Paris ist eine Stadt im Umbruch: Immer häufiger haben wir in den letzten Jahren neugierig nach Frankreich geblickt, wo sich im Schatten des allgegenwärtigen Bling-Bling neue, ganz eigenständige Ansätze einer ernsthaften Architektur abzeichneten: Bauten von Eric Lapierre, Bruther, Muoto oder Barrault-Pressacco machten mit einer äusserst reduzierten, aus der Konstruktion und einem sozialen Konzept heraus gedachten Architektursprache auf sich aufmerksam: Tektonik ist auf einmal wichtiger als äussere Bewegtheit, eine gewisse Nüchternheit des Ausdrucks wird zum Programm, soziale und ökologische Glaubwürdigkeit stehen im Zentrum. Junge und innovative Architekturschaffende haben es jedoch nicht leicht in einem Land, wo die gesamte Immobilienwirtschaft in den Händen weniger mächtiger Entwicklungsgesellschaften liegt. Mit dem gross angelegten Innovationswettbewerb Réinventer Paris hat Anne Hidalgo nicht nur junge Architekturansätze, sondern auch ungewohnte Projektträgerschaften gefördert; in ihrem Auftrag schaffen die städtischen Liegenschaftenverwaltungen (RIVP, Paris Habitat) und sogar das ÖV-Unternehmen RATP auf den letzten verbleibenden Nischengrundstücken Freiräume für neue Architektur. Das schwelende Problem der französischen Hauptstadt, die tiefe Kluft zwischen der schicken, von Airbnb geplagten Kernstadt, und der sehr viel grösseren Banlieue, wo Millionen von Menschen von der globalisierten Wirtschaft kaum mehr gebraucht werden (manche Gemeinden kennen Arbeitslosenquoten von 35 bis 40 Prozent), diese Kluft wird auch mit dem zentralstaatlichen Grand Paris-Projekt nicht kleiner – denn dieses zielt primär auf den globalen Städtewettbewerb. Es zeichnet sich ab, dass die Benachteiligten auch weiterhin das Nachsehen haben.
Von den 11 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern des Grossraums Paris leben 9 Millionen ausserhalb des Boulevard Périphérique, in der Banlieue. Nicht wenige sind vom städtischen Leben und dem Arbeitsmarkt weitgehend ausgeschlossen. 2007 verkündete Nicolas Sarkozy die Schaffung eines Gross-Paris. Seither wird am 200 Kilometer langen Metro-Ring des Grand-Paris Express gebohrt, doch von der versprochenen sozialen und politischen Integration ist wenig geblieben, stellt unser Autor fest. Ist Le Grand Paris nur noch ein Immobilienprojekt im globalen Städtewettbewerb?
Paris war Europas erste Automobil-Hauptstadt, und Le Corbusier kann man sich ohne freie Fahrt für seinen Voisin nicht vorstellen. Jahrzehntelang dominierte das Auto den öffentlichen Raum – doch nun hat sich das Blatt gewendet: Seit zehn Jahren bauen rot-grüne Stadtregierungen Radwege und Busspuren, die grossen Plätze werden umgebaut und die Verkehrsfläche radikal reduziert: Aus Verkehrswüsten wird Raum für Menschen, für Langsamverkehr und Erholung.
Ein riesiger Park, eine Silhouette von lebhaft bewegten Türmen, das höchste Hochhaus im Norden der Stadt: Das Entwicklungsgebiet Clichy-Batignolles gilt als Ökoquartier und Vorzeigeprojekt. Doch eine klare Auffassung von Stadt ist nicht erkennbar, und hinter den ondulierenden, gefalteten oder gestanzten Blechfassaden macht sich das Einerlei des Investoren-Wohnungsbaus breit. Steht das Neubauquartier für das Ende des punkigen French touch, der seit den 1990er Jahren die Architekturszene beherrschte? Originaltext Französisch
In der Pariser Immobilienwelt, die von wenigen Grossunternehmen kontrolliert wird, haben junge Architektinnen und Architekten einen schweren Stand. Offene Wettbewerbe gibt es kaum, und auch öffentliche Aufträge gehen meist an etablierte Teams. Neue Wege werden trotzdem im Rahmen von Ausstellungen, kunstnahen Projekten oder kleinen Umbauten erkundet. Zwischennutzungen und interdisziplinäre Planungsverfahren schaffen neue Freiräume, und der Wettbewerb Réinventer Paris bot ungeahnte Möglichkeiten. Originaltext Französisch
Wo liegen die neusten Trouvaillen, wo bauen die Jungen, und wie findet man die angesagten Neubauquartiere? Eine Auswahl aus Grand Paris finden Stadtliebhaber auf vier Steiten oder online, prall gefüllt mit Hinweisen für die nächste Reise.
Die Eingabefrist unseres Nachwuchswettbewerbs «Erstling» läuft neu bis zum 30. September, der FAS Ticino lanciert einen Nachwuchswettbewerb und werk-material.online hat ein neues Release erhalten.
Justus Dahinden 1925–2020
Der Schlüssel zum günstigen Wohnen liegt bekanntlich vor allem im Grundstückspreis. So wird dieser Tage wieder öfter die Wohnungsfrage als Bodenfrage debattiert – unter anderem am Lehrstuhl für Architektur der Universität Luxemburg. Florian Hertweck hat den Tagungsband Positionen und Modelle zur Bodenfrage als Buch herausgebracht. Für Reisen nach Paris empfehlen wir wärmstens den Reiseführer Grand Paris unseres Autors Günter Liehr – und für Ferien in der Schweiz die Wandervorschläge Für Stadt und Dorf vom Schweizer Heimatschutz.
Die Museen sind aus dem Corona-Schlaf erwacht: Wir empfehlen einen Blick in die Schau zur Tiroler Architektur der 1970er Jahre in Innsbruck und eine Vertiefung in den Pariser Stadtumbau der Verkehrsräume. Geschichte und Zukunft der Champs-Élysées sind im Pavillon de l’Arsenal und als virtuelle Ausstellung zu geniessen.
Horisberger Wagen und Stehrenberger Architektur schufen einen stattlichen Rahmen für die mittelalterliche Anlage des Landenberghauses in Greifensee, inklusive feiner Klänge im Detail.
Es bedurfte einer Bürgerbewegung, um die Luzerner Zentralbibliothek von Otto Dreyer zu retten. Lussi + Halter erneuerten den Bau und programmierten ihn neu.
Nicht weniger als drei Geschosse setzten Lacroix Chessex als Aufstockung auf einen Wohnblock in Genf – dank Tragwerkreserven des Bestands und eines Wettbewerbs, der Türen öffnete. Originaltext Französisch