Der Freiraum als Bühne

Wohnensemble Moos in Cham von Loeliger Strub mit Schmid Landschaftsarchitekten

Roland Züger, Roland Bernath (Bilder)

So etwas ist rar in der Schweizer Agglomeration: eine Wohnsiedlung mit grosszügigem Freiraum in ihrer Mitte. Zwei Holzbauten mit breit vorgelagerter Veranda sind Bühne für die Erholung im eigenen Aussenbereich.

Steht man in der kleinen Küche, wähnt man sich auf der Brücke eines grösseren Kahns. Wie ein Erker ist dieser Raum aus dem Grundriss geschoben – so weit, dass gerade noch ein Eckfenster den Blick freispielt auf den eigenen Sitzplatz, die Veranda der Nachbarn und den grünen Freiraum im Hintergrund. Die Leichtigkeit der Atmosphäre auf den Holzveranden und die Heiterkeit der Farben lassen Ferienstimmung aufkommen.

Die Verandaschicht am nördlichen Baukörper setzt sich in Form eines Laubengangs im südlichen Gebäudewinkel fort. Die Fassaden der beiden Gebäudetypen sind jedoch gleich. Als Rahmen des Freiraums bieten sie eine Arena für die Schauspiele der Nachbarschaft. Dessen Weite von fast 100 Metern ist von selten gesehener Grosszügigkeit. Wie sehr Barbara Strub und Marc Loeliger diese Klammer des Freiraums am Herzen lag, zeigt die durchgehende Trauflinie, welche die neuen Häuser fasst – selbst an Stellen, an denen Dachgärten statt Wohnfläche entstanden. Die Linie zeichnet die grosse Figur für eine kollektive Mitte, die sich zur Landschaft abgrenzt. Loeliger Strub vergleichen sie mit den Crescents im englischen Bath, wenn auch ohne Krümmung, die ihnen im Wettbewerb als Referenz dienten. Konsequent weisen die unterschiedlichen Hausseiten auch andere Fassaden auf: Den horizontalen Veranden im Hof steht die vertikale Gliederung der Aussenseite gegenüber. Doch ihr fehlt die Mischung aus strenger Repetition und freiem Spiel der Elemente sowie die Plastizität, wie sie auf der Hofseite gelungen ist. Selbst die Architekten sind damit nicht restlos zufrieden. Gleichwohl fasst sie den Siedlungsrand von Cham. Keine Fransen des üblichen Einfamilienhausteppichs, sondern eine klare Kante ziert den Übergang zur Streuobstwiese.

Der Freiraum verbindet die Teilgebiete

Bereits im Studienauftrag, den Loeliger Strub 2012 gewannen, war ein öffentlich genutzter Freiraum gefordert. Solcher ist im alten Quartierbestand nur spärlich vorhanden. Zusammen mit Schmid Landschaftsarchitekten haben ihm Loeliger Strub zu einer starken Form verholfen. Zusammen mit der massiv gebauten Zeile der Hofhäuser im Westen – der zweiten Etappe – gliedern die beiden jüngst realisierten Holzbauten – die dritte Etappe – den Freiraum in drei unterschiedliche Zonen. Aus dem hohen Pfeifengras hat der Landschaftsarchitekt André Schmid in jedem dieser Räume ein Karree ausgeschnitten und einer Nutzung zugeschrieben: Im Norden findet sich der Spielplatz mit Holzgeräten, im Osten das grüne Rasenspielfeld und im Westen ein eher wilder Naturgarten mit grossen Steinen. Unterstrichen werden die drei Richtungen von jeweils einer Reihe Vogelbeerbäume.

Ein gefalteter vieleckiger Pavillon fungiert als räumlicher Drehpunkt. Am nördlichen Abschluss der Anlage markiert ein Platz mit fünf im Kreis gepflanzten Linden eine Anhöhe mit Weitblick und schafft die Verbindung zur alten bäuerlichen Hofstatt mit ihren Nebengebäuden. Auch dieses Gebiet gehört zum Planungsauftrag – als erste Etappe. Auf dem Bauernhof ist die Mutter der Eigentümerfamilie aufgewachsen.

