JAS Nr. 38 – JONGER Architekten GmbH, Zürich

Inspiration aus dem Archaischen

Vor mehreren Jahren erwarben Esther Elmiger (1984) und Christian Jonasse (1978) ein altes Bündner Haus aus Stein und Strick, das sie sich mit einem Umbau nach und nach zum Wohnen aneigneten. Beim Entwerfen und selber Bauen lernten sie sich von den Qualitäten des archaischen Gehäuses leiten zu lassen. Aus der Inspiration durch das Vorhandene, entwickelten sie überraschende neue Themen.

— Lucia Gratz, 25.06.2019

Was ist Eure Herkunft, was inspiriert Euch?

Seit unseren ersten Erfahrungen in der Projektierung und Ausführung nach dem Studium hat uns die Auseinandersetzung mit bestehenden Bauten begleitet. Für schwer vorfabrizierte Betongebäude aus den 1960er Jahren konnten wir uns genauso begeistert wie für historische Strickbauten im Alpenraum. Wir haben gelernt, uns bestehende Strukturen unvoreingenommen anzueignen und die Qualitäten eines vorhandenen Systems als Ausgangspunkt zu nutzen. Christians Zivildienst bei der Kantonalen Denkmalpflege Graubünden hat uns zudem geholfen, den analytischen Zugang zu historischen Bauten zu schärfen. 

Seit unserem ersten gemeinsamen Projekt – ein Saunahaus im Garten eines bürgerlichen Landhauses aus den 1930er Jahren – suchen wir stetig nach einer Entwurfshaltung, die sich zu historischem Bestand genauso wie zu Bauten aus dem 20. Jahrhunderts äussern kann. Den historischen Kontext eines Gebäudes behandeln wir nicht vorrangig. Er ist für uns dann von Bedeutung, wenn er hilft, Antworten auf Fragen der Gegenwart zu finden.

Wie denkt Ihr einen Baubestand und wie entwerft Ihr damit?

Wir lesen einen Gebäudebestand als Resultat der sozialen, ökonomischen und technischen Bedingungen einer Kultur in ihrer Zeit. Bei historischen Bauten manifestiert sich dies oft in sehr robusten Raumstrukturen mit grossen räumlichen und materiellen Qualitäten. Damit diese für den Entwurfsprozess produktiv werden, betrachten wir sie zu Beginn als «Ruinen», die ihre Bedeutung und ihren Zweck verloren haben.

Programmanforderungen und Gebäudebestand in Beziehung zu setzen gleicht oft einem Funkenschlag, der ein zusätzliches, unerwartetes Raumangebot eröffnet. Dieses ist ohne grosse Investitionen bereits vorhanden. Unsere Aufgabe besteht darin, diese potentiellen Räume zu erkennen und daraus einen Mehrwert für den Bauherrn zu generieren. Bauen mit Bestand erfordert vom Architekten und vom Bauherrn ein Denken ausserhalb der Standards. In diesem Sinne möchten wir der vorherrschenden Meinung, Umbau lohne sich im Vergleich zum Neubau nicht, entschieden entgegentreten.

Wie zeigen sich diese Gedanken im konkreten Projekt?

Das spätmittelalterliche Wohnhaus Simonett stand Jahrzehnte lang leer. Wir fassten 2012 den Plan, uns diese Bauruine langsam und grösstenteils in Eigenleistung anzueignen. Wie können wir die archaische Präsenz der Materialien erhalten? Erträgt die vorhandene Struktur eine Umdeutung und welchen Wohnkomfort wollen wir dabei erreichen? Diese Fragen standen am Anfang eines siebenjährigen Bauprozesses. 

Für zusätzlichen Wohnraum unter dem kalten Dach einzuräumen, griffen wir auf ein im Bestand angelegtes Prinzip der Wärmeverteilung zurück: Das bestehende Raumpaar – zwei in sich gestapelte Kammern in Strickbauweise – ergänzten wir um ein neues Raumpaar mit Küche und Schlafzimmer. Beide Paare werden jeweils über einen Holzofen beheizt und erhalten je nach Jahreszeit unterschiedliche Wohnqualitäten. Es ist uns damit gelungen, die historische Rauchküche und den Treppenraum unter dem kalten Dach zu erhalten, neue Raumbedürfnisse aufzunehmen und das Haus wieder in unserer Zeit zu verankern.

Instandsetzung und Umbau Haus Simonett in Lohn GR

Jonger Architekten GmbH, Zürich

www.jonger.ch

Instandsetzung und Umbau Haus Simonett in Lohn GR

Dorf 1C, 7433 Lohn GR, Bauherrschaft: Privat; Architektur: Jonger Architekten GmbH, Baurstrasse 2, 8008 Zürich; Chronologie: Planung und Ausführung 2012 – 2020; Fotograf: Christian Jonasse

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