Plädoyer für bessere Wettbewerbe

Im aktuellen Heft 1/2-2016 berichtet Tanja Reimer von den 9. Architekturgesprächen in Einsiedeln. Zwei prominent dotierte Gesprächsrunden diskutierten Mitte November 2015 in der Bibliothek Oechslin gründlich und grundsätzlich über den Wettbewerb. Trotz tiefem Respekt gegenüber dem Wettbewerb als Grundpfeiler der Schweizer Baukultur wurde allgemein eine Unzufriedenheit geäussert – ein Unbehagen gegenüber einer oft farblosen Palette an Wettbewerbsresultaten. Die Überfrachtung der Programme und die «Versicherungsmentalität» der Auslober war schon zuvor bekannt und wurde nochmals deutlich angeprangert. Im Anschluss an die Diskussion verfassten die Beteiligten einen Aufruf von Einsiedeln, dessen Redaktion bis zur Drucklegung des Heftes noch nicht abgeschlossen war.

Wir publizieren nun den Aufruf von Einsiedeln im Wortlaut. Er ist eine Einladung zur kontroversen Debatte – möglichst breit und unter Einbezug von Praxis und Theorie. – cs

Aufruf von Einsiedeln vom 14. November 2015

Der Wettbewerb ist eine der wichtigsten Errungenschaften und Grundlagen der Schweizer Baukultur. Er dient der Hervorbringung und Stärkung architektonischer Qualität sowie der Förderung des Nachwuchs. Seine Auslobung ist Ausdruck einer öffentlichen, nachvollziehbaren Entscheidungsfindung. Um dem zunehmenden Missbrauch des Wettbewerbs als Legitimationsinstrument für partikulare Interessen oder zur Erarbeitung von unangemessenen Bearbeitungsstufen entgegenzusteuern fordern wir:

1. Alle Architekturwettbewerbe sind Ideenwettbewerbe. Das Verfahren dient der Ideenfindung.

2. Eine architektonische Fragestellung steht am Beginn des Wettbewerbs. Der architektonische Entwurf ist sein Ziel.

3. Wettbewerbe fördern die Erkenntnis und dienen nicht der Bestätigung geltender Dogmen. Der Wettbewerb kennt keine festgelegten Kriterien, sondern dient der Erarbeitung von Kriterien.

4. Programme sind Teil des Wettbewerbes. Sie müssen angemessen sein und sind ausnahmslos der genauen Überprüfung durch die Fachjury zu unterziehen.

5. Wettbewerbsaufgaben müssen stufengerecht der qualifizierten Ideenfindung dienen. Entsprechend dürfen die Aufgaben nicht mit einem Anforderungsprofil versehen werden, das vernünftigerweise einem nachfolgenden Arbeitsschritt vorbehalten ist.

6. Experten dienen der Nachprüfung, nicht der Vorprüfung. Die technische Expertenprüfung darf die qualifizierte architektonische Meinungsbildung der Jury nicht im Voraus beeinflussen.

7. Anonymität darf nur dort gelten, wo sie eingehalten werden kann.

8. Es gilt zu verhindern, dass Wettbewerbsverfahren nur noch Teilnehmern mit Erfahrung in der entsprechenden Baugattung zugänglich sind. Diese ist kein Garant für architektonische Qualität.

9. Für die Erstellung qualitätsvoller Juryberichte ist im Verfahren genügend Zeit einzuräumen.

10. Intellektuelle Arbeit ist angemessen zu honorieren, die Entschädigungen und Preisgelder haben dem Arbeitsaufwand und der Komplexität der Aufgabenstellung zu entsprechen.

Hubertus Adam, François Charbonnet, Kersten Geers, Harry Gugger, Christian Kerez, Marcel Meili, Elli Mosayebi, Werner Oechslin, Caspar Schärer, Laurent Stalder, Astrid Staufer, Peter Swinnen

© Bernd Kulawik
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