7/8 – 2022

Bau und Baum

Beziehung zwischen Architektur und Natur

Sei es zur Steigerung des persönlichen Wohlbefindens – das Motto heisst «Waldbaden erdet» – oder als Rettungsanker in Klimadebatten – «Grün gegen die Hitze» – Bäume sind in aller Munde. Im Februar 2021 konnte man handfest erleben, wie wichtig vitales Grün beispielsweise in Städten ist: Die Schäden durch starken Schneefall, der den hitzegestressten Stadtbäumen arg zusetzte, gehen in die Millionen (alleine für die Stadt Zürich). Spätestens als die Bäume ihre Äste so zahlreich liessen, dass sogar Schulkinder zu Hause bleiben mussten, dämmerte es wohl den Letzten: Wir müssen über Bäume reden. In der Geschichte haben Bäume seit jeher einen besonderen Status. Unter ausladenden Linden wurde einst Gericht gehalten oder ausgiebig getanzt. Manch kolossales Exemplar liess die Menschen an kosmische Mächte glauben – so wurden Bäume auch Ziel von Wallfahrten. Ausser Frage steht, dass ein Baum Kraft verströmt. Er symbolisiert die Verbindung von Mensch und Natur, von Himmel und Erde und ist Spiegelbild für das Kommen und Gehen des Lebens; in seiner Krone wird der Lauf der Jahreszeiten sichtbar. Und so schafft ein Baum als lebendiges Wesen selbst in städtischen Gefilden eine Verbindung zur Natur. Zu einem Schloss gehören Park und Allee. Aber wie steht es mit den Bäumen entlang unserer Strassen? Bemerken wir deren Funktion erst, wenn sie fehlen, wenn Leitungskanäle und Tiefgaragen sie von ihren Grundlagen abgeschnitten haben? Sollten wir den Bau nicht wieder mit dem Baum, das Bauliche mit dem Erbaulichen zusammendenken?

Ludwig Mies van der Rohe prüft die Wirkung seines Farnsworth House (1949–54) im Schatten des schwarzen Zucker-Ahorns, der 2013 leider ersetzt werden musste. Bild: William Leftwich, 1947

Bild: Ludwig Mies van der Rohe, portrait, New York City, NY, 1947. William Leftwich, photographer. Edward A. Duckett Collection, Ryerson and Burnham Art and Architecture Archives, Art Institute of Chicago / © 2022, ProLitteris, Zürich

Baum gesucht

Wie das Haus durch einen Baum gewinnt

Annette Spiro

Ein grosser Baum macht ein unscheinbares Haus schön – und ein schönes Haus kann gar von einem Baum verzaubert werden. Das hat die Architektin und Professorin im Alltag wiederholt beobachtet. Sie erklärt, über welche Wirkung Bäume verfügen und von welchem Nutzen sie für die Architektur sind. Ein persönliches Plädoyer will den Bäumen mehr Geltung verschaffen.

Spitzahorn, Acer platanoides

Die Winterlinde und der Spitzahorn sowie die Zerreiche sind nur drei von über 1000 Zeichnungen aus dem Wurzelatlas von Kutschera /Lichtenegger, den die Universität Wageningen digital im Archiv hat: https://images.wur.nl/digital/collection/coll13. Zeichnungen: Erwin Lichtenegger

Wurzelatlas

Unbekannte Unterseiten

Roland Züger, Erwin Lichtenegger (Zeichnungen)

Das Wort vom Wood Wide Web geistert durch die Kulturwissenschaften. Denn unten im Boden von Wäldern läuft alles auf Koexistenz hinaus: Bäume kommunizieren nicht nur mit ihresgleichen, sondern über die Wurzeln auch mit anderen Arten, mit Pilzen und Mikroorganismen. Wir zeigen, was Bäume unterhalb der Architektur so treiben – und wie das auch in Architekturplänen eigentlich gezeichnet sein müsste.

