Breit in die Höhe

Zur Eröffnung des Bieler Holzbautags am letzten Donnerstag sprach sich der Direktor der Berner Fachhochschule René Graf mit einem flammenden Appell für die Lösung drängender Probleme aus: zunehmende Mobilität, schwindende Ressourcen und Bevölkerungswachstum sollten mithilfe von Holz in Angriff genommen werden: Holz solle noch mehr verbaut, mit Holz soll geheizt werden. Dies alles möglichst in regionalen und geschlossenen Wertschöpfungsketten. In diesem Sinn rief Graf die Teilnehmenden auf, auch ihre staatsbürgerliche Pflicht wahrzunehmen – etwa anlässlich der kommenden Abstimmung zum Energiegesetz.
Der diesjährige Holzbautag war geprägt durch viel Rhetorik zur Verdichtung und zur Nachhaltigkeit. Über diese hinaus gab es aber auch konkretes Wissen zu teilen; das Thema Bauen in der Stadt — mit Holz stellt die Konstrukteure vor technische Probleme, so der Eindruck, die mittlerweile alle sehr gut lösbar sind. Tatsächlich ist Holz nun in der Breite angekommen (wir haben in Heft 11 – 2016 darüber berichtet), und mit der technischen und (seit der Neuauflage der VKF-Normen 2015) auch gesetzlichen Machbarkeit stehen die ersten Holz-Hochhäuser in der Schweiz in Planung. Man wird sich daran gewöhnen dürfen, dass in der Stadt nach mehrhundertjähriger Pause auch wieder mit Holz gebaut wird. In einer Diskussion um die architektonische oder städtebauliche Wünschbarkeit bietet die an der Veranstaltung beförderte technische Sicht erfrischende Nüchternheit; «Holz in der Stadt» ist zuerst einmal eine Frage der Logistik, der Produktion und der Platzverhältnisse (und des Preises). Der für den Holzbau in der Schweiz typische hohe Grad der Vorfabrikation