Es ist eine Binsenweisheit, dass gute Architektur nur durch gute Auftraggeber entsteht. Und wie bei jeder seltenen Spezies freut man sich, einmal eines dieser besonderen Exemplare vor sich zu haben. Die erste Parzelle ihrer ehemaligen Landwirtschaftsflächen wurde 2000 an ein Generalunternehmen verkauft und von diesem mit Doppelhäusern überbaut. Das Resultat überzeugte nicht. So reifte der Entschluss, auf dem restlichen Bauland ein Familienprojekt – ohne GU – zu realisieren. Ein halbes Dutzend Büros wurde um einen Entwurf gebeten: Geschosswohnungen waren im Studienauftrag gefragt.

Mit dem Ersatzneubau für das Bauernhaus begann 2016 die Realisierung der drei Etappen. Dabei haben Loeliger Strub drei Wohnungen unter einem steilen und weiten Dach eingeschoben. Der Bau aus Holz, voller Themen aus der bäuerlichen Architektur, hat den Grundstein gelegt, auf dem die beiden Holzhäuser der letzten Etappe aufbauen. Dort trifft man viele Motive wieder: Den dreischichtigen Grundriss, die sichtbare Konstruktion, das Auffächern der Fassade zu Flugdächern, das Motiv der Veranda oder die Küchenerker.

Beigetragen zum Verständnis für das ländliche Bauen hat bestimmt auch das «Haus zur Stiege» in Bürglen, das Loeliger Strub (vgl. wbw 3 – 2004) mit einem einprägsam gestrickten Holzkleid versahen. Doch bäuerlich muten die nun realisierten Wohnhäuser nicht an, im Gegenteil. Mit dem Projekt von Loeliger Strub wuchs die Identifikation und das Vertrauen der Bauauftraggeber. Der lange Planungs- und Bauprozess über drei Etappen war der Humus des Wachstums.

Der hybride Holzbau ist bereits Konvention

Viele architektonische Themen konkretisierten sich erst während des Bauprozesses. Ein Umstand, den Loeliger Strub auskosteten bis zum Letzten. «Deswegen versuchen wir eine GU-Konstellation, bei der alles vorher fix festgelegt werden muss, zu vermeiden», meint Marc Loeliger. Sie schwören auf den Prozess. Ein dafür offener Bauauftrageber ist freilich die Voraussetzung.

So fiel die Wahl auf den Holzbau im Verlauf der Projektentwicklung, als absehbar war, dass die Kosten nicht in den Himmel steigen würden. Konkret bot ein hybrides Konstruktionssystem die kostengünstigste Lösung im Zielkonflikt von Ökologie, Brand- und Schallschutz. Die Fassaden sind als Ständerbau konstruiert, die Etagen mit Holz-Beton-Verbunddecken. Loeliger Strub leiten im Inneren den Ausdruck aus der Konstruktion ab. So verweist der Anhydritbelag auf den Beton unter der Trittschalldämmung. Die vorgeblendeten Fichtenbretter bilden Wandfriese und spielen auf das konstruktive Detail im Hintergrund an, bei dem eine Schichtholzplatte die Lasten der Wand verteilt. Zusammen mit den hölzernen Türschwellen im gegossenen Boden zeichnen die Holzfriese die Kammerung der Räume nach.

Die abgehängten Decken in den Mittelzonen des tiefen Grundrisses waren einst für eine kontrollierte Lüftung geplant. Sie blieben zur Grundrissgliederung erhalten, auch als die Lüftung selber weggespart wurde. Die Nische dient als Homeoffice, Bücherregal oder Schlafstätte mit Alkovenbett. Vorhänge sorgen bei Bedarf für Intimität. Auch der Eingang führt in eine Nische in der Mittelzone, sie ist mit einer Garderobe ausgestattet. Zwei Türen lassen die Grundrisshierarchie der Räume offen.

