12 – 2013

Luigi Caccia Dominioni

Mit dieser Monografie, die die Architektinnen Elli Mosayebi und Astrid Staufer als Gastredaktorinnen konzipiert und kuratiert haben, feiern wir den 100. Geburtstag von Luigi Caccia Dominioni. Der italienische Architekt hat in Mailand seit Mitte der 1950er Jahre aufsehenerregende Bauten geschaffen, die in vielem die Postmoderne vorweggenommen haben und heute noch überraschende Wege zu deren Überwindung zur Diskussion stellen. In seiner Arbeit hat es Caccia Dominioni verstanden, verschiedene Welten miteinander zu verbinden. Die Komplexität seiner Entwürfe spiegelt sich in einem vielfältigen und heterogenen Werk; um diesem gerecht zu werden, hat eine Vielzahl Autorinnen und Autoren in kurzen Beiträgen beispielhafte Projekte mit jeweils eigenem Blick analysiert, dargestellt und auch kommentiert. Dabei lag der Fokus auf der bald dreissigjährigen Schweizer Rezeption: Seine Projekte interessieren hierzulande als Referenzpunkte für die eigene Arbeit oder als historisches Material, das Zeugnis einer überaus reichen Epoche der europäischen Nachkriegszeit ist. Drei italienische Autoren ergänzen den Schweizer Blick um eine Mailänder Sicht.

Luigi Caccia Dominioni, Palazzo an der Piazza Sant’Ambrogio, Mailand 1948 – 1952; Blick von der Familienwohnung auf die Kirche Sant’Ambrogio.

Der Architekt im Fauteuil

Einige Aspekte der Architektur Luigi Caccia Dominionis

Elli Mosayebi

Luigi Caccia Dominioni schuf fern von den Dogmen der klassischen Moderne ein höchst eigenständiges Werk von hohem narrativem Gehalt, das darüber hinaus auch surreale und provozierende Züge besitzt. Mit der Gleichwertigkeit von Alt und Neu brachte er die Geschichte als Form- und Materialreferenz in die Architektur der Moderne zurück.

Für zwei der vier grossen Salons entwarf Caccia steinerne, von der oberen Ebene der Schlafzimmer zugängliche Balkone. Deren Details waren im Ursprung barock; der geübte Blick konnte aber leicht erkennen, dass sie nie als direkte Imitationen des Alten gelten konnten.

Ein Balkon unter einem Gewölbe

Haus an der Via Cappuccino, Mailand 1962

Cino Zucchi

Der bekannte italienische Architekt Cino Zucchi erinnert sich an die Wohnung seiner Kindheit, die ihm viel Freiraum liess und ihn für sein ganzes Leben prägte.

Originaltext Englisch

Die Fassade des Wohnhauses an der Via Nievo überspielt eine durchlaufende Pfeilerstruktur.

Schleier und Kontext

Wohnhaus an der Via Ippolito Nievo 28/1, Mailand 1957

Christian Sumi

Wie auf einem Zählrahmen aufgereiht, durchbrechen unterschiedliche und locker verteilte Fensterformate den kompakten Körper des Wohnhauses an der Via Nievo und überspielen die innere Pfeilerstruktur.

Schaufassade an der Via Sambuco. Im Dachgeschoss befinden sich die Zellen der Nonnen mit einer gemeinsamen Loggia hinter dem halbtransparenten Hohlziegelvorhang.

Sprachgewandt wider das Dogma

Kloster Istituto Beata Vergine Addolorata, Mailand 1954

Ingrid Burgdorf

Ein betörender Schleier an der Klosterfront Istituto Beata Vergine Addolorata – oder: «Stil ist das, was bleibt, wenn die Mode geht.»

Der Bau im Industriegebiet am Naviglio Grande spielt mit Widersprüchen: Zwischen geradem Flur auf der Etage und kurzen Schrägen im Schnitt oder zwischen umschliessendem Sockel der Werkhallen und aufgesattelter Leichtigkeit der Verwaltung.

Wolkenbügel

Verwaltungs- und Fabrikationsgebäude Lord & Parisini, Mailand 1956

Philipp Esch

Loro & Parisini stellten im Industriegebiet am Naviglio Grande Baumaschinen her. Als dann Raum geschaffen werden soll, um Administration und Produktion zu vereinigen, gelingt Caccia Dominioni eine kühne Überformung.

