9 – 2022

Gemeinsam bauen

Wohnen – Arbeiten – Leben

Wie steht es um gemeinschaftliche Wohnmodelle abseits von Zürich? Was läuft in Bern, Basel, München oder London? Da, wo der wirtschaftliche Druck (abgesehen von den Beispielen aus dem Ausland!) noch nicht ganz so gross ist, wo es Nischen gibt, wo der Boden (in der Peripherie) noch verfügbar ist – und nicht an den Meistbietenden geht. Glücks- und Spezialfälle können für das breite Wohnen nur bedingt Vorbilder sein, und doch erzählen sie alle etwas von einer Stadt, die anders funktioniert, als es uns die gängige Projektentwicklung vormacht. Und sie sind allesamt architektonisch bemerkenswert und beweisen somit, dass soziale Form in der heutigen Zeit auch ein Bild braucht, ein Image, einen architektonischen Ausdruck, der sich bei Geldsuche, Kaufverhandlungen und im Austausch mit Ämtern kommunizieren lässt. Architektur baut darum mit der richtigen Bauherrschaft auch am Sozialen mit und führt zu  Lösungen und zu Lebensentwürfen, die zuvor noch nicht imaginiert worden waren – aber möglich sind und funktionieren, wie dieses Heft zeigt.

Drei Familien haben sich zu einer grossen WG zusammengeschlossen. Im überhohen Erdgeschoss haben sie die offene Galerie selbst zum Wohnen ausgebaut.
Bild: Jürgen Beck

Arche des Zusammenlebens

Genossenschaftshaus Warmbächli / Holligerhof, Bern, BHSF Architekten

Daniel Kurz, Jürgen Beck (Bilder)

Das Genossenschaftshaus Warmbächli in Bern kommt wie ein Dampfer daher. BHSF Architekten und Christian Salewski haben für das Areal der ehemaligen Kehrichtverbrennung den Städtebau entworfen, wo sich viele Genossenschaften einquartieren. Mittendrin befindet sich das Flaggschiff Warmbächli in einem alten Lagerhaus: kolossale Raumtiefe, fette Stützen, fast fünf Meter Raumhöhe. Die neu gegründete Genossenschaft nutzt den Bestand sehr geschickt, sodass vielfältige Wohnungen und Gemeinschaftsräume ins neue Quartier hinausstrahlen.

Umnutzung Gelände Flughafen Riem: Während die Gemeinschaftsterrasse von San Riemo rege genutzt wird, baut die Kooperative Grossstadt ihr zweites Haus und plant das dritte partizipativ. Bild: Florian Summa

Genossen Architektinnen

San Riemo in München war erst der Anfang

Peter Cachola Schmal, Petter Krag (Bilder)

Die Kooperative Grossstadt hat in München ihren Erstling realisiert. San Riemo wird das Baby genannt, das alle begeistert und mit Preisen überschüttet wurde: jüngst mit der Auszeichnung des Deutschen Architekturmuseums. Während auf dem Dachgarten und im Waschsalon reger Betrieb herrscht, hat die Kooperative weitere Projekte ausgeheckt: Der zweite Streich, ein Wohnhaus aus Holz, wächst in München-Freiham in die Höhe, während die Kooperative neue Wege beschreitet und ihr drittes Haus im partizipativen Planungsprozess entwickelt.

Areal Lysbüchel Süd Basel: Treppenhäuser sind Kommunikationszonen – und wie hier im Haus Abkaus
von Stereo Architektur (Parzelle 5) auch gemeinsamer Aussenraum. Bild: Peter Tillessen

Zusammen ist man weniger allein

Areal Lysbüchel Süd in Basel

Jenny Keller, Roland Züger, Peter Tillessen (Bilder)

Auf dem städtebaulichen Plan von Metron bauen im Norden Basels ein Dutzend kleine Genossenschaften ein neues Quartier. Die Stiftung Habitat vergab die kleinen Parzellen dafür im Baurecht an Akteure, die sonst nicht an der Stadtentwicklung beteiligt sind. Auf diese Weise entsteht ein stark gemischtes, kleinteiliges Areal. Seine Vielfalt zeigt: Es gab keine Gestaltungsregeln, dafür Vorgaben zur Mindestbelegung und zum ökologischen Bauen. Ein Mehrwert ist die Nachwuchsförderung. Zahlreiche Jungbüros konnten hier ihren ersten Neubau realisieren.

