München wächst, und zwar um 200 000 Einwohner bis 2030. Niemand weiss so genau, wie und vor allem wo dieser enorme Schub baulich bewältigt werden kann. Im Gegensatz aber zur Schweiz, die in der Verdichtung einen Konsens gefunden hat, stehen in München dem Wachstum nach innen grössere juristische und weltanschauliche Barrieren im Weg. Der neu gebaute Stadtteil Riem etwa, eine Planung aus den 1990er Jahren auf dem Gebiet des ehemaligen Flughafens, ist wie der Zürcher Glattpark eher eine grosse Siedlung mit zu wenig hohen Häusern und zu breiten Strassen – es fehlt die räumliche Hierarchie. Und auch bei neuen Areal-Planungen sucht man in München zumeist vergebens eine positiv städtische Haltung. Eine anhaltend starke Bautätigkeit und einige baurechtliche Mittel wären ja vorhanden. Dank der SoBoN, der gesetzlich geforderten Sozialgerechten Bodennutzung, ist Bauen mit hoher Ausnutzung nur im Tausch gegen gesellschaftlich nachhaltiges Planen möglich. Das Schwabinger Tor von 03 Architekten etwa überzeugte uns nicht wegen der Architektur, sondern durch die vom Bauherrn finanzierten Stadtplätze inklusive Strassenbahnhaltestelle und einem miteingeplanten Anteil sozialer Wohnungen. Dass hier die Stadträume gehaltvoll sind, offen und dennoch gefasst, im steten Wechsel von Enge und Weite, mit Ausblicken ins Quartier, ist aber ein Einzelfall. Ansonsten ist man angehalten, die alten Münchner Quartiere zu durchstreifen, dort erst wird das Auge voll von den Strassen mit Schwung, die alle vor ungefähr hundert Jahren durch den Architekten und Stadtbaurat Theodor Fischer entworfen wurden. Städtebau ist der Grund, weshalb wir Deutschschweizer nach München fahren!
Mit seiner subtil kontextuellen Methode des Städtebaus prägte Theodor Fischer um 1900 grosse Teile der Stadt München. Seine «Stadtbaukunst» zielte auf räumliche Wirkungen und die Wahrnehmung des sich bewegenden Menschen. In Münchens Neubaugebieten dagegen dominiert heute das Wohnen im Grünen, es fehlt an räumlich einprägsamen Stadträumen – warum greift die Stadtplanung so selten auf die hervorragenden Beispiele zurück?
Kann Städtebau mehr sein als das Moderieren von Sachzwängen? In der Boomstadt München werden jährlich 8 000 Wohnungen neu gebaut und grosse Areale neu entwickelt. Die Stadtbaurätin setzt sich dabei für mehr Dichte und gute Raumproportionen ein. Sie fordert mehr Bürgerbeteiligung und lädt die Architekten dazu ein, sich der Diskussion mit den Betroffenen zu stellen.
SoBoN ist die Münchner Mehrwertabgabe. Seit 1994 finanzieren die Grundeigentümer in München die Entwicklung neuer Quartiere – bis hin zum Bau neuer Schulhäuser.
Renditeorientierte Investoren haben in München freies Feld – sie bauen fast alle neuen Wohnungen – tragen aber wenig zur städtischen Kultur bei. In jüngster Zeit mehren sich jedoch alternative Ansätze: Neu gegründete Genossenschaften realisieren gemeinschaftliche Wohnformen und aktivieren den öffentlichen Raum. Ein Modulbau auf einem Parkplatz beherbergt Flüchtlinge und sozial Schwache. Und eine private Investorin ermöglicht qualitätvolle Verdichtung durch ein junges Büro.
Auf einem schmalen Grundstück an der grossen Ausfallstrasse im Norden der Stadt ist ein dichtes und durchmischtes Stadtquartier entstanden. Der städtebauliche Entwurf von 03 Architekten ist so simpel wie raffiniert: Zwei Reihen von Gebäuden an der Leopoldstrasse sowie der östlich gelegenen Berliner Strasse werden gegeneinander verschoben und verzahnen so die jeweiligen Stadträume der beiden Strassen.
Junge Architektinnen und Architekten bleiben in München oft aussen vor, die grossen Projekte werden von etablierten Büros abgewickelt. Da bleibt nur der Weg der Selbsthilfe. In einem Gespräch mit jüngeren Architekten wird der Finger in die Wunde gelegt: die mangelnde Wertschätzung für die Münchner Nachkriegsarchitektur wie auch die fehlenden offenen Wettbewerbsverfahren.
Der Jurist und Planungsexperte Martin Lendi blickt zurück auf 75 Jahre Raumplanung an der ETH Zürich. Artikel online lesen
Ist der Schutz der gebauten Substanz immer und überall gleich berechtigt? Der Bieler Architekt Stephan Buchhofer reagiert mit grundsätzlichen Überlegungen auf die Kritik an seiner Aufstockung in Givisiez, vorgestellt im Heft Aufstocken, wbw 1/2 – 2017.
Erstmals hat die Pro Helvetia einen offenen Wettbewerb gewählt, um Thema und Konzept für den Schweizer Auftritt bei der Biennale Venedig 2018 zu finden. Das hat sich gelohnt.
Die gesetzlichen Verjährungsfristen am Bau sind kompliziert. Die Regelung in den Musterverträgen von SIA und KBOB bringt Vereinfachungen – doch die gehen teilweise zulasten der Planer.
Eine gewichtige Monografie zur Nachkriegsarchitektur in München entdeckt den Wert der Alltagsstadt neu, sagt Erik Wegerhoff. Buchtipps des Monats sind ausserdem eine Übersicht über die Münchner Stadtentwicklung sowie Uwe Bresans aufschlussreiche Studie über Adalbert Stifters Nachsommer als Architekturbuch.
Die Beton-Architektur der 1960er Jahre wird momentan von einer breiteren Öffentlichkeit neu entdeckt, umso heftiger tobt der Kampf um die Rettung wichtiger Zeugen: Finding Brutalism im Museum in Bellpark, Kriens.
Gilbert Pfau, 1928 – 2017
Ein Heustadel in den Bergen verwandelt sich in ein kleines Ferienhaus – der Blockbau lebt als Beton-Schalungsbild weiter und wird so zum Denkmal einer verschwundenen bäuerlichen Welt. Die jungen Autoren denken über die Verwandlung nach und ziehen Vergleiche zu Peter Zumthors Bruder-Klaus-Kapelle.
Die Megametropole wächst so schnell, dass niemand ihre genaue Ausdehnung und Einwohnerzahl kennt. Ihre öffentlichen Räume bieten ein Durcheinander improvisierter Geschäftstätigkeit, und die Aneignung durch die Bewohner überwuchert die Zeugen der Moderne. Ein Reisebericht. Artikel online lesen
Originaltext Französisch