Die Redaktionsmaschine

Neubau für die TAZ von E2A Architekten

Doris Kleilein

Beim Neubau für die erfolgreiche linke Tageszeitung TAZ setzten die Brüder Piet und Wim Eckert aus Zürich auf Flexibilität und konstruktivistische Anmutung.

An der Friedrichstrasse bauen! Seit Mies van der Rohes gläsernem Hochhausentwurf von 1921 gilt diese Adresse als Inbegriff des Grossstädtischen, prominenter geht es kaum in Berlin. Der jüngst bezogene Neubau der TAZ steht allerdings nicht am Bahnhof Friedrichstrasse, wo das Mies’sche Turmhaus geplant war, sondern einige Kilometer weiter südlich, jenseits des Checkpoint Charlie: dort, wo die Friedrichstrasse von den Sozialwohnungsbauten des nahen Mehringplatzes geprägt ist, Ende der 1960er Jahre vom Senatsbaudirektor Werner Düttmann errichtet und heute eines der ärmsten Quartiere der Berliner Innenstadt.

Bis zum Zweiten Weltkrieg war dieser Teil der Südlichen Friedrichstadt bekannt als Berliner Zeitungsviertel: Mehr als 500 Betriebe des graphischen Gewerbes, Druckereien und Verlage waren dort ansässig. Nach Kriegszerstörung und Mauerbau errichtete 1967 der Axel-Springer-Verlag sein Hochhaus direkt an der Grenze; nach dem Mauerfall zog die TAZ als politisches und publizistisches Alternativprojekt in einen denkmalgeschützen Altbau der Nachbarschaft, der 1992 vom Berliner Architekten Gerhard Spangenberg erweitert wurde.

Bewegung ins Viertel

In den letzten Jahren ist erneut Bewegung in das Viertel gekommen: Der Springer-Konzern erweitert sein Hochhaus um einen spektakulären Neubau von Rem Koolhaas, und einen Steinwurf davon entfernt entsteht das «Kunst- und Kreativquartier südliche Friedrichstadt», ein Vorzeigeprojekt der sozialverträglichen Stadtentwicklung mit Bürgerbeteiligung und Baugruppen rund um die Halle des ehemaligen Blumengrossmarkts gegenüber dem Jüdischen Museum. Auch die TAZ entschloss sich neu zu bauen: Der Platz in den beiden Häusern an der Rudi-Dutschke-Strasse reichte längst nicht mehr aus, und mit der Digitalisierung kamen neue Bereiche wie der Shop und die Webseite hinzu, für deren Betrieb bereits weitere Flächen angemietet werden mussten.

Das neue Haus für die TAZ steht am nördlichen Eingang des Kreativquartiers, flankiert vom baumbestandenen Besselpark, gehört aber streng genommen gar nicht dazu: Während die Grundstücke für die benachbarten Neubauten im Konzeptverfahren vergeben wurden, konnte die TAZ 2013 das Grundstück direkt vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zum Verkehrswert erwerben. In der Folgezeit hat das Medienhaus eine beachtliche Performance hinsichtlich Finanzierung, Planung, Bau und medialer Begleitung hingelegt und die zum Teil langwierigen Bauvorhaben des Kreativquartiers links überholt: Zwischen Grundstückskauf und Umzug in den Neubau Ende 2018 liegen gerade einmal fünf Jahre. Finanziert wurden die 23 Millionen für Grundstück und Gebäude aus dem Eigenkapital der TAZ-Genossenschaft, aus Mitteln der Wirtschaftsförderung des Bundes, einem Bankkredit sowie stillen Beteiligungen vieler Genossinnen.

Den Architekturwettbewerb auf Einladung gewann das Zürcher Büro E2A von Piet und Wim Eckert. Die Schweizer Brüder sind Berlinern bereits durch den mondänen Neubau der Heinrich-Böll-Stiftung von 2008 ein Begriff, mit dem sie es geschafft haben, der den Grünen nahe stehenden Stiftung ein zeitgenössisches architektonisches Image zu verschaffen.

