3 – 2015

Backstein

Sichtbackstein geniesst wieder einmal Konjunktur: In der Schweiz war er schon beliebt; als Industrieprodukt im Historismus weit verbreitet, in der Moderne als Avance ans Proletariat oder nach dem Zweiten Weltkrieg als konstruktives Ornament. Heute suchen Architekturschaffende nebst exquisiten Grand-Cru- und Vintage-Ziegeln auch nach anderen Ausdrucksmöglichkeiten für den Mainstream. Die Palette reicht dabei von geklebten und mit dem Roboter aufgeschichteten Steinen über selbsttragende Aussenwände und die Vorfabrikation bis hin zu eigenständigen Baugliedern, die Repräsentation und Wohnlichkeit vereinen. Allen in diesem Heft gezeigten Beispielen gemeinsam ist das, was Kenneth Frampton mit der Technik der Wand als «eine Art Weben» bezeichnet hat. Da liegt es nicht fern, vom Weben an der Architektur überhaupt zu sprechen: Ziegel nötigt die Entwerfenden zu Demut und Disziplin. Nur im Umgang mit diesen mannigfaltigen Voraussetzungen entfaltet sich kreative Kenner- und Könnerschaft.

Kunstschutzmassnahmen während des Zweiten Weltkriegs in der Galleria dell’Accademia in Florenz: eingemauerte Skulpturen Michelangelos, in der Bildmitte der «David».

Die Tiefe der Oberfläche

Über das Dilemma der Authentizität

Philipp Esch

Backsteinmauerwerk ist gespeicherte Zeit, Masse und Energie. Gerade in Zeiten der digitalen Surrogate wird dieses Versprechen besonders geschätzt. Aus dem Pathos des Mauerwerks folgt für die Architekten das Dilemma der Authentizität: Sichtbackstein kann eben sowohl lasttragende Mauer wie auch raumbegrenzende Wand sein.

Mit entwerfendem Scharfblick und handwerklichem Können wurden Backstein, Beton und Kalksandstein zu einem tektonischen Ganzen verwoben. Mehrfamilienhaus in Zürich von Käferstein & Meister.

Retro und real

Trotz 30 Zentimetern Dämmung tektonisch logisch konstruiert: Mehrfamilienhaus in Zürich von Käferstein & Meister Architekten

Die Engstelle im vertraut erscheinenden Hof des Jazz-Campus in Basel von Buol & Zünd.

Immer dagewesen

Nur ein Detail in einem reichen Programm: Backsteinfassaden im Jazz-Campus in Basel von Buol & Zünd Architekten

Ein tiefer Einschnitt im Krematorium im Waldfriedhof Stockholm von Johan Celsing Arkitektkontor trennt die Eingangshalle vom steinernen Bau.

Schwere des Steins

Der Erde und dem Wald verwandte Backsteinhülle: Das neue Krematorium im Waldfriedhof Stockholm von Johan Celsing

Gleichzeitigkeit von Zukunft und Vergangenheit ist dem Stein eingeschrieben: Als digital informiertes Fügen mit dem Roboter (Bild links: Gramazio Kohler Research, ETH Zürich) oder als archaisches Formen von Hand Bild: Daniel Kurz

Stein des Anstosses

Matthias Kohler, Charles Pictet und Jan Peter Wingender im Gespräch

Tibor Joanelly und Roland Züger

Die Ziegelherstellung hat sich in den letzten 30 Jahren stark ausdifferenziert. Bei Architekten hat dies zu einem Optimismus für die Konstruktion der Wand und zu einem wiedererwachten Bewusstsein über die Bedeutung dieses Baustoffs geführt. Und: zu einer Geschichte, die noch lange nicht zu Ende ist!

Erdenschwer und doch mit Leichtigkeit: Das Spiel mit Anforderungen schafft tektonische Möglichkeiten wie hier im Schulhaus Kopfholz in Adliswil.

Zweischalig und tektonisch?

Backsteintechnik aktuell

Daniel Mettler und Daniel Studer

Technischer Fortschritt und neue Ansprüche an Bauwerke sind Motoren der steten Neuerfindung der Backsteintechnik. In einer Betonmatrix eingebettete Backsteine erlauben rationell hergestellte Aussenschalen, handgeformte und komplexe Spezialsteine machen schwierige Gebäudegeometrien möglich. Was haben wir als nächstes zu erwarten?

Die vertikal aufkragenden Backsteine bringen ihren nicht tragenden Einsatz als Oberfläche von mächtigen Betonelementen zur Sprache: Schulhaus Kopfholz in Adliswil von Boltshauser Architekten.

