Auch wenn sein historischer Kern in der periurbanen Siedlungslandschaft ertrinkt – oder unter Entvölkerung leidet: Das Dorf bleibt politischer Handlungsraum und Identifikationskern in der mobilen Konsumgesellschaft. Dazu muss es sich jedoch mancherorts neu erfinden. Das gilt für Agglomerationsgemeinden im Bauboom genauso wie für die von Entleerung bedrohten Bergdörfer. Manchen Gemeinden gelingt es, diese Identität dank beharrlicher politischer und planerischer Arbeit zu stärken: Sie beleben historische Bauten neu, schaffen Wohnraum im Dorf und pflegen den öffentlichen Raum im Dorfzentrum. Dafür sind klare Entwicklungsziele und kommunaler Grundbesitz die zentrale Voraussetzung, weitsichtige Politikerinnen oder Politiker unverzichtbar und der aktive Einbezug der Bevölkerung zwingend. Wichtig ist aber auch die Begleitung durch Ortsbildkommissionen und engagierte Fachleute wie etwa in den Bergdörfern Vrin und Valendas durch Gion A. Caminada, im sanktgallischen Mels durch Christian Wagner oder in Prangins, der Wakkerpreis-Gemeinde 2021, durch Bruno Marchand: Sie haben als treue und ortskundige Sachwalter den Prozess über lange Jahre in Gang gehalten, seine Ziele im Auge behalten und Methoden der öffentlichen Mitwirkung angeregt. Auch junge Architektinnen und Architekten haben in den letzten Jahren vermehrt das Dorf als Handlungsraum wiederentdeckt, wo ihre Arbeit ein unmittelbares Echo findet und ungewohnte Wirkung erzielen kann.
Gion A. Caminada und Tibor Joanelly sehen in ihrem Gespräch über das Dorf Grund zur Hoffnung. Zum einen entlasten Gemeindefusionen vom wirtschaftlichen Druck – zum anderen gibt es immer mehr Menschen, die Neues ins Dorf tragen, es zugleich verstehen und nicht nur seine Schönheit geniessen. Die Entwicklung erfolgt dann von innen und aus der Nähe zu den Dingen.
In der Überbauung Im Burggarta/Erlihuus in Valendas von Gion A. Caminada sollen die Jungen wohnen, damit sie dem Dorf erhalten bleiben und nicht abwandern. Im Zwischenraum liegt das Besondere der Anlage, dort entsteht eine starke «Resonanz» von Nutzungen, Blicken, Gesprächen. Auch die Wohnungen vermitteln zwischen den Trakten: Sie bestehen aus einem beheizten Teil und einer grosszügigen Laube mit einem regulierbaren Zwischenklima.
Die Genferseegemeinde Prangins stärkte ihre Identität – will heissen: ihren Dorfkern. Politischer Wille, kluge Beratung, Architekturwettbewerbe mit geglückten Resultaten und eine gute Freiraumplanung haben dem Dorf ein neues Gesicht verliehen. Das sind Gründe genug für die Auszeichnung mit dem Wakkerpreis 2021.
Sie bauen in Uri und im Jura oder arbeiten an der Raumplanung in Glarus-Nord. Ihr Lebensmittelpunkt ist aber nicht das Dorf, sondern die Stadt – man pflegt eine Art On-off-Beziehung. Wie verändert der Blick von aussen die Tätigkeit im Dorf? Ein Gespräch mit der jungen Generation: Baumann Lukas, Ruumfabrigg und Comte Meuwly mit MacIver-Ek Chevroulet.
Mit dem Bau eines neuen Rathauses und des Kultur- und Kongresshauses Verrucano gab der Gemeinderat Gegensteuer zum drohenden Verlust von Mels’ Mitte. Das Dorf bei Sargans erhielt nicht nur einen neuen Ort für die über 80 Vereine, sondern auch einen neuen Platz und eine neue Zentrumsplanung – alles zusammen bottom-up mit der Bevölkerung entwickelt.
Martin Klopfenstein plädiert in seinem Essay von der «dunklen Architektur» dafür, das Hässliche, Kaputte einzugestehen, um dem unerwartet Schönen Gestalt zu geben.
Ob ein besseres Morgen möglich sei, fragt die Tessiner Ortsgruppe des BSA mit ihrem Wettbewerb für Architekturstudierende unter dem Titel tomorrow ? Drei ex aequo prämierte Arbeiten sagen Ja!, und repräsentieren drei verschiedene Medien: Assemblage, Film und Text.
Jetzt wo die Museen wieder offen sind, kann man in Zürich anlässlich von Total Space Begegnungen der anderen Art machen, Enzo Mari in Mailand besuchen oder in Wien der rhetorischen Frage nachgehen, ob der Boden für alle reicht.
Jenny Keller empfiehlt das neue Buch von Archijeunes: Elemente einer baukulturellen Allgemeinbildung; Tibor Joanelly stellt einen tiefschürfenden Führer zur Frankfurter Architektur der 1980er sowie den biografischen Roman Le Corbusier Saga vor. Daniel Kurz lobt Jürgen Tietz’ Essay Die drei Monde der Moderne sowie Agro City, einen Denkanstoss des Afrikakenners Al Imfeld.
Vieles ist vergänglich, ein gedrucktes Magazin nicht: Vier Arbeiten aus dem Architekturkritikwettbewerb Erstling sind dieses Jahr bei uns zu lesen. Den Anfang macht Mirjam Kupferschmid mit dem Bericht über einen Arbeits- und Wohnraum von Bessire Winter, der selbst schon wieder Geschichte ist. Artikel online lesen
Nach der Walliser Hebamme Adeline Favre ist das Haus für das Gesundheitswesen der ZHAW in Winterthur benannt. Im Innern stapeln Pool Architekten die Räume und Nutzungen und lassen einen überdachten Ort des informellen Austauschs entstehen.