Ende des 20. Jahrhunderts hat mit dem Siegeszug der «Swiss Box» die Schweizer Architektur weltweit Beachtung gefunden. Kubisch gegliederte Volumen, abstrakte Fassaden und möglichst fugenfreie Ausführung – wenn möglich in Sichtbeton – galten als Erfolgsrezept zum ikonischen Bau. Zwanzig Jahre später sind solche Bemühungen weitgehend aus dem Diskurs verschwunden, existieren allenfalls noch als Kulisse im Kriminalfilm. Seit geraumer Zeit beobachten wir vermehrt ein Interesse an einer handwerklichen Durchbildung von Fassade und Baukörper. Nicht zuletzt durch die Debatten um eine klimapositive Architektur werden Themen wie der konstruktive Witterungsschutz und der sommerliche Wärmeschutz wieder ernst genommen. Das erwachende Interesse an Nützlichkeit und Konstruktion geht dabei nicht selten parallel mit einem Interesse an der Wahrnehmung von Architektur. Wetter und Schatten, Ratio und Emotion finden nicht zuletzt Halt am Gesims, dem Thema dieses Hefts. Am Gesims erklärt sich sozusagen gleichzeitig die physikalische und visuelle Mechanik einer Fassade.
Was kann man zum Gesims noch lernen? Viel, meint der Barockforscher Maarten Delbeke, der an der ETH Zürich lehrt. Mit einem kunstgeschichtlichen Rückblick an der Schnittstelle zur aktuellen Ausstellung führt er ins Thema ein. Originaltext Englisch
Wie kommt man in einem zeitgenössischen Entwurf darauf, wieder mit Gesimsen zu arbeiten? Paul Vermeulen beschreibt seine Ideen zum Entwurf des gemischten Blocks im flandrischen Gent. Originaltext Niederländisch
Dem Neubau ist eine weite Platzfläche vorgelagert. Anne Holtrop aktiviert diese mit einer stark verschattenden Fassade und gebautem Sonnenschutz. Originaltext Englisch
Ein Ersatzneubau sprengt oft seinen Kontext. Nicht beim neuen Wohnbau am Zürcher Waldmeisterweg von Lütjens Padmanabhan. Der Trick liegt in der Einführung eines Gesimses mit grafischer Wirkung.
Im berühmten Essay «Valori della modanatura» rehabilitierte Luigi Moretti 1952 das Gesims als durch und durch abstraktes Element der Architektur mit enormer Wirksamkeit für die Gliederung von Volumen, Fassaden und auch von Innenräumen. Der Schlüsseltext ist hier erstmals ungekürzt in deutscher Übersetzung zu lesen. Originaltext Italienisch
Die gemeinsame Serie von werk, bauen + wohnen und Hochparterre geht weiter: Adrian Altenburger und Philippe Jorisch nehmen Stellung zu den Forderungen des Climate Action Plan CAP der Klimastreikbewegung.
Die HSG St. Gallen expandiert in die Stadt. Unser Autor Volker Bienert wertet den Sieg von Pascal Flammer für den Campus Platztor in St. Gallen als grosses Glück. Gleichzeitig kritisiert er die missglückte Bereinigungsstufe, die dem Siegerprojekt zugesetzt habe und fordert mehr Vertrauen in den offenen Wettbewerb.
Skepsis gegenüber der architektonischen Form und gleichzeitiges Interesse an ihr attestiert Autor Holger Schurk den Entwürfen von Rem Koolhaas. Tibor Pataki hat das Buch Projekt ohne Form über OMAs Laboratorium von 1989 für uns gelesen. Ein bilderreiches Buch über die Zürcher Europaallee zeigt deren Alltag und erklärt ihre städtebauliche Struktur, und der Katalog zum israelischen Biennale-Pavillon Milk.Land.Honey beschreibt die Geschichte Israels aus der Sicht der Tiere als Transformation von Landschaft und Natur.
Die Ausstellung zu diesem Heft: Die unterschätzte Horizontale. Das Gesims in Kunst und Architektur läuft in der Graphischen Sammlung der ETH; im Kunstmuseum Olten sind Fotografien von Iwan Baan und Daniela Keiser zu den Themen Architektur, Licht und Gebrauch zu sehen.
Mit dem Théâtre de la Nouvelle Comédie am CEVA-Bahnhof Eaux-Vives haben FRES architectes in Genf ein neues Stadttheater geschaffen. Der Theaterbau der Superlative vereint alle Theaterberufe und präsentiert sich in kühler Glätte. Originaltext Französisch