5 – 2019

Fügen in Holz

Neue Freiheit im Knoten

Es scheint fast so, als hätte ihr Interesse am «Gegenständlichen» die Dinge eher voneinander isoliert als einander nähergebracht: Zwischen den Knoten wurde es leer. Natürlich kennt die Moderne auch andere Beispiele. So hat etwa Jean Prouvé, der französische Meister der in Form gepressten Bleche, das obige Prinzip der rückwirkenden Vermehrung verinnerlicht. Seine Entwürfe sind Lehrstücke in Bezug auf die gegenseitige Adaptation und formale Durchdringung von Bauelementen. Es dauerte fast ein halbes Jahrhundert, bis ein so hoher Grad der Integration wieder erreicht werden konnte; an die Stelle von Metallblechen sind allerdings Holzstäbe getreten. Dank CNC-gesteuerter Fertigung und angesichts CO₂-minimierter Budgets fällt auf, dass Holzverbindungen zunehmend plastische Qualitäten annehmen, der handwerklichen Formgebung nicht unähnlich. Es sind neben den Knoten im Baugewebe wieder auch die Stäbe, welche die Aufmerksamkeit der Konstrukteure einfordern. Dass die Kräfte, die in komplexen Verbindungen wirken, auch die Stäbe formen, zeigen sehr schön die verzogenen Querschnitte der Dachbalken im Firmensitz der Max Felchlin AG von Meili, Peter & Partner, der uns zu diesem Heft inspiriert hat.

In dem «schwebenden» Baukörper finden viele Dinge zueinander: Der neue Verwaltungstrakt (rechts) und die bestehende Produktionshalle (links), Räume für die Kundenbetreuung und für die Mitarbeiter (im obersten Geschoss) sowie, mit grosser Wirkung: das Bild der Berge und die Architektur.
Bild: Georg Aerni

Japan zwischen Bergen

Firmensitz Max Felchlin in Ibach von Meili, Peter & Partner

Tibor Joanelly, Georg Aerni (Bilder)

Für den Hauptsitz des Schokoladeherstellers Felchlin in Ibach SZ haben Meili, Peter & Partner die verschiedenen architektonischen Ingredienzen wie beim Homogenisieren von Schokolade durch geduldige Entwurfsarbeit gefügig gemacht und unauflösbar verbunden. Aus den elementaren Teilen ist eine homogene Substanz entstanden, deren japanischer Anmut man sich nicht entziehen kann.

Eckknoten der Dachkonstruktion über dem Verpflegungsraum im «Condirama» des Firmensitzes Max Felchlin, an jener Stelle, wo die Kräfte aus dem Dach und dem Fachwerkausleger in die Stütze eingeleitet werden. 
Zeichnung: Lukas Eschmann

Tendenz zur Konzentration

Technische Evolution und architektonische Potenziale

Markus Peter

Ausgehend vom Felchlin-Entwurf fragt Markus Peter nach generellen Tendenzen in der technologischen Entwicklung von Holzverbindungen und deren architektonischen Potenzialen. Dabei zeigt sich, dass im Ingenieurholzbau, der Zimmermannsverbindungen weitgehend verdrängt hat, in immer komplexeren Knoten viele Bauteile und immense Lasten zusammenkommen.

In einer Regenbogenbrücke verweben sich acht Balken des Haupt- und neun Balken des Nebenbogens. 
Bild: Su Xudong

Fliegende Balken

Hebelstabbrücken in China

Udo Thönnissen

Hebelstabwerke erlauben dank kurzer Elemente und minimaler Verbindungen den schnellen und einfachen Bau von Tragkonstruktionen mit beachtlichen Spannweiten. In China wird die über 1000 Jahre alte Technik derzeit wiederentdeckt, in Europa finden Entwürfe von da Vinci neues Interesse, in Tansania entstand aus ETH-Forschungen der Ergänzungsbau einer Primarschule.

Wie eine Brücke reckt sich das Wohnhaus auf schmalem Fuss am Steilhang empor.
Bild: Nelson Kon

Schönheit der Effizienz

Haus in Morumbí von Hélio Olga und Marcos Acayaba

Annette Spiro, Nelson Kon (Bilder)

An einem Steilhang in São Paulo bauten der Ingenieur Hélio Olga und der Architekt Marcos Acayaba Ende der 1980er Jahre eine radikal optimierte Trag- und Raumstruktur. Die Holzkonstruktion steht wie der Pfeiler einer unfertigen Brücke auf einem Fuss quer zum Hang. Als industrieller Prototyp gedacht, wurde das Haus ohne Kran und Gerüst in 45 Tagen erstellt.

Konrad Wachsmann, Grapevine Structure, Raumstruktur resultierend aus der Verbindung mehrer Knoten. 
Bild: Akademie der Künste, Berlin, Konrad-Wachsmann-Archiv

Lose geknüpft

Konrad Wachsmanns Grapevine Structure im Realitäts-Test

Tibor Joanelly

Konrad Wachsmann entwickelte auf seiner obsessiven Suche nach einem standardisierten Knoten für räumliche Fachwerke Anfang der 1950er Jahre die Grapevine Structure. Der Versuch, diese «berührungslose» Verdrillung von Elementen mit heutiger CNC-Technologie zu bauen, zeigte, dass die komplette Isolierung baulicher Glieder eine moderne Utopie bleiben muss.

Poetisch: Zusammengebaut sieht der Knoten (fast) aus wie eine simple Gehrung – nur würde diese alleine nicht halten.
Zeichnung: Uli Matthias Herres

Poetik der Verbindung

Wirkungsweisen und Herstellungstechniken im japanischen und europäischen Handwerk

Uli Matthias Herres

Im japanischen Holzbau erzählen Verbindungen poetische Geschichten; sie zeigen nur in Andeutungen, wie die Hölzer gefügt sind. Das europäische Handwerk steht dagegen in einem direkten Verhältnis zur Ökonomie der Mittel, sein Reiz liegt oft im Spiel mit dem Pragmatismus. Die CNC-Fräse erfordert eine neue Art des entwerferischen Erzählens.

Anzeige

Debatte

Die Untersuchung einer Zürcher Siedlung mit zwei Lüftungskonzepten zeigt, dass die Komfortlüftung im Vergleich zur Fensterlüftung sowohl ökologisch wie auch finanziell deutlich schlechter abschneidet.

Wettbewerb

Die Stadt Bern plant auf dem Viererfeld den Bau eines neuen Quartiers. Der städtebauliche Wettbewerb hat ein Projekt hervorgebracht, das die losen Enden der Stadt präzise miteinander verknüpft.

Ausstellungen

Im von Brauen Wälchli umgebauten Musée historique in Lausanne werden das Gebäude und seine Umgebung zu Exponaten. In Zürich bietet eine neue Ausstellung im Landesmuseum Ersatz für ein Stadtmuseum. Und die Materialsammlung der ETH Zürich zeigt Holzverbindungen – Ausdruck tektonischer Kultur.

Bücher

Kann, darf oder muss Architektur politisch sein? Aus einer Diskussion an der Architekturuniversität Luxemburg ist das Buch Architecture between Aesthetics and Politics enstanden, das zum Nachdenken über die eigene Position anregt. Sowie: ein bereichernder Longread von Irénée Scalbert und ein Typologiewälzer von Andreas Lechner.

Nachrufe

François Maurice (1925 – 2019) Originaltext Französisch
Irma Noseda (1946 – 2019)

Schüssinsel-Park (Fontana Landschaftsarchitektur)
Bild: Michael Blaser

Selbstbewusst dank Grundbesitz

Wie Biel seine Entwicklung plant

Caspar Schärer, Michael Blaser (Bilder)

Der dritte Teil dieses Hefts blickt auf Biel. Zum Einstieg eine Velotour durch eine Stadt, in der viel gebaut wird und die sich entlang einem Flussraum neu programmiert.

Die denkmalgeschützte Aluminiumfassade blieb beim Umbau integral erhalten.
Bild: Dirk Weiss

Zwanzig mal sanfter

Daniel Kurz

Echter als echt: Eine Bieler Architektengruppe hat das 1959 von Max Schlup erbaute Farelhaus erworben, wieder hergestellt und zu einem urbanen Treffpunkt gemacht.

Bessere Performance, aber kein «neuer Glanz»: Die orignalen Fenster und Brüstungsgläser
wurden effektvoll ertüchtigt.
Bild: Alessandro Petriello

Grüne Nachkriegsmoderne

Sanierung der Tour de la Champagne in Biel durch Graser Architekten

Alois Diethelm, Alessandro Petriello (Bilder)

Jürg Grasers Sanierung des Hochhauses La Champagne von Walter Schwaar beweist, dass Substanzerhalt und energetische Ertüchtigung weder unvereinbar noch unbezahlbar sind. Artikel online lesen

Die expressive Treppe auf der Hofseite ist gleichzeitig Erschliessung und privater Aussenraum. Die Aussenküche auf der Dachterrasse steht der ganzen Hausgemeinschaft zur Verfügung. 
Bild: Dirk Weiss

werk-material 01.02 / 732

Licht für die Kunst

Mira Heiser, Dirk Weiss (Bilder)

Atelierturm in Biel von 0815 Architekten

Der Neubau in Holz-Elementbauweise ordnet sich in Volumen und Ausdruck der historischen Siedlung unter und schliesst den Hofraum zur Strasse hin ab. Im Sockelgeschoss ist eine Demenzwohngruppe untergebracht.
Bilder: Alexander Jaquemet

werk-material 01.02 / 733

Schlicht vereint

Benjamin Muschg, Alexander Jaquemet (Bilder)

Wohnsiedlung Wasen in Biel von Joliat Suter und Lars Mischkulnig

Lesen Sie werk, bauen + wohnen im Abo und verpassen Sie keine Ausgabe oder bestellen Sie diese Einzelausgabe