12 – 2022

Sichtbar machen

Wie wird Architektur inklusiver?

Architektur ist nie zeitlos. Sie entsteht immer in einer spezifischen Umgebung, unter bestimmten Voraussetzungen, während einer gewissen Periode. Mit der Zeit werden dann auch Themen aktuell, die davor zwar gespürt, aber nicht benannt werden konnten, weil die Worte dafür fehlten. Das gilt für den im Moment rege gebrauchten Begriff der Inklusion. Über Jahrzehnte wurden – bewusst oder unbewusst – viele ausgeschlossen. Seit letztem Herbst heisst der BSA Bund Schweizer Architektinnen und Architekten. Zeit, dass wir diese Vielfalt sichtbar machen. Aber ein Heft mit Frauenarchitektur? Nein, danke. Frauen bauen nicht anders als ihre Kollegen. Aber sie nehmen in der Gesellschaft weniger Raum ein. Und das hat strukturelle Gründe. Doch ein ausbeuterisches Arbeitsethos, unbezahlte Überstunden und unzählige Nachtschichten bereits im Studium führen dazu, dass diejenige, die daheim mehr unbezahlte Arbeit leistet, weniger Zeit hat für Architektur. Mehr anstrengen müsse man sich eben, reinknien, wurde einst verkündet – und ich staune, dass seit der Veröffentlichung von Lean In erst sieben Jahre vergangen sind. Vor sieben Jahren dachte ich auch noch, ich müsse mich eben mehr anstrengen. Zum Glück habe ich mittlerweile durch mehr Lektüre und eine sich stetig verändernde Gesellschaft verstanden, dass strukturelle Gründe nicht durch mehr Anstrengung wegzulächeln sind. Erst durch Selbstreflexion und Aufklärung kann ein Perspektivenwechsel stattfinden. Dafür wurde dieses Heft konzipiert, mit einer gehörigen Portion Respekt vor dem Thema und dem weisen Ratschlag der wunderbaren Interviewpartnerinnen von Mycket im Ohr: «Du machst dir deine Hände immer schmutzig, und was du tust, wird nie für alle perfekt sein.»

Nachtclub statt Museum

Wie sieht ein offener Zugang zur Architektur aus?

Katarina Bonnevier und Thérèse Kristiansson im Gespräch mit Jenny Keller und Tibor Joanelly

Das Kollektiv Mycket aus Stockholm hat sich Vielfalt auf die Fahnen geschrieben. Seine drei Gründerinnen sind in einem breiten Feld tätig, von der Hands-on-Szenografie über konkrete Bauprojekte bis zu Forschung. Ihr Anspruch, inklusiv und gender-divers zu entwerfen, wird unter anderem mit der temporären Transformation des Pavillons von Sverre Fehn beim alten Architekturmuseum in Oslo sichtbar: Im Spätwerk des Architekten richten sie einen bunten Nachtclub ein.

Architekturgeschichte schreiben

Die Architekturkritikerin Ada Louise Huxtable

Suzanne Stephens, Tomas Fryscak (Illustration)

Ada Louise Huxtable war die erste Frau, die vollzeit bei einer Tageszeitung als Architekturkritikerin angestellt war. Sie beschränkte sich dabei nicht auf die Rezension aktueller Bauten, sondern suchte die Auseinandersetzung mit den grossen Männern der Disziplin und mischte sich ins Getriebe von Finanz- und Bauwelt ein. Für ihre Fähigkeit, Prozesse zu sezieren, erhielt sie als erste Architekturkritikerin den Pulitzer-Preis – und bis heute hat niemand ihren Platz eingenommen. Originaltext Englisch

Der Vorplatz ist bereits Aktionsfläche des Zentrums, baut dadurch Hemmschwellen ab und signalisiert Sicherheit für das Quartier. Bild: Sandra Pereznieto

Gemeinschaft bauen

Quartierzentrum in Iztapalapa von Rozana Montiel

Laure Nashed, Sandra Pereznieto (Bilder)

Die mexikanische Architektin Rozana Montiel führt in Mexiko-Stadt ein Büro, das mit seiner Arbeit auf soziale Projekte fokussiert. Ihr Berufseinstieg war nicht einfach in der vom Machismo geprägten Kultur. Gleichwohl ist sie erfolgreich dank ihrer hartnäckigen Art und sorgfältigen Arbeitsweise: Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie Architektur in den ärmsten Gebieten sichere Orte schaffen und Pperspektiven vermitteln kann.

Die Stadtmacherin

Ein persönlicher Blick auf Regula Lüschers bisherige Architektinnenkarriere

Jenny Keller, Tomas Fryscak (Illustration)

Regula Lüscher hat sich als Senatsbaudirektorin in Berlin stark exponiert. Kraft ihres Amtes war sie ständiger Kritik ausgesetzt, doch das kannte sie aus ihrer vorangehenden Tätigkeit als Architektin und stellvertretende Direktorin im Amt für Städtebau Zürich. Dass ihre Arbeit stets auch aufgrund ihres Geschlechts beurteilt wurde, ärgert sie nachhaltig: ein persönlicher Rückblick.

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Debatte

In der Debatte über Hochhäuser in dieser Zeitschrift wurde der Bautyp nie grundsätzlich in Frage gestellt. Unser Autor Heinz Oeschger führt mit Stadtbild und Ökologie potente Argumente ins Feld.

Neu im BSA 2022

Dieses Jahr sind 35 Mitglieder in den Bund Schweizer Architektinnen und Architekten BSA aufgenommen worden.

Wettbewerb

Die Kartause Ittingen beherbergt das Kunstmuseum Thurgau. Felix Matschke beschreibt, wie ein Wettbewerb zu einem schärferen Profil der Institution beitragen kann. Das Siegerteam hat sich zwar über den Behandlungsperimeter hinweggesetzt, doch seine subtile Verbindung von Erd- und Untergeschoss hat überzeugt.

Ausstellungen

Arbeiten des amerikanischen Designers Isamu Noguchi können im Zentrum Paul Klee auf ihren Objekt- und Zeichencharakter befragt werden. Spoiler: Sie sind alles andere als blosse Dinge. Susanna Koeberle sieht Design, das zwischen Nützlichkeit, Raum und Kunst oszilliert.

Bücher

Pier Paolo Tamburelli von Baukuh legt fulminant wie streitbar eine Abhandlung über Donato Bramante vor, Tibor Joanelly rezensiert. Ausserdem empfiehlt die Redaktion ein Buch mit Architektinnenporträts und einen Blick auf Zürich Nord.

Junge Architektur Schweiz

Baseli Candrian

Im Wohnhaus für zwei Familien in Urdorf kommt viel zur Sprache: gekammerter und fliessender Raum, Wohnlichkeit, Landschaftsbezug und Nachbarschaft.

Schlange stehen für Shinohara

Wiederaufbau von Kazuo Shinoharas Umbrella House auf dem Vitra-Campus

Tibor Joanelly, Damian Poffet (Bilder)

Beim Wiederaufbau des ikonischen Umbrella House auf dem Vitra-Campus wurde mit viel Sorgfalt das Erbe von Kazuo Shinohara zelebriert. Doch das Objekt auf der Wiese irritiert.

Hofbaumeister

Wohnhaus in der Berner Altstadt von Buol & Zünd

Roland Züger, Georg Aerni (Bilder)

In der Berner Altstadt sieht man die Neubauten nicht. Das gilt auch für den jüngsten Ersatzneubau. Aber Buol & Zünd machen mit feinen Gesten auf das Neue aufmerksam und verweben alte Gechichten zu Neuem.

werk-material 12.03 / 802

Fans als Stützen

Jasmin Kunst, Phil Bucher (Bilder)

Garderobengebäude in Brig von Atelier Summermatter Ritz

werk-material 12.03 / 803

Kraftwerk an der Seitenlinie

Lucia Gratz, Adriano Biondo (Bilder)

Garderobengebäude Schorenmatte in Basel von Felippi Wyssen
 

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