Luigi Caccia Dominioni, Livio und Pier Giacomo Castiglioni: Radioapparat Phonola 547, 1940. Grundfläche 24 × 24 cm, einteiliges Phenolharzgehäuse über Metallchassis.

Vorbote italienischen Designs

Radioempfänger Phonole 547

Claude Lichtenstein

Caccia Dominioni und die Brüder Castiglioni schufen als erste den Radioapparat als technisches Gerät für den Hausgebrauch. Mit Phonola 547 leisteten sie einen wichtigen Beitrag zur Begründung des italienischen Industrial Designs.

Eine Folge von repräsentativen, grosszügig hohen Räumen wird wie eine filmische Sequenz montiert und in einer ausgeklügelten Regie von Durch- und Ausblicken durch Enfiladen oder von Galerien aus in Szene gesetzt. So in die Länge gezogen diese Fluchten scheinen, so knapp sind die dem Besucher verborgene Erschliessungszonen und Serviceräume der Bediensteten gehalten, die den Komfort der grossbürgerlichen Wohnung sichern.

Stilpluralistische Montagen

Casa Pirelli, Via Cavalieri del Santo Sepolcro, Mailand 1962

Marcel Meili

In der Casa Pirelli hat Luigi Caccia Dominioni sein Repertoire um das Verfahren einer parallelen Montage ausgeweitet, das es ihm erlaubt, exklusive bürgerliche Bilderwelten auf zwanglose Art in seine Raumschöpfungen zu integrieren.

Condominio an der Piazza Carbonari Mailand 1961

Zeitebene

Condominio an der Piazza Carbonari, Mailand 1961

Heinrich Helfenstein

Ungewöhnlich für seine Zeit ist nicht nur das Wohnhaus an der Piazza Carbonari selber, sondern auch die Art und Weise, wie es durch den Fotografen Giorgio Casali ins Bild gerückt wurde.

Blick hinab in das Theaterfoyer mit dem tropfenförmigen Mosaik des Künstlers Francesco Somaini, das zum Saaleingang hinführt.

In fliessender Bewegung

Teatro dei Filodrammatici, Piazza Ferrari, Mailand 1962-70

Fulvio Irace

Hinter der Jugendstilfassade des im Krieg zerstörten Theaters baute Caccia Dominioni einen unterirdischen Theatersaal, Büros und eine öffentliche Passage. Die Kunst von Francesco Somaini unterstützt kongenial die Entwurfsidee.

Originaltext Italienisch

Inszenierte Kontraste: An der Ecke begegnen sich Curtain Wall und Palazzo; die tradierte Hierarchisierung von Haupt- und Nebenfassade wird hintertrieben und ins Groteske verzerrt.

Schwefelspuren der Häresie

Büro- und Wohnhäuser Corso Europa, Mailand 1959 und 1966

Markus Peter

Irritierende und scheinbar unerklärliche Dissonanzen begründen den Zauber der Wohn- und Geschäftshäuser am Corso Europa. Perspektivwechsel und Faltungen lassen Brüche im Massstab des Urbanen entstehen, die dem «Stile di Caccia» seine extreme Diskontinuität verleihen.

Francesco Somaini, Kamin in der Wohnung von Luisa Bettoni Somaini, 1962, Sgraffito.

Kunst und Architektur als Kontinuum

Wohnhaus Somaini, Corso Italia 22, Mailand 1961-62

Letizia Tedeschi

Aus der Zusammenarbeit zwischen dem Bildhauer Francesco Somaini und Caccia Dominioni entstanden eigentliche Gesamtkunstwerke. In der (heute zerstörten) Wohnung am Corso Italia 22 kommt die gemeinsame Grundhaltung und stilistische Übereinstimmung in Struktur und dekorativen Mitteln zum Ausdruck.

Originaltext Italienisch

Wohnung an der Via Vigoni: Spiegel, Deckenleuchte und kreisrunde Öffnung ergeben ein irritierendes Vexierspiel und erweitern den Raum.

Der grosse Atem der Raumfolge

Condominio an der Via Vigoni, Mailand 1957

Axel Fickert, Kaschka Knapkiewicz

Man könnte sich an den legendären Paco-Rabanne-Stil der «Roaring Sixties» erinnert fühlen, wenn man das Korridorbild in der Via Vigoni betrachtet. Aber dahinter steckt mehr.