Das fröhlich bunte Farbspiel

Auch von der mutigen Wahl der Farben konnten Loeliger Strub die Bauauftraggeber überzeugen. Selbst als sich Mietinteressierte an den starken Farben störten, gab es kein Veto. Schon früh tauchen sie bei Loeliger Strub im Entwurfsprozess auf. Bereits ihre Arbeitsmodelle sind bunt. Das Weinrot und das Tannengrün bei den Holzbauten waren früh gesetzt, bestätigen sie. Aber die Abstimmung der Töne und deren Zusammenklang ist das Wichtigste: So zeigen sie eine starke Präsenz in den kleinen, stark determinierten Räumen wie Bad oder Küche. Hier sind die Fenster rot, in den Zimmern jedoch zurückhaltend grau gestrichen.

Und wie bei der Form der städtebaulichen Setzung, so sind auch die Farben von Loeliger Strub Ausflüge in die Architektur- und Kulturgeschichte. So muten die schwarz gefassten Flächen beispielsweise japanisch an. «Wir denken Architektur nicht weiss», sagt Marc Loeliger. Und wenn Barbara Strub die Aufgaben der Farben beschreibt, purzeln die Verben: Rahmen, Trennen, Akzentuieren oder Tiefe verleihen. Beraten werden sie seit einigen Jahren von der Farbgestalterin Andrea Burkhard. Wenn der Rohbau steht, sind aber längst nicht alle Farben schon festgelegt. So entschied man sich für den Ton der Treppenhäuser erst, als das erste schon betoniert war. Wie die Holzdetails brauchen auch die Farbentscheidungen das Bauen als Prozess. So wird die Zeit zur Verbündeten der Architekturschaffenden.

Ist das Retroarchitektur?

Spricht man etwas länger mit dem Architektenduo, kristallisiert sich schnell «Anreichern» als Schlüsselbegriff heraus. In Cham sind es beispielsweise die Eingangspartien, denen so viel gestalterische Aufmerksamkeit zu Teil wurde, dass es an Manierismus grenzt. Ein gestalterisches Ausrufezeichen unterbricht die starke Horizontalität der Veranden zu Gunsten klar erkennbarer Eingänge. Eine Beton-Skulptur, die Sitzbank und Vordach trägt, mit dem Gestalter und Handwerker Luc Forster entwickelt, akzentuiert die Vertikale.

Neben der Fülle an Details sind es die zahlreichen Anspielungen an die Historie, die das Werk von Loeliger Strub ausmachen. Man spürt auf Schritt und Tritt die schwer zu bändigende Lust, sämtlichen Bauteilen eine besondere Gestalt zu verleihen. Ist ihre Architektur retro? «Es gibt bei uns keine Doktrin», betont Barbara Strub, «sondern nur Dinge, Referenzen aus Erinnerungen und Erfahrungen, die mal besser, mal weniger gut funktionieren.» Und Marc Loeliger ergänzt: «Wir nehmen alles, wenn es uns hilft, etwas Gutes aus einer Situation zu machen.» In Cham waren das die Gockhausener Bauten von Eduard Neuenschwander für die Hofhäuser, Carlo Mollinos Casa del Sole in Cervinia für die Veranden der Holzhäuser oder die bereits erwähnten Crescents von Bath für die städtebaulichen Überlegungen. Doch die Referenzen sind längst in den Hintergrund des nun realisierten Projekts getreten.

Den Vorwurf der Retroarchitektur kontern Loeliger Strub elegant mit dem Verweis auf die Vertrautheit in den Dingen, die vielen Menschen eine Hilfe sei. Back to the future ist denn auch ihr Motto: Aus Bewährtem wird Neues. Retro dagegen sei ein festgefahrenes Konzept, zur Ideologie erstarrt, erklären sie. Am Schluss sei das Resultat immer mehr als ein Bild.

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