Das monografische Heft bringt eine Wiederbegegnung mit dem englischen Architekten Denys Lasdun (1914–2001). Der eigenwillige Architekt aus dem Umfeld des New Brutalism hat sich in der Nachkriegszeit mit Wohn- und Universitätsbauten sowie mit dem restaurierten National Theatre in London (1976) international einen Namen gemacht. Wir flanieren über endlose Teppiche, vorbei an Sofalandschaften und Geräuschinseln. Überall in den Foyers im Londoner National Theatre sitzen Besucher unterschiedlichen Alters und Herkommens. Keiner wartet auf eine Vorführung, alle tun geschäftig. Das National Theatre ist ein offener Ort für alle, seine ausladenden Terrassen sind eine demonstrative Einladung. Die Geste, monumental und zeichenhaft, gleichzeitig aber durchlässig, funktioniert heute wie nie zuvor. Tatsächlich bildete 1976 die Fertigstellung des Opus magnum von Denys Lasdun den Endpunkt einer Epoche gesellschaftlicher Offenheit, wurde doch kurz danach der Wohlfahrtsstaat von den englischen Konservativen ausgeweidet. Der Sozialwohnungsbau Keeling House ist heute eine privatisierte Gated Community. Für die Instandhaltung der (öffentlichen) Hallfield School fehlt schlicht das Geld. Wichtige Werke wie das Fitzwilliam College in Cambridge stehen nicht einmal unter Schutz. Bei unserer Recherche sind uns typologische Trouvaillen begegnet, die eine Entdeckung lohnen. Wie es heute um seine Bauten steht, zeigen die aktuellen Fotos der in London lebenden Fotografin Ioana Marinescu. Die sechs ausgewählten Bauten sind auch in Plänen und Zeichnung als Poster dokumentiert. Als erste Publikation mit einem ausführlichen Werkverzeichnis versehen und um weitere Literaturquellen ergänzt, ist es ein idealer Begleiter auf der Reise zu den Bauten von Denys Lasdun.
Schon zur Zeit seiner Erstellung wurde das National Theatre in London mit scharfer Kritik bedacht – ein Jahrzehnt später hielt Prinz Charles das Hauptwerk Denys Lasduns gar für eine «schlaue Methode, um in der Innenstadt ein Atomkraftwerk zu bauen». Die jüngst erfolgte Renovierung durch die Architekten Haworth Tompkins offenbart nun die seit jeher schlummernden Qualitäten: Die grosszügigen Foyers sind neu mit dem Uferbereich an der Themse räumlich verknüpft und ohne Einschränkung öffentlich zugänglich.
Inmitten der stürmischen Zeiten des postmodernen Relativismus hat Denys Lasdun ein Buch mit dem Titel Architecture in the Age of Scepticism veröffentlicht. Darin sind rund ein Dutzend Stimmen versammelt, vereint in ihrer Haltung als Praktiker und beschäftigt mit der materiellen und sozialen Dimension der Architektur. Einen solchen generationenübergreifenden Dialog hatte Irina Davidovici im Sinn und hat wiederum ein Dutzend Architekten aus der Londoner Praxis von heute nach dem Stellenwert von Lasduns Werk befragt: Die Wertschätzung ist gross, das Wohlgefallen hat freilich den Charakter einer Neuentdeckung.
Von der Postmoderne verfemt, wird Denys Lasduns Werk heute wieder entdeckt und gewürdigt. Er war ein Architekt, der wenig über seine Arbeit sprach oder schrieb, aber umso genauer zuhörte, um auch die unausgesprochenen Wünsche seiner Auftraggeber zu erfüllen. Dabei entstanden Bauten von grosser expressiver Kraft; ihre Präzision bis in die konstruktiven Details beeindruckt im heutigen Umfeld umso mehr. Ein Bericht aus der Werkstatt.
Der Cluster ist ein Lieblingsthema des Brutalismus. Vom amerikanischen Theoretiker Kevin Lynch übernahm der britische Kritiker Reyner Banham den Begriff – und Denys Lasdun setzte ihn zum ersten Mal architektonisch um: Das Keeling House im armen Londoner Stadtteil Bethnal Green gilt als ein Versuch, Arbeiter-Reihenhäuser in die Vertikale zu stapeln. Dabei legte Lasdun Wert auf die organische Gliederung der sozialen Räume und unterzog damit den Funktionalismus einer Aktualisierung und Revision.
Lasduns Suche nach formaler Eigenständigkeit führte ihn bereits als jungen Architekten weg von den damals aktuellen Positionen und kann als Kommentar zum herrschenden Funktionalismus verstanden werden. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens vollzog Denys Lasdun eine Wende von einer geologisch anmutenden Architektur hin zu einem gefälligeren Stil in Stahl und Glas. Dieser liest sich wie ein persönlicher Kommentar zur aufkommenden Postmoderne in den 1980er Jahren.
Die eigens für diese Ausgabe gemachten Fotos von Ioana Marinescu setzen sechs ausgewählte Bauten von Lasdun ins Bild. Um jedoch die Erfahrung der Recherchereise erlebbar zu machen bieten sich die zahlreichen Links an, die im Netz zu finden sind:
Zu einem legendären Vortrag an der AA in London
aus dem Jahr 1989 oder seinem Radiointerview für BBC nach Eröffnung des National Theatres in London
Oder im Gespräch von Jill Lever mit Denys Lasdun im hohen Alter im Jahr 1996
Auch Filme von Lasduns Bauten von sind im Netz zu finden:
Zum Royal College of Physicians, London von Rachel Dowle, 2014
über die Modell vom Royal National Theatre, London
über das Keeling House, London aus dem Baujahr 1958
Und über einen nachbarlichen Schwatz in luftiger Höhe im Keeling House, kommentiert von Lasdun
Vorstellung von Denys Lasdun bei seiner Ernennung als Architekt der neuen Universität von East Anglia (UEA), Norwich 1963
Eine Vorstellung der UEA im Film über britische Universitäten des Belgischen Fernsehens 1974
sowie zum Fitzwilliam College der University von Cambridge.
und der Vortrag des Lasdun-Spezialisten Barnabas Calder über das College in Cambridge, gehalten am Symposium zum 50. Jubiläum im Jahr 2013.
Ausgestattet mit Heft, Poster und Links lassen sich Sir Denys Lasduns Bauten nun bereisen.
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