Medien-Werkstatt

Welche Architektur passt nun aber zur TAZ, einst ein Szeneblatt der westdeutschen linken Gegenöffentlichkeit, heute ein Medienunternehmen mit 250 Mitarbeitern, eigener Genossenschaft, Stiftung, Café und Shop? Ein Berliner «Gewerbebetrieb», wie Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch betont, dessen Tageszeitung bald nur noch digital erscheinen soll? Während der Goliath des Springer-Konzerns für seine 5 500 Mitarbeiter einen Neubau mit einem 45 Meter hohen Atrium inklusive Newsroom und Fernsehstudios baut, das sich wie ein grosses Maul zum Stadtraum öffnet, hat sich ausgerechnet die TAZ für eine eher konventionelle Struktur entschieden: klassische Grossraumbüros auf allen Etagen, im Erdgeschoss eine flexible Zone aus Café, Kantine und Veranstaltungsräumen, obenauf ein weiterer Veranstaltungsraum, Dachterrassen und die Haustechnik.

Die Organisationsstruktur ist das Ergebnis kontroverser Redaktionsworkshops zur Frage, wie man in Zukunft arbeiten wolle; die Vorstellungen reichten vom Grossraumbüro bis zur Dichterkammer. Aber nachdem die Deadline gesetzt war, zeigte die Redaktion Entschlussfreudigkeit: ungeteilt sollten die Flächen sein, nur einige wenige Einzelbüros für ruhiges Arbeiten sollte es geben. Man wünschte sich zudem keine Bürolandschaft, keinen Newsroom, sondern eine Werkstatt, einfach und roh, flexibel genug für die Inbesitznahme durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Und das hat die Redaktion auch bekommen: Die Grundrisse sind stützenfrei, gegliedert lediglich durch die Treppenanlage im Zentrum des kompakten Hauses, den daran angrenzenden Hof und einen Rücksprung über dem Eingang an der Friedrichstrasse. Im Wettbewerbsentwurf von E2A lag das Treppenhaus noch weithin sichtbar und verglast an der Friedrichstrasse, wie ein über alle Geschosse reichendes Schaufenster, das Passanten Einblicke in das Redaktionsgeschehen bietet. Im Zug der Überarbeitung wanderte es von der Strasse ins Zentrum des Hauses. Die Verlagerung nach hinten macht das Medienhaus introvertierter. Der Hof ist dadurch weniger grosszügig geraten, als es der Wettbewerbsentwurf versprochen hat – er wird jetzt umschlossen von der barock anmutenden vierläufigen Haupttreppe und der parallel dazu angeordneten Fluchttreppe im Freien.

Häkeldecke als Billboard

Stahl, Glas, Sichtbeton, Neonlicht und farbiger Noppenboden bestimmen die Atmosphäre der Innenräume. Seit der Eröffnung «hat sich eine Schicht TAZ über das Gebäude gelegt», so Karl-Heinz Ruch. Damit meint er nicht nur die überlebensgrosse Faultier-Applikation auf der Sichtbetonwand in der Redaktionsküche, sondern auch das langsam anwachsende Chaos aus Papierstapeln, Postern und Büropflanzen. Man könnte auch den roten Teppich dazuzählen, mit dem die Treppen belegt sind, und die von der Redaktion ausgewählten, eher nach 1980er Jahre aussehenden Büromöbel einer Firma aus dem Berliner Umland. Die Architekten bleiben gelassen: «Etwas Durchgestyltes hätte nicht zur TAZ gepasst», so Piet Eckert.

In allen Räumen präsent sind die mächtigen V-Stützen des vorgespannten Tragwerks aus Stahlbeton: Diese entfalten ihre skulpturale Wirkung vor allem dort, wo die Raumhöhe grosszügig ist, im Veranstaltungssaal unter dem Dach und im doppelgeschossigen, von allen Seiten einsehbaren Konferenzraum. Auf den Büroflächen garantieren die Betondiagonalen im Verbund mit den vorgespannten Decken Stützenfreiheit im Inneren, bilden aber zugleich eine schwer nutzbare Zone direkt an der Glasfassade.

Nicht nur beim Tragwerk, sondern auch bei der Fassade setzen die Architekten auf die Diagonale, oder, wie sie es nennen, das Netz: Das vor die Glashaut gestellte Stahlgerüst – von den «Tazlern» liebevoll als «Häkeldecke» tituliert – prägt mit seinen Rauten aus verzinktem Stahl die Aussenwirkung des Gebäudes und verschafft als umlaufender Balkon den Büroräumen wieder etwas Weite. Es passt zu dem Werkstattimage, das sich die Redaktion gewünscht hat: nicht repräsentativ, sondern eher ein Ort für die Rauchpause oder um das Fahrrad abzustellen, ein Pflanzenregal, ein Billboard für Transparente, an das politische Botschaften oder Veranstaltungshinweise geknotet werden können. Das mit Präzision entworfene und gebaute Stahlgerüst lässt das Redaktionsgebäude wie einen Industriebau aussehen, eine wohltuende Abwechslung inmitten der Berliner Lochfassaden.

Die Wettbewerbsjury erkannte in der Formensprache gar «Bezüge zum Konstruktivismus über den russischen Radioturm bis hin zum ‹spacigen› Berghainclub». Wie die Jury für ihr Protokoll auf den Berghain kam, entzieht sich der Kenntnis der hier Schreibenden, doch auch die Analogie zum Konstruktivismus geht nicht so richtig auf. Piet und Wim Eckert beziehen sich nur formal auf Wladimir Schuchows hyperbolischen Moskauer Radioturm von 1922. Die langen Diagonalen kommen beim TAZ-Neubau lediglich an der Nordfassade zur Geltung, wo das Gebäude wie ein Solitär ruhig und kraftvoll am Beusselpark steht. An der Fassade zur Friedrichstrasse hingegen verliert die Konstruktion: Die Diagonalen wickeln sich um den gebäudehohen Rücksprung über dem Eingang und verlieren mit der Wirkungsmacht der Repetition auch die Anmut einer gewagten Konstruktion.

Pragmatisch statt utopisch

Doch Bauherrin und Architekten sind sichtlich zufrieden mit Prozess und Ergebnis: Die Redaktion sitzt wieder unter einem Dach, hat ein robustes, flexibel bespielbares, alles andere als protziges Haus und ihren Standort dauerhaft gesichert. Sie hat sich angesichts weiter steigender Immobilienpreise ein finanzielles Fundament geschaffen – und durch eine transparente Informationspolitik sogar ihre Genossinnen und Genossen von der Investition überzeugt. Auch wenn man sich von der Bauherrenseite mehr Kommunikation mit der Stadt und mehr Mischung wünschte, so hat die TAZ alles richtig gemacht. Das gilt auch für die Architekten: Das Haus als Maschine war in den 1960er Jahren eine Utopie. Heute kommt diese Haltung weniger utopisch als pragmatisch daher: Die Redaktionsmaschine ist kompakt und funktioniert, hier wird nicht repräsentiert, sondern rund um die Uhr produziert. Das Gewagte beschränkt sich auf Zitate aus der Architekturgeschichte. Immerhin: Vielleicht sieht das Haus deswegen bereits kurz nach der Fertigstellung so aus, als stünde es schon länger an der Friedrichstrasse.

Doris Kleilein (1970) ist Architektin und Autorin, sie lebt in Berlin, wo sie nach dem Studium das Architekturbüro bromsky gründete, von 2005–2018 Redakteurin der Bauwelt war und heute den Jovis-Verlag leitet.

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