Schmetterling in Backstein

Backstein als vertikales Relief: Schulhaus Kopfholz in Adliswil von Boltshauser Architekten

Die Körper der drei Wohnhäuser in Solduni von Francesco Buzzi sind nahtlos mit Elementen aus vom Roboter gefügten Ziegeln bekleidet.

Tolerantes Kleid

Luftig wie Tüll: Das Backsteinkleid dreier Häuser in Solduno von Francesco Buzzi

Der Neubau des Studentenzentrums LSE-Campus in London von O\\'Donell + Tuomey wird in eine sehr dichte städtische Situation
eingepasst, in der Backstein schon vertreten ist.

Stein-Gymnastik

Sagenhaftes Backstein-Puzzle: Studentenzentrum der LSE in London von O'Donnell+Tuomey Architects

Klinkerstütze auf Betonsockel, ein Werk des jungen deutschen
Bildhauers Karsten Födinger. Ein Monument für den Fetisch
des massiven, tragenden Backsteins.

Den Golem formen

Fetisch Backstein in der Architektur

Hannes Mayer

In seiner Formenlehre der norddeutschen Backsteingotik legt Fritz Gottlob um 1900 ein Thema an, das bis heute wirkt: Das Credo des tugendhaften massiven Backsteinbau und die Ablehnung von Vorblendungen. Der Entwurf des Verbandes feiert ihn als Fetisch.

Die Wohnanlagen des Architekten Gustav Oelsner mit ihren speziellen Ziegeln und dem wie zufällig entstandenen Verband verströmen noch heute einen besonderen Reiz. Im Bild: Wohnensemble Schützen- / Leverkusenstrasse, Hamburg-Ottensen, 1925 – 26.

Engagiertes Materialbewusstsein

Nachhaltig bauen mit Backstein

Nicola Nett und Tanja Reimer

Kurzfrstige Invstitionsstrategien und die Berechnungsweisen von Nachhaltigkeitslabels stehen dem Backstein im Weg. Neue Lösungen finden sich in wärmedämmendem Einsteinmauerwerk oder in der völligen Trennung von Fassade und innerer Struktur.

Quer versetztes Einsteinmauerwerk mit Perlitfüllung. Im Bild: Haus A im Hunziker Areal in Zürich von Duplex.

Sechs Geschosse einschalig

Ohne zusätzliche Dämmung effizient: Häuser aus Einsteinmauerwerk im Hunziker Areal in Zürich von Duplex Architekten

Alle konstruktiven Erfordernisse, wie beispielsweise die Ringanker aus Beton, treten aussen nach statischer Notwendigkeit in Erscheinung: Einfamilienhaus in Asse von Blaf.

Intelligente Ruine

Zwei Hüllen und ein Haus: Einfamilienhaus in Asse von Blaf Architecten

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Debatte

Stadtbaukunst? Architektonischer Anspruch im grossen Massstab. Ein Debatten-Beitrag von Andreas Sonderegger, Mitbegründer von pool Architekten und Mitglied des BSA-Zentralvorstands

Wettbewerb

Anonymes Konkurrenzverfahren Bâloise Park, Basel

Markt

Tessin – Was ist los mit diesem Markt? 

Bücher

Jane Jacobs. Gegen den Tod der Städte

Ausstellungen

Bigger Than Life. Ausstellung zu Ken Adam in Berlin

Toni-Areal, Zürich. Hochschule von EM2N.

Toni-Areal: Im Bauch des Wals

Filip Dujardin

Das Toni-Areal im Betrieb: Der flämische Fotograf erkundet die so genannte «Stadt im Haus». Er porträtiert raue Aussenräume, die Weite der Eingangshalle und versteckte poetische Details.

Blick auf das Toni-Areal, Zürich. Hochschule von EM2N.

Toni-Areal: Stadtspaziergang in Zürich West

Hochschule von EM2N

Boris Sieverts

Welche Rolle spielt das Toni-Areal im Kontext der Umwälzungen im einstigen Industriequartier, und auf welche Situationen trifft der Besucher im Alltag der Schule? Boris Sieverts hat Haus und Quartier in Augenschein genommen.

Konkav geschnittener Kubus an Bahn und Autobahn: Hauptsitz Sedorama in Bern von EM2N Architekten.

werk-material 06.05 / 648

Wille zur Skulptur

Gabriela Güntert, Roger Frei (Bilder)

Hauptsitz Sedorama in Schönbühl BE von EM2N Architekten, Zürich

Zarte Lisenen konstrastieren mit dem breiten Brüstungsband vor der Attika: Neubau Geschäftshaus in Hünenberg von Oswald Irriger Wirz Architekten.

werk-material 06.05 / 649

Spezifisch generisch

Caspar Schärer, Andrea Helbling (Bilder)

Geschäftshaus Lasse Kjus in Hünenberg ZG von Oswald Irniger Wirz Architekten, Zürich

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