Laubengänge sind in Grossbritannien Inbegriff des Sozialwohnungsbaus und haben einen schlechten Ruf. Apparata zeigt, dass sie soziale Kondensatoren sein können.
Bild: David Grandorge

Offen für das Unerwartete

Haus für Künstlerinnen und Künstler in Londonvon Apparata

Edwin Heathcote

Grossbritannien konnte zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg mit vorbildhaftem Wohnungsbau aufwarten. Doch nun zeigt das junge Büro Apparata im Londoner Osten mit seinem Haus für Kunstschaffende, dass es wieder geht, sogar im Modell des sozialen Wohnungsbaus. Ein Versprechen sind die flexibel schaltbaren Grundrisse am offenen Laubengang und der Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss, in dem Veranstaltungen fürs Quartier organisiert werden, im Gegenzug zur günstigen Miete. Originaltext Englisch

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werk-notiz

Im Leserbrief zum Heft «Bau und Baum» (wbw 7/8–2022) bricht Peter Baumgartner, ehemaliger stv. Denkmalpfleger des Kanton Zürich, eine Lanze für den Baumbestand.

Debatte

Wir müssen uns wieder stärker um die gewachsenen Orte kümmern und ihnen mit einer entwerferischen Idee zur Blüte verhelfen, ermahnen uns Patrick Thurston und Oliver Streiff vom neu gegründeten Forum Raumordnung Schweiz.

Wettbewerb

Auf dem Boden des Kantons Basellandschaft baut die Stadt Basel eine Universität. Die Pläne dafür zeichnen die Pritzker-Preisträgerinnen von Grafton zusammen mit Blaser Architekten. Neben zahlreichen Neubauten verspricht ihr Ansatz mehr Grün und einen konsequenten Re-Use des Bestands.

Ausstellungen

Der Ungers-Bau des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main wird saniert, die Institution ist ins Umland geflüchtet. So passt das Thema Bauen auf dem Land zur rezensierten Schau. Vom Wiedersehen mit Valendas, aber auch Neuem aus Thüringen oder dem Südtirol berichtet unsere Autorin Ursula Baus. Ins S AM nach Basel ruft die kritische Schau Abriss (mit Countdown 2030), nach Stuttgart eine Ausstellung über unfertige Häuser.

Bücher

Stanislaus von Moos’ Buch über den Architekturdiskurs nach 1940 hat Daniel Kurz gelesen. Entgegen der Vorstellung von der «Stunde Null» konnten kriegsverschonte Länder wie Schweden und die Schweiz ihre Moderne bruchlos weiterentwickeln und so in der Nachkriegszeit zum Vorbild aufsteigen. Die Redaktion empfiehlt zudem: Georg Aernis Fotoband Silent Transition (die Bilder sind derzeit auch in der Fotostiftung Winterthur ausgestellt) und eine Recherche zu Architekten, die das Ferienidyll Cadaqués verzaubert haben.

Die Armierungspläne des bescheidenen Reihenhauses
enthüllten einen Betonpfeiler, der in seriell-industrieller Manier statisch die Hauptarbeit leistet. Dies ermöglichte eine Umbaustrategie, bei der Offenheit und Nischen den Raum bestimmen. Bilder: Hermes Killer, Mikael Olsson
Portrait: Hanae Balissat

Junge Architektur Schweiz

Balissat Kaçani

Der Umbau des Reiheneinfamilienhauses in Baden zeigt die Prägung der beiden jungen Architekten. Sie entfernen alle nicht tragenden Elemente und reduzieren den Bestand auf seine Essenz: ein Raumerlebnis im offenen Raumkontinuum.

Muzharul Islam während einer Jurierung in Genf 1980. Bild: © Aga Khan Trust for Culture

Islam?

Muzharul Islam – Eine Schlüsselfigur der klimasensiblen Architektur

Niklaus Graber (Text und Bilder)

Der Architekt Muzharul Islam ist eine Schlüsselfigur der bengalischen Architekturszene. An seinem Werdegang und seinen Bauten zeigt unser Südostasienspezialist Niklaus Graber in einem exklusiven Portrait, welchen Einflüssen die Architekturentwicklung von Bangladesch unterlag, aber auch, was wir heute vom klimasensiblen Bauen in diesem Teil der Erde lernen können.

Anleihen an das ländliche Bauen: ein einfacher, längsgerichteter Baukörper, kontrastierende Bauelemente und Wohnen unter dem Dach. Dereinst soll der Bau durch neue Mitspieler ergänzt werden.Bild: Geraldine Recker

werk-material 01.08 / 796

Mit Architektur anlocken

Daniel Kasel, Geraldine Recker (Bilder)

Alterswohnungen Brütten, Roider Giovanoli

Der Innenhof mit der Sichtbeton-Struktur von Otto Glaus bildet nun das Herzstück des neuen Quartiers. Bild: Daniela Burkart

werk-material 01.08 / 797

Missionarsroben und Jokerzimmer

Clea Gross, Daniela Burkart (Bilder)

Wohnen Im Bethlehem, Immensee, Lüscher Bucher Theiler

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