Caccias Wohnungsentwürfe umfassen auch Möblierungs- und Ausstattungselemente. Der Türgriff «Montecarlo» (oben) wurde 1975 für das Hochhaus Parc Saint Roman entwickelt und von Olivari
produziert.

Der Türgriff als architektonisches Projekt

Türgriffe Patata und Super für Azucena, 1958 und 1962

Luca Baroni

An der Schwelle zwischen Innen und Aussen kommt einem bequemen und schönen Türgriff eine wichtige Rolle zu. Will man solche Designobjekte von Caccia Dominioni beschreiben, kommt man nicht darum herum, sein Schaffen in einem weiteren Kontext zu betrachten.

Originaltext Italienisch

Die Luftaufnahme von Caccia Dominionis Siedlung San Felice gibt Aufschluss über die Vielfalt der Wohntypen und die klare Ordnung der Räume.

Eine metaphorische Siedlung

Wohnsiedlung San Felice, Mailand 1970

Christoph Luchsinger

Es gibt im Städtebau, ähnlich wie in der Mode oder im Kino, immer wieder Revivals. Die Verschmelzung von Artefakt und Natur ist ein solcher Topos. Caccia Dominionis Siedlung San Felice synthetisiert unterschiedliche Thesen und Konzepte des modernen Städtebaus und liefert Diskussionsstoff für aktuelle Stadtentwicklungsfragen.

Chebbi Thomet Architektinnen: Alterswohnungen Hirzenbach, Zürich 2002 – 08; Fassadenausschnitt mit glänzender Klinkerverkleidung und über Eck laufender Verglasung.

Bilder und Methode

Zur Rezeption von Caccia Dominioni in der Schweiz

Astrid Staufer

Seit den 1980er Jahren wird in der Schweiz über Luigi Caccia Dominioni geforscht und publiziert. Anders als in Italien, wo seine Arbeit während der 1950er und 60er Jahre in Zeitschriften zwar regelmässig präsentiert, von den wortführenden Kritikern aber aufgrund ihrer «ideologischen Unzuverlässigkeit» marginalisiert wurde, übt seine Figur auf die Schweizer Architekten einen anhaltenden Reiz aus.

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Neumitglieder BSA 2013

Dieses Jahr hat der Bund Schweizer Architekten BSA 23 neue Mitglieder aufgenommen.

Debatte

Wenn Architektur nicht an Bedeutung verlieren soll, so muss sie mit ihren ureigenen Mitteln Orte und Räume schaffen, die bewegen und grossartig sind. Ein Beitrag von Raphael Zuber.

Wettbewerb

Aus einem Baublock macht das Siegerprojekt in einem Investorenwettbewerb im luzernischen Emmen ein dichtes Kleinstadtquartier.

Recht

Mängelrügen bei Planerleistungen

Der Pavillon Heidi Weber am Zürichhorn in einer Aufnahme von ungefähr 1967.

Email von Le Corbusier

Die Paneele des Zürcher Pavillons für Heidi Weber

Catherine Dumont d' Ayot

Dauerhaft, farbecht, kratzfest: emaillierte Fassadenpaneele standen bis zum Siegeszug des eloxierten Aluminiums bei Architekten hoch im Kurs – nicht nur in Zürich.

Deitingen: Schmaler Durchgang zwischen Bank- und Ladengebäude mit Blick auf das bestehende Geimeindehaus. In den oberen Geschossen sind Alterswohnungen untergebracht.

Frischs Dorf

Drei neue Dorfzentren in Deitingen, Innertkirchen und Näfels

Thomas Stadelmann

Seit langem hat man nichts mehr von ihnen gehört, nun sind sie gleich an mehreren Orten am Entstehen: Dorfzentren vereinen die Funktionen des Gemeindelebens.

Die Wertstoffsammelstelle von raumfindung architekten vermittelt als landschaftlich gedachte Architektur zwischen Campus und Strasse.

werk-material 13.03 / 626

Miniatur zwischen Zwängen

Tibor Joanelly, Stefan Bienz (Bilder)

Wertstoffsammelstelle (Werkhöfe) der Hochschule Rapperswil von raumfindung architekten, Rapperswil

Recyclingstützpunkt in Saint-Prex von Pont 12 architectes.

werk-material 13.03 / 627

Rohe Kraft

Marielle Savoyat, Fred Hatt (Bilder)

Complexe communal et déchèterie (Atelier municipoux) in Saint-Prex von pont 12 architectes, Lausanne.

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