11 – 2016

Holzkonstruktionen

Fügung, Modul, Masse

Holzrahmen, Mehrschichtplatte, CNC-gefräster Brettschichtträger – so liesse sich verkürzt die konstruktive Evolution im Holzbau über die letzten 25 Jahre zusammenfassen. Dabei hat das Holz als Material einen grundlegenden Wandel durchlaufen. Während für die Tafelbauweise noch immer ein Rahmen aus Vollholz auf dem Schmetterlingstisch beplankt wird, können Mehrschichtplatten oder Brettschichtträger wie viele nahezu homogene Werkstoffe per CNC-Fräse auf die richtige Dimension abgebunden werden. Die Innovation geht in verschiedene Richtungen. So ermöglichen mit Beton oder Stahl ertüchtigte Konstruktionen eine bessere Performance für das Bauen mit Holz sowie Spannweiten, die denjenigen des Stahlbaus nahekommen. Eine computerbasierte Abbundtechnik und durchgeplante Lieferketten ermöglichen zudem die Herstellung und Montage von komplexen vorgefertigten Bauteilen, die in Ausdruck und technischer Raffinesse wieder dem alten Zimmermannshandwerk ähneln – und eine im eigentlichen Sinn tektonische Architektur ermöglichen. Mit den von grossen Holzbaufirmen weit entwickelten Element- und Modulbauweisen überschreitet das Konstruieren mit Holz nun die Schwelle zum Massenphänomen.

Säulen, Kapitelle, Balkonbrüstung und Fassadenelemente bilden eine raumhaltige Fassade, in der sich verschiedene Rhythmen überlagern.

Harter Rhythmus, zarte Linien

Wohnhäuser von Rolf Mühlethaler im Freilager Zürich

Daniel Kurz, Alexander Gempeler (Bilder)

Im Entwicklungsgebiet Freilager Zürich setzen die drei sechsgeschossigen Langhäuser von Rolf Mühlethaler einen eigenen Akzent. Holzrahmen-Elemente bilden die inneren und äusseren Wände, trittschallgedämmte Brettstapel-Elemente die Decken. Die Konstruktion ist auch Träger des Ausdrucks: Das Relief von Balkonen und kassettierter Fassadenverkleidung, der Rhythmus von Säulen und Konsolen und die feinen Linien der Geländer überlagern sich zu ausdrucksvoller Tiefe.

Wie eine Lichtung im Auenwald: Gabelstützen spannen die weite Zone vor der Zimmerschicht auf. Sie dient dem gemeinschaftlichen Lernen, nicht allein der Erschliessung. Schmuttertal-Gymnasium in Diedorf von Hermann Kaufmann und Florian Nagler Architekten.

Lernen im Wald

Schmuttertal-Gymnasium Diedorf von Hermann Kaufmann und Florian Nagler Architekten

Florian Aicher, Stefan Müller-Naumann (Bilder)

Die lichten Auenwälder entlang des Bachlaufs der Schmutter im bayrischen Diedorf sind dem Gymnasium von Hermann Kaufmann und Florian Nagler Raummetapher und Bauprogramm. So dient Holz als Baumaterial, und das Raumkonzept baut auf Zimmer wie Waldlichtungen. Eng stehende Stützen umgürten die Gemeinschaftshöfe; das Raster setzt sich in der Sparrenlage des Dachs fort. Von da fällt Tageslicht ins Innere – wie im Wald vor der Tür.

Brise-Soleils und der offene Dachraum helfen entscheidend, das Klima im Museumsdepot bei Schwarzenburg zu kontrollieren. Das Dach ist vollflächig mit Fotovoltaik-Elementen eingedeckt. Architektur: Patrick Thurston

Weite und Tiefe

Museumsdepot bei Schwarzenburg von Patrick Thurston

Martin Klopfenstein, Ralph Hut (Bilder)

Mitten im freien Feld im bernischen Schwarzenburg steht die fensterlose, aus Holz gebaute Halle von Patrick Thurston unter flach geneigtem Dach: Sie erinnert an klassische Tempel ebenso wie an landwirtschaftliche Scheunen – und dient als Museumsdepot für historische Fahrzeuge. Ihr Dach, getragen von Fachwerkträgern, steht frei über der Ausstellungsbox aus Holz. Eine raffinierte Konstruktion sorgt dafür, dass sich Temperatur und Feuchtigkeit im Inneren mit minimalstem technischem Aufwand kontrollieren lassen.

Im Fachstellenhaus Arenenberg stemmen Eichenpfeiler ein Gitter von Bändern aus Holzelementen, die durch den Ortbeton-Boden ausgesteift werden.

Illustre Welt der Komposite

Hybride Konstruktionen mit Holz

Tibor Joanelly

Schon längst sind die Materialien und Konstruktionen nicht mehr «rein» und «wahr», schon gar nicht im Holzbau. In seinem Beitrag injiziert Tibor Joanelly dem auf den ersten Blick so bodenständigen Holzbau eine Theorie-Spritze: Es geht nicht mehr wie bei Semper um die Suche nach Spuren archaischer Techniken in den heutigen Produktionsmethoden, sondern um die Konzeptualisierung derjenigen Prozesse, die ein Bauwerk in Entwurf und Produktion formen: «Komposit» ist das neue «Hybrid».

Je eher bestellt wird, umso passender kann das Holz für einen Bau ausgewählt werden. Laubholzernte in der Waadt.

Herkunft ist zweitrangig

Pragmatismus in der Holzwirtschaft

Andreas Seiz im Gespräch mit Tibor Joanelly und Caspar Schärer

Jeder Baum hat in einem bestimmten Gebiet seine optimalen Wuchsbedingungen; genauso soll er seinen optimalen Einsatz am Bau finden. Der Holzhändler Andreas Seiz schaut pragmatisch auf den Wald und stellt fest, dass Holz aus Mitteleuropa oft besser die Bedingungen erfüllt als einheimisches. Für die Schweizer Holzindustrie bestehen aber auch Chancen, so Seiz: Hochwertige Fertigelemente mit hoher Wertschöpfung sind exporttauglich.

Überkragendes, mittelalterliches Fachwerk. Illustration von Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc aus Dictionnaire raisonné de ľarchitecture française, S. 55.

Holz auf Holz

Aufruf zur Wiederbelebung der klassischen Holzverbindung

Lorenz Kocher

In seinem Aufruf zur Wiederbelebung der klassischen Holzverbindung plädiert der Architekt und Bauingenieur Lorenz Kocher für einen materialgerechten Anschluss im Holzbau. In einer Struktur sind die Holzverbindungen Ausdruck der Handwerkskunst und Zeugen des Berufsstolzes des Zimmermanns. Wo sie zu aufwändig werden, kann aktuelle Technik wie die CNC-Fräse es ermöglichen, traditionelle Holzverbindungen neu zu interpretieren.

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Debatte

Das städtische Hochhaus wird vom Baurecht eingehegt wie kein zweiter Bautyp. Daniel Kurz und Caspar Schärer lancieren eine neue Debatte und wünschen sich einen souveräneren Umgang mit dem Hochhaus: Dabei soll der Mehrwert, den die Höhe dem Investor bringt, für Verbesserungen in der «Stadt auf Augenhöhe» eingesetzt werden.

Wettbewerb

Weiterbauen an der Agglomeration: Im zürcherischen Winkel, soll eine Wohnsiedlung aus den frühen 1970er Jahren erneuert und teilweise neu gebaut werden. Im zweistufigen Projektwettbewerb nahm eine Mehrheit der Teilnehmenden eine defensive Haltung ein – Zita Cotti Architekten mit dem Siegerprojekt jedoch nicht.

Recht

Die Bekanntgabe eines ISOS-Inventars über die Stadt Zürich erregte Aufsehen. Viele befürchteten, dass die Verdichtungsziele nicht mehr realisiert werden können. Dominik Bachmann gibt Entwarnung.

Bücher

Der 1924 geborene indische Bauingenieur Mahendra Raj arbeitete mit illustren Architekten wie Louis Kahn und Le Corbusier zusammen. Nun ist seinem Werk (endlich) ein Buch gewidmet.

Ausstellungen

Die Ausschreibung für den Schweizer Kunstwettbewerb 2017 ist angelaufen. Daniel Kurz sprach mit den diesjährigen Preisträgern Yves Dreier und Eik Frenzel über ihre Motive, an einem etwas anderen Wettbewerb teilzunehmen.

Kolumne: Architektur ist ... ein Flirt zwischen Ausdenken

Daniel Klos, Johanna Benz (Illustration)

Bewegung der Körper im Raum: Nach dem rasanten Parkour-Trip in der letzten Ausgabe entwickelt unser Autor nun ein Zukunftsszenario für ein Paris im Jahr 2046. Eine Pizzakurierin hangelt sich durch die Stadt – stets prekär, aber immer präzis.

Neben dem schwarzen Bau des Kunstmuseums Vaduz schiebt der Neubau der Hilti Art Foundation sich leicht vor und bildet zur Hauptgasse einen angemessenen Vorplatz.

Do the obvious

Neubau der Hilti Art Foundation in Vaduz von Morger + Dettli Architekten

Tibor Joanelly, Barbara Bühler (Bilder)

Der glatt polierte Monolith des Kunstmuseums Vaduz ist mit dem Neubau der Hilti Foundation von Morger + Dettli Architekten zu einem schwarz-weissen Ensemble angewachsen.

Monumental, aber etwas alleine: Das oberirdische Volumen der Erweiterung des Bündner Kunstmuseums schafft keinen räumlichen Bezug zur Villa Planta (links).

Mausoleum für die Kunst

Erweiterung des Bündner Kunstmuseums in Chur

Daniel A. Walser, Simon Menges (Bilder)

Mit der Erweiterung des katalonischen Architekturbüros Barozzi Veiga ist das Bündner Kunstmuseum in eine neue Liga aufgestiegen. Der Bau und besonders sein städtebaulicher Beitrag vermögen aber nicht restlos zu überzeugen.

Die Neubauten des Besucherzentrums der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach sind knapp an die Strasse gerückt, um viel Parkfläche freizuhalten. Das Vordach, zwischen die beiden Lehmbaukörper eingespannt, schützt das Entrée.

werk-material 10.04 / 682

Neues Nest

Frida Grahn, Alexander Jaquemet (Bilder)

Besucherzentrum Schweizerische Vogelwarte, Sempach LU von :mlzd, Biel

Le café se trouve dans la partie frontale ouest du bâtiment.

werk-material 10.04 / 683

Scharfe Zähne

Héloïse Gailing, Matthieu Gafsou (Bilder)

Besucherzentrum im Zoo La Garenne in Le Vaud VD von Localarchitecture, Lausanne

Originaltext Französisch

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