17. Architekturbiennale Venedig

Oræ – der Schweizer Beitrag von der Ferne aus betrachtet

Grenzen haben wir in diesem Jahr mithilfe technischer Hilfsmittel überwunden. Als sie geschlossen wurden, öffneten wir uns gedanklich alternativen Möglichkeiten, wie wir zusammen arbeiten können und setzten diese ziemlich schnell auch um. Der Architektur, beziehungsweise ihren Protagonisten und Protagonistinnen (und der Umwelt) hat das gut getan: Plötzlich musste man, um eine Vorlesung in einem fernen Land zu halten, nicht mehr zweimal die Woche ein Flugzeug besteigen. Auf einmal war es möglich, von zu Hause aus zu arbeiten – in einer Domäne, die sehr starr an tradierten Vorstellungen, Rollenbildern und Arbeitsformen festhält. Auch wenn Hashim Sarkis, der Kurator der diesjährigen Architekturbiennale, die ein Jahr später eröffnete, darauf verwies, dass man Architektur erleben und spüren muss, sei hier vom Experiment berichtet, sich auf eine virtuelle Ausstellungseröffnung einzulassen. Nach den Preview-Tagen hört man nicht selten, dass in Venedig dieses Jahr wenig Architektur zu sehen sei, das dürfte auch auf den Schweizer Pavillon zutreffen, wo ein pluridisziplinäres Team (so gehört an der Pressekonferenz, der ohne Weiteres von zu Hause aus beigewohnt werden konnte) aus Genf von der Pro Helvetia den Zuschlag für die Bespielung des Schweizer Pavillons in den Giardini erhalten hatte. Es besteht aus Mounir Ayoub, Architekt und Journalist und Vanessa Lacaille, Architektin und Landschaftsarchitektin vom Laboratoire d’architecture, dem Filmemacher Fabrice Aragno und dem Bildhauer Pierre Szczepski. Das Team widmete sich im Rahmen einer Feldstudie den Grenzen. Den Auftakt von Oræ – Experiences on the Border machten verschiedene Besuche an Schweizer Grenzen 2019 – vor Corona, vor Bekanntgabe des Themas von Sarkis – bei der die Gruppe sich unters Volk vor Ort mischte und dieses dazu aufforderte, einen Grenzort der Wahl im Modell darzustellen. (Stichwort Partizipation, Stichwort Gemeinschaft). Dies wurde filmisch dokumentiert. Mitten in der Arbeit brach die Pandemie aus und die Grenzen schlossen – das Thema gewann an Relevanz. Vielleicht ein Glücksfall für den Schweizer Beitrag und sicher eine Ausnahme an der diesjährigen Biennale, wo – von der Ferne aus beurteilt – das neue Normal dem alten zu sehr gleicht. Wo auch vom neuen Präsidenten Roberto Cicutto äusserst pragmatisch zu hören war, dass man zwar ein Jahr verloren, aber auch eines gewonnen habe. (Mehr zur Biennale im aktuellen Heft 7/8–2021 «Besser wohnen».)

Zum Glück für dieses Experiment zeigt das Schweizer Team «keine Architektur». Denn weil man sich nicht in einen Raum begeben, sondern sich nur auf das Thema einlassen musste, funktionierte die virtuelle Vermittlung anlässlich der Eröffnung des Schweizer Pavillons erstaunlich gut. Gebautes kann an einer Ausstellung ja doch immer nur in Repräsentationsform des Planes, Bildes, Modelles oder Mock-Ups gezeigt werden. Eine Auswahl des gesammelten Materials, Modelle, Filme, Bilder sind dann auch im Schweizer Pavillon ausgestellt. Dessen Qualität kann von der Ferne nicht beurteilt werden. Die Herangehensweise jedoch schon und die scheint vielschichtig, aktuell, schweizspezifisch und zum Glück nicht nur architekturdiskursrelevant. Aber auch.

— Jenny Keller

17. Architekturbiennale Venedig
bis 21.  November 2021
Arsenale, Giardini sowie zahlreiche Aussenstationen in Venedig
www.labiennale.org

© Keystone/Gaëtan Bally
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Der Schweizer Pavillon 2021, Ausstellungsansichten