Als eine zentrale Akteurin der Tessiner Tendenza hat sich Flora Ruchat-Roncati in die Geschichte der Schweizer Architektur eingeschrieben und mit bedeutenden Werken die Landschaft der Schweiz geprägt. Flora Ruchat-Roncatis Schulen und Wohnhäuser sind wie die Kunstbauten der Autobahn Transjurane kühne Entwürfe. Dennoch ist es schwierig, die spezifische gestalterische Handschrift der Architektin zu bestimmen, denn ihre Besonderheit lag nicht in der individuellen Autorschaft, sondern vielmehr in der Kooperation, im Bilden und Pflegen von Netzwerken und Diskussionskreisen, von Lebens- und Arbeitsgemeinschaften. Sie suchte die Zusammenarbeit und brachte Menschen an ihrem Tisch zusammen: im Wissen, dass mehr eben mehr ist, dass mehr Köpfe mehr Ideen, mehr Wirkung und mehr Kritik einbringen. Flora Ruchat-Roncati war eine politisch bewusste Architektin mit engen Verbindungen ins genossenschaftlich-gewerkschaftliche Milieu Italiens, davon zeugt der imposante Wohnungsbau in Taranto. Als erfolgreiche Architektin und als erste Professorin überhaupt an der ETH Zürich war sie für eine ganze Generation ein Vorbild und Rollenmodell. Sie hat jungen Frauen (und Männern) Wege geöffnet, für sie Zugänge geschaffen und Respekt eingefordert. Die Entstehung dieser Heftnummer widerspiegelt die Arbeitsweise der Architektin: Die Mitarbeiterinnen des Nationalfonds-Forungsprojekts zu Flora Ruchat-Roncati schrieben ihre Beiträge im Kollektiv.
Für dieses Heft haben wir Bauten von Flora Ruchat-Roncati neu fotografieren lassen – mit allen Spuren des Gebrauchs, des Alterns und der Geschichte.
Die Fotografin Anna Positano (*1981) aus Genua ist für uns nach Taranto gereist, um den riesigen Wohnbau Colasiderta neu ins Bild zu setzen. Der in Lausanne lebende Tonatiuh Ambrosetti (*1980) besuchte das Bagno pubblico in Bellinzona und den Kindergarten in Lugano-Viganello. Igor Ponti (*1981) aus Lugano hat den Schulkomplex und das private Wohnhaus in Riva San Vitale erkundet.
Architektur im Singular zu schaffen war ihr fremd. Flora Ruchat-Roncati pflegte sie im Kollektiv. Das kollaborative Arbeiten im Netzwerk prägte zeitlebens ihr Berufsverständnis und ihre Lebensweise. Gerade das macht ihre Position heute so aktuell. Ihre Werke entstanden am Tisch, an dem diskutiert, gezeichnet, präsentiert aber auch gegessen wurde. Der Tisch ist die zentrale Metapher. Dies war am Lehrstuhl der ETH nicht anders als im Tessin oder bei ihren Projekten in Taranto oder im Jura.
Originaltext Englisch
Flora Ruchat-Roncati hat mit innovativen Schul- und Kindergartenbauten im Tessin oder dem Bad in Bellinzona bedeutende Ikonen der Tendenza geschaffen – meist in wechselnden Kooperationen mit Freunden und Kollegen. Als erste Professorin der ETH Zürich wirkte sie, durchaus bewusst, als Rollenmodell für eine ganze Generation von jüngeren Architektinnen. Das ist Anlass für eine genauere Betrachtung ihrer Biografie, ihres Lehrkonzepts und auch ihres feministischen Engagements.
Mit ihren Entwürfen für Infrastrukturbauten hat Flora Ruchat-Roncati das Territorio svizzero geprägt wie keine Architektin sonst. Sie war an der Gestaltung der A2 im Tessin beteiligt, prägte die Ausgestaltung der Transjurane – und sie hat auch bei der AlpTransit-Strecke am Gotthard ihre Handschrift hinterlassen. Sie interpretierte das Verkehrsbauwerk als Architektur. Die Bauten der Transjurane sollen von Weitem als Orientierungszeichen wirken, aus der Nähe jedoch nicht von der Fahrbahn ablenken. Ein Spiel mit den Massstäben.
Originaltext Italienisch
Im Entwurf für das Haus der Eltern Ruchat in Morbio Inferiore (1967) verbinden sich die Einflüsse Le Corbusiers mit unmittelbar erlebten biografischen Erfahrungen.
Originaltext Italienisch
Will die Architektur ihre Relevanz nicht aufs Spiel setzen, muss sie sich für Kooperationen öffnen. «Arbeitet mit anderen Disziplinen zusammen und mischt euch in die Politik ein!» rufen uns die BSA-Präsidentin Ludovica Molo und Generalsekretär Caspar Schärer zu. Artikel online lesen
Vier Buchtipps als Geschenkidee zu Weihnachten: Soll es ein Buch zur Architekturpädagogik für Lehrende sein? oder besser eines zur Entwurfsmethodik für Studierende? Vielleicht ein Buch zur ländlichen Baukultur der Schweiz – oder eines zur Städtebaugeschichte für Liebhaber opulent illustrierter Bände?
Peter Zumthor feiert mit der Ausstellung Dear to Me im KUB Bregenz die Kunst – und lässt sich von ihr feiern. Er zeigt nicht sein Werk, sondern das, was ihn bewegt. In Stans läuft eine Ausstellung zur frühen Zeit der archithese, und in Bern wird der Architekturpreis Constructive Alps 2017 mit einer Ausstellung gewürdigt. Originaltext Französisch
24 neue Mitglieder und 4 Assoziierte fanden 2017 Aufnahme in den Bund Schweizer Architekten.
Das Haus MIN MAX von EMI: Als schwarzer Baustein steht es am Boulevard Lilienthal in der Neustadt Glattpark. Es enthält vor allem Kleinwohnungen – dafür mit gemeinschaftlichen Räumen. Über dem stillen Innenhof thront ein Gemeinschaftsraum.
Am Waldrand hoch ob Horgen bietet ein Pfadfinderheim von studio we aus Lugano den Jugendlichen eine neue Heimstatt. Der kompakte Bau mit dreissig Schlafplätzen balanciert auf einem Hinkelstein.