Vorbild für die Baubotanik: Im Tanzsaal in
der Krone der rund 450-jährigen Linde
in Peesten wird seit Jahrhunderten gefeiert.
Bild: Reinhold Möller

Mit Bäumen bauen

Zur Baubotanik von Ferdinand Ludwig

Ulrike Wietzorrek

Seit jeher sorgen Bäume für die reichliche Verfügbarkeit von Baumaterial. Doch was wäre, wenn ihre besten Eigenschaften von Tragen und CO₂- Absorption unmittelbar und ohne Zurichtung durch die Säge genutzt würden? Ferdinand Ludwig, Professor für Grüne Technologien an der TU München, erforscht und baut wachsende Architektur. Seine Vorbilder für Koexistenz sind mittelalterliche Tanzlinden und Jahrhunderte überdauernde Brücken in Indien.

Tezuka Architects, Tokyo 2007. Eine leichte Architektur umkreist Natur und wird zum Spielgerät. Den Kindern gefällt der kleine Freiraum, den der Baum bietet. Bild: Katsuhisa Kida

Zuerst der Baum!

Wenn Bauten von Bäumen lernen

Tibor Joanelly, Roland Züger

Manchmal waren die Bäume schon vor den Bauten auf dem Grundstück vorhanden. Die Sammlung mit sieben Beispielen zeigt, wie die grünen Wesen der Architektur einen Grund und eine Daseinsberechtigung verleihen. Wir zeigen Bauten, die Bäume umarmen, mit ihnen spielen, ihnen Respekt zollen. Und solche, die unter Bäumen verschwinden oder über Vergänglichkeit und Neubeginn berichten.

In Stadträumen können Bäume eine enorme Präsenz entfalten: entlang von Strassenzügen oder als Auszeichnung besonderer Orte. Bild: Andrea Helbling

Pflanzengerechter Städtebau

Schattenbäume, Schmuckbäume, Klimabäume und Zukunftsbäume

Sonja Dümpelmann

In südlichen Grossstädten sind Bäume stete Begleiter im Strassenraum. Sie spenden Schatten und Lebensfreude – doch sie haben auch Ansprüche. Aus der Sicht der Landschaftshistorikerin sind für einen pflanzengerechten Städtebau die technischen Details ebenso wichtig wie kulturelle Fragen. Einen Schlüssel zu beidem liefert das Gebot der Stunde: die Biodiversität.

Die Konstruktionen im Hooke Park sind gewöhnungsbedürftig. Die Verwertung von Krummholz könnte aber Schule machen. Bild: Woodland Cabin, © AA, Design + Make Course

Aus wilden Wäldern

Krummholz in der Schiffbautradition und als Experiment

Matthew Howell

Krummholz bleibt normalerweise am Boden liegen – bis auf Gegenden, in denen der Schiffbau wichtig war. Traditionell verstärkten Gabelungen und Abfallholz mit durchlaufenden Fasern die Spanten; das Wissen um die Verwendbarkeit des Materials lag bei den Bootsbauern. Zwei aktuelle Forschungsprojekte in Neu- und Altengland zeigen, wie Krummholz dank Algorithmen für Tragwerke genutzt werden kann.

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werk-notiz

Der Artikel von Guillaume Habert aus Heft 5–2022 rief Widerspruch hervor: Holz ist unersetzlich für die Bewältigung der Klimakrise. Und: Die Tage des offenen Denkmals finden dieses Jahr unter dem Motto «Freizeit» statt.

Debatte

Redaktor Tibor Joanelly sieht in den Basler Grossbauten von Herzog & de Meuron Zeichen eines fossilen Zeitalters, die es zu überwinden gilt – bei aller Sympathie für eine starke Form, die auch neue Ökologien schaffen könnte.

Wettbewerb

Das Basler Verfahren für die Schule am Walkeweg startete mit einem vielversprechenden Ansatz: Low Cost – Low Energy (vgl. wbw 11–2021). Gemäss unserer Autorin Barbara Wiskemann werfen die Resultate der zweiten Runde einige Fragen auf.

Ausstellungen

Das ZAZ Bellerive zeigt Holz als Werkstoff und als Ressource der Architektur – und als wachsende Substanz und in all seinen verästelten Aspekten. Daneben empfehlen wir Ausstellungen über Bäume in Basel und über Forensic Architecture im dänischen Humlebæk.

Bücher

Mit Bauteile wiederverwenden legt die ZHAW ein Kompendium zum zirkulären Bauen vor. Alois Diethelm fühlt sich beim Lesen wie auf einer «Expedition ins Internet».

Nachruf

Martin Steinmann, 1942–2022

Unter dem Pultdach eröffnet sich ein Durchblick durch das Haus bis zum Dorf am Hangfuss hinunter. Sturzblenden, Brüstungen oder Geländer justieren die Ausblicke. In der pfeilergesäumten Wohnhalle zieht der Kachelofen die Blicke auf sich. Bilder: Walter Mair

Junge Architektur Schweiz

Weder Braun, Basel

Eine Wohnhalle, in der ein grandioser Kachelofen steht – und eine etwas konventioneller organisierte Haushälfte. Dazwischen spielt die räumliche Musik.

Areal Hobelwerk in Oberwinterthur von Pool Architekten. Die Laubengänge des Hofgebäudes sind die kommunikativen Zonen des Genossenschaftsbaus in Winterthur. Bild: Ralph Feiner

Feinschliff im Wohnungsbau

Areal Hobelwerk in Oberwinterthur von Pool Architekten

Roland Züger, Ralph Feiner (Bilder)

Das Hobelwerk in Winterthur von Pool Architekten ist ein Lehrstück zu Schwellenräumen im Wohnumfeld und bietet einen breiten Wohnungsmix.

Instandsetzung Plantahof Landquart von Grigo Pajarola. Das Verwirrspiel um einen grossen und einen kleinen Eingang lenkt davon ab, dass der neu gefasste Raum davor für die Schule grosse Bedeutung hat. Hier wird Gerät bewegt, gepflegt und repariert. Durch die überhohe Aufstockung gewann die Komposition der Baukörper zusätzlich Profil. Vorgemauerte Isolier-Backsteine geben dem Bau neue Kraft. Bild: Seraina Wirz

Unbäuerlich-feierlich

Instandsetzung Plantahof Landquart von Grigo Pajarola

Fabian Tobias Reiner, Seraina Wirz (Bilder)

Grigo Pajarola haben einen Teil der Landwirtschaftsschule Plantahof in Landquart aufgestockt und nobler gemacht. Die Eingriffe gingen für ein Planerwahlverfahren sehr weit, profitiert haben Schule und Architektur zugleich.

Erweiterung Vollzugszentrum Bachtel, Hinwil, ARGE Loewensberg
Gross Ghisleni. Oxidrot gestrichen, erinnnern die Neubauten
an Ökonomiegebäude auf dem Land. Die reliefartige Dachfigur des Wohngebäudes kaschiert die Haustechnikanlagen. Bild: Seraina Wirz

werk-material 07.03/794

Menschlichkeit vor Monotonie

Jenny Keller, Seraina Wirz (Bilder)

Erweiterung Vollzugszentrum Bachtel in Hinwil, ARGE Loewensberg Gross Ghisleni

Kriminalabteilung Stadtpolizei Zürich, Penzel Valier. Mit spannungsvoller Geste wirft sich der Bau ins Profil. Das macht einem Polizei-gebäude alle Ehre und schafft Öffentlichkeit für eine Nutzung, die auf Diskretion und Sicherheit angewiesen ist. Bild: Bruno Augsburger

werk-material 07.02/795

Fluch des Tatorts

Tibor Joanelly, Bruno Augsburger (Bilder)

Kriminalabteilung der Stadtpolizei Zürich, Penzel Valier

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