Zurück zum Handwerk

Was eine CNC-Holzfräse mit Romantik zu tun hat

Jenny Keller

In einem 200-Seelen-Dorf in der Westschweiz wird die Architektur nicht neu erfunden, doch die Arbeitsweise von La Porch unterscheidet sich in vielen Belangen von derjenigen einer älteren Architektengeneration. Man arbeitet kollaborativ, selbstbestimmt und mit einem grossen Faible für das Handwerk.

Wie das gestunken haben muss! Doch Visionen kennen keine olfaktorischen Grenzen, und so haben die neuen Besitzer den ehemaligen Schweinestall zwei Monate lang gereinigt. Nun steht in seinem hinteren Teil eine CNC-Holz-Fräse, die dreimal mehr kostete als die Immobilie. La Porch1 (la porcherie ist ein Schweinestall) ist das Atelier – das französische Wort leistet auch hier so viel mehr –, in dem die Architekten Stephane Grandgirard, Vincent Mermod und der Holzbauingenieur Rémy Meylan zusammenarbeiten.

Das Holz steht im Zentrum ihrer Arbeit, und mithilfe digitaler Fertigungsprozesse werden hier Objekte und Ausbauten aller Grössenordnungen erstellt. Andi Schrämli, Co-Geschäftsleiter der Zürcher Firma Stahl- und Traumfabrik fungiert als stiller Teilhaber. Man kann ihn vielleicht als Pate der guten Idee bezeichnen. Und bei grossen Projekten holt sich La Porch Hilfe bei Stahl und Traum. Sowieso scheinen «Influencer», diese Figuren einer älteren Generation, eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen für das neue Arbeits-Selbstverständnis der Architekturschaffenden plus / minus 35. Das Verhältnis ist nicht top-down, sondern es scheint ein Kontinuum darzustellen. Man profitiert gegenseitig voneinander – ohne es so zu nennen, denn schliesslich ist man befreundet.

La Porch hat ihren Standort in Bussy-sur-Moudon im Waadtland, einem landwirtschaftlich geprägten 200-Seelen-Dorf, das seit der Volkszählung 1850 nie wesentlich mehr Einwohner hatte als heute. Doch nun weht ein frischer Wind durch den Weiler, nicht weil der Schweinestall geputzt ist, sondern weil die drei Jungunternehmer, Kreativen, Netzwerker hier an einer neuen Art der Zusammenarbeit zimmern. Sie wohnen alle in Lausanne und kommen neben ihren Jobs am CNPA Lab der EPFL (Mermod), dem eigenen Architekturbüro APES architectes2 (Grandgirard) und dem Büro Whood x Mug3 (Meylan) gegen den Pendlerstrom raus aufs Land nach Bussy. Grandgirard war bereits an der Gründung von TEN massgeblich beteiligt, das kollaborative, multidisziplinäre Arbeiten ist in Bussy Realität geworden. Es entspricht der Arbeitsweise, wie sie Dieter Dietz (man lese «Influencer») vorlebt, für den alle bei La Porch gearbeitet haben, sei es als Assistentin oder Student am Entwurfsstudio ALICE der EPFL oder angestellt in seinem Büro. Es ist die Art und Weise, wie heute gearbeitet wird: autonom, in Gruppen und mit viel Freiheit. Dietz hat einen grossen Einfluss auf alle in der Gruppe. «Er ist jemand, der die Leute zusammenbringt und vernetzt.», sagt Mermod.

Vernetzt ist man nach Zürich4, Basel5 oder Champéry6, nach Athen7, Belgrad8, Berlin9 und Instanbul10. Aber das Holz, das La Porch verarbeitet, stammt aus heimischen Wäldern, auch wenn es 15 Prozent mehr kostet als ausländisches Rohmaterial. Pinterest und Instagram seien Schuld an der Entwicklung, dass des Ausdrucks wegen nicht lokale Materialien in der Architektur verwendet werden, sind sich die Jungs von La Porch einig. Man müsse diese verführerischen Bilder lesen und in einen internationalen Kontext stellen; Marmor sei in Portugal bei Atelier FALA11 angebracht, in der Schweiz jedoch nicht. Das Bild halte nicht als finales Entwurfsziel her. Vielmehr bestimmt das Lokale, Vorgefundene die Arbeitsweise von La Porch und ihrem Netzwerk. Ganz ohne die globalisierten Plattformen geht es dann aber doch nicht: Benjamin Le Roux12, aus dem erweiterten Kreis um Laurent Chassot13, den wir später kennenlernen werden, gibt als seine Home Base einen Instagram-Account an, vielleicht auch nur, weil der schneller erstellt ist als eine Website.

Lucas Uhlmann14, an der ECAL in Lausanne als Designer ausgebildet und in La Porchs engerem Netzwerk, erinnert sich an die Studio Mumbai-Ausstellung work-place im Archizoom 2011, die sein Interesse für Konstruktion und Details weckte. Er stellte sich danach Fragen nach dem «1:1» und dem Selberkonstruieren. Eine «volonté très constructive» habe er danach verspürt, die seine Arbeit bis heute massgeblich beeinflusst. Es folgt ein Loblied auf das Holz und das Handwerk. Holz ist lokal, ökologisch, haptisch und prozesshaft, es ist das sinnvollste Material für die Arbeit der Gruppe um La Porch. Erklären können die jungen Gestalter, was sie gut finden und weshalb. Und die eine oder andere Bauherrschaft hört zu.

Man versteht sich als Kontrapunkt beispielsweise zu den beiden Retorten-Einfamilienhäusern auf der anderen Strassenseite in Bussy: Architektur ohne Architekten, Architektur als Sinnbild einer ökonomischen Situation also. «In Zukunft will ich Techniken und Prozesse noch besser verstehen, um die Architektur wirklich zu beeinflussen», sagt Laurent Chassot. Die Familien, die vis-à-vis wohnen, können sich die Preise in Lausanne nicht leisten, wenn sie ein Haus dieser Grösse mit Umschwung haben wollen. Dass La Porch in Bussy steht, hat ähnliche Gründe: Mermod suchte lange nach einem Ort für das gemeinsame Atelier und stellte fest, dass in Lausanne die Mieten nicht mehr bezahlbar sind mit dem zur Verfügung stehenden Minibudget. Er fand dann die Annonce für den Schweinestall. Hier betreibt man slow slow Architecture, der Innenausbau ist noch nicht abgeschlossen, La Porch fungiert auch als Testgebäude im Massstab 1:1. Während zwei Jahren hat man am Innenausbau gearbeitet, experimentierte mit Materialien, gedämmt wurde mit einer ökologischen Hanf-Kalk-Isolation, und die Wendeltreppe, die das Obergeschoss erschliesst, steht als Mock-up für ein anderes Projekt da. – Und funktioniere nicht, sagt Mermod, wobei sein Kollege Meylan feststellt, das sei Jammern auf hohem Niveau: «Wir wollen immer das beste Detail finden.»

Nun ist bereits das zweite Gebäude in Bussy-sur-Moudon gekauft, eine ehemalige Druckererei. Im Sommer 2019 haben Grandgirard, Mermod und Chassot das Gebäude hinter dem ehemaligen Schweinestall erwerben können, wo sie einen kreativen Think-Tank einrichten wollen. Der erste Mieter arbeitet bereits in der leeren, kalten Halle an einer Kreissäge, neben einem Packen voller Papier unter einer grossen Schicht Sägemehl und Staub. Hat sich durch die gemeinsame Arbeitsbiographie auch ein gemeinsamer Stil entwickelt? Chassot verweist auf die Belgier, die Einfluss auf das gemeinsame Wirken der Gruppe haben, das könne man an den Umnutzungsplänen sehen für die alte Druckerei. Für den Umbau trägt er mit seinem Architekturbüro Studio 1715 und mit APES architectes die architektonische Verantwortung. Wenn Chassot von «den Belgiern» redet, dann meint er beispielsweise die Intelligenz der Herangehensweise von de Vylder Vinck Taillieu, den Umgang mit dem Bestand und den Zufälligkeiten. Auch in Japan16 – Dries Rodet aus Basel leitete den Kettenbrief dorthin weiter, teilt man diesen Entwurfsansatz: «In ihrer Arbeit steckt die Freude oder der Wunsch nach Architektur», schreibt Mio Tsuneyama von dort. De Vylder Vinck Taillieus Einstellung zur Architektur ist es, den Zufall zu akzeptieren mit Respekt für Form und Ästhetik». Uhlmann beschreibt es so: «Wenn der Arbeits- und Designprozess kohärent sind, kann man vielleicht von Stil reden.»

Lokal, vielfältig, pragmatisch, ökologisch und kulinarisch, so soll die Ateliergemeinschaft de Bussy aussehen, die Stephane Grandgirard, Vincent Mermod, Rémy Meylan und Laurent Chassot aufbauen. Nach dem Vorbild von Assemble Studio aus London soll in den neuen Ateliers de Bussy Architektur from nose to tail hergestellt werden, um bei den Tieren zu bleiben: Keramikfliesen will man machen, an einem Holzbiegeverfahren arbeiten, und die (Innen)architektur nicht an Experten oder Standards delegieren, wenn man auch selbst vor Ort mit lokalen Materialien Hand anlegen kann. In der ehemaligen Druckerei sollen dereinst auch die Druckmaschinen wieder angeworfen werden, mit befreundeten Grafikern17 sind bereits Projekte angedacht. Vielleicht wird ein «Journal» gedruckt, vielleicht bezieht man befreundete Fotografen18 mit ein und arbeitet mit ihnen an experimentellen Druckverfahren.

In den Ateliers de Bussy ist auch eine Experimentierküche in Planung. Freunde von Freunden19 wollen hier einmachen, fermentieren oder wursten. Das eigene Bier soll ebenfalls gebraut werden, und fast erinnert diese Lust am Handwerk, die Rückkehr zur Natur an die Romantik. Der Komponist Claude Debussy, der immer irgendwie mitklingt, wenn über die neuen Ateliers geredet wird, ist auch zwischen Romantik und Moderne angesiedelt. Und auch wenn Bussy-sur-Moudon eine Destination pragmatischer Art darstellt – ganz einfach: Angebot und Nachfrage, schliesslich war man 27, 28 Jahre alt, als man das Gebäude kaufte –, «eine Konsequenz, die der Zeit geschuldet ist», nennt es Stephane Grandgirard, und zweifelsohne gefällt der romantische Lebensstil in der Natur den jungen Kreativen. Platz ist hier vorhanden, eine kleine temporäre und nicht regelmässige Stadtflucht light (La Porch ist ja nur einer der vielen Hüte, die unsere Protagonisten tragen) kann man es auch nennen. Mit dem Auto ist man aus Lausanne, wo alle wohnen, in zwanzig Minuten in Bussy-sur-Moudon, gependelt wird gegen Strom, was den Arbeitsweg zweifelsohne verkürzt; das Mittagessen stammt vom eigenen Gemüsegarten vor dem Atelier. Eines ist klar: Sinnlichkeit und Lust an der Arbeit gehören bei La Porch dazu. Schliesslich arbeiten alle viel, schliesslich sind sie Architekten (dieses Arbeitsethos scheint sich nicht geändert zu haben, auch bei der jüngeren Generation nicht). Die nicht lineare, offene Struktur des Arbeitsalltags bedeutet für alle mehr Freiheit, Unabhängigkeit, «auch wenn man 200 Prozent arbeitet», so Grandgirard. Arbeiten ohne Auftrag, mit geringem Budget treibt die Generation an, alle hier sind Macher.

Das Langwierige des herkömmlichen Architekturprozesses scheint bisweilen eine Last zu sein, Möbel oder ein Innenausbau sind da schneller fertig, multidisziplinäres Arbeiten macht mehr Spass. Dabei arbeitet man gerne an verschiedenen Projekten gleichzeitig und mit Freunden. Dass auch Frauen zu ihrem Netzwerk zählen ist eine Selbstverständlichkeit, wobei Meylan das Arbeiten in gemischten Teams enorm wichtig findet. Eine Bereicherung sei es, mit Frauen zu arbeiten und wenn man sie nicht findet im Arbeitsalltag, dann nicht, weil man nicht will, sondern weil in der Schweiz das politische System der Gleichberechtigung hinterherhinke. Krippenplätze sind schwer zu finden in Lausanne, und statt einer Elternzeit, die diesen Namen verdient, dürfen die Väter nun zwei Wochen «Vaterschaftsurlaub» beziehen. Das reicht nicht.

Was auffällt in den vielen Gesprächen und E-Mails, mit dem erweiterten Netzwerk von La Porch: Gearbeitet wird endlich auch Teilzeit oder vielleicht muss man es split-time nennen. «Am Donnerstag abwesend»20, «freitags abwesend»21; so lesen sich die Zusätze der e-mail-Signaturen der jungen Architektinnen und Architekten heutzutage. Ja, gute Architektur kann auch in einem weniger starren Korsett, also freier als in geschlossenen Bürostrukturen mit einer Hundertprozent-Anstellung gemacht werden. Endlich.

1 La Porch, Bussy-sur-Moudon, laporch.ch
2 APES, Lausanne, apes.website
3 Whood x Mug, Lausanne; Fribourg, whoodxmug.ch
4 Bach Mühle Fuchs Architecture Activists, Zürich, bach-muehle-fuchs.ch
5 Studio Céline Baumann, Basel, studiocelinebaumann.com
6 Madeleine, Champéry; Vevey, mdln.org
7 Metaxia Markaki, Athen; Zürich
8 Mada Architecture Studio, Belgrad, mada.rs
9 Jonathan Banz, Berlin, jonathanbanz.com
10 After Apricots, Istanbul; Zürich, afterapricots.com
11 Tibor Joanelly, «Atelier FALA aus Porto», in: wbw 10–2019
12 instagram.com/lemobilhome
13 Studio 17, Lausanne, studio-17.ch
14 Lucas Uhlmann, Vevey, lucasuhlmann.com
15 Studio 17, Lausanne, studio-17.ch
16 Mio Tsuneyama, Tokio, studio-mnm.com
17 Luke Archer, Lausanne, small-systems.org; Julia Widmann, Lausanne
18 Dylan Perrenoud; Joel Tettamanti; tettamanti.li; Yann Gross, yanngross.com
19 SENS collective, Lausanne
20 Bach Mühle Fuchs
21 Haltmeier Kister, Basel, haltmeierkister.ch

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