vorläuferin der heutigen Architekturabteilung an der ETH, publiziert. Dieter Schnell würdigt die Buchfassung.

Architektur ist … Reisen

Kolumne: Architektur ist … Reisen

Daniel Klos, Johanna Benz (Illustration)

Architektur ist auch ein Vorwand, um in der Welt herumzukommen, natürlich. Aber Architektur ist selbst eine Form des Reisens: Der steten Neugierde und Getriebenheit, der Welt-Erkenntnis. Wenn Reisen und Architektur ein Leben ausmachen, dann ist Architektur ...

Aus der Bibliothek am Wasser bietet sich ein Ausblick auf den Hafen von Bodø. DRDH architects aus London.

Gemeinschaft stiften

Bibliothek und Konzerthaus in Bodø von DRDH architects aus London

Roland Züger, David Grandorge (Bilder)

Die Londoner Architekten DRDH haben im norwegischen Bodø einen neuen Stadtkern geschaffen: Ein Konzerthaus und eine Bibliothek bilden der Fussgängerzone eine einladende Front.

Im Schutz des mächtigen Dachs kragt das Restaurant des Chäserruggs über der bewegten Topografie des Berges aus. Architektur: Herzog & de Meuron

Mit dem Berg, für den Berg

Gipfelgebäude Chäserrugg von Herzog & de Meuron

Martin Tschanz, Katalin Deér (Bilder)

Es ist der Bauherrschaft und den Architekten Herzog & de Meuron hoch anzurechnen, dass der Neubau den Chäserrugg in seiner Wahrnehmung stärkt.

Indem er die Hanglage nutzt, erscheint der Hallenbau am oberen Ende lediglich eingeschossig und nähert sich so dem Massstab
des benachbarten Schulhauses an. Architektur: pool Architekten

werk-material 12.01 / 668

Alles ganz einfach

Clea Gross, Georg Aerni (Bilder)

Mehrzweckhalle in Wetzikon von pool Architekten, Zürich

Eine Galerie als Eingangsfoyer gibt der Doppelturnhalle in Auw einen festlichen Zugang. Architektur: GXM Architekten

werk-material 12.01/ 669

Zwischen Dorf und Landschaft

Boris Buzek, Christian Schwager (Bilder)

Doppelturnhalle in Auw von GXM Architekten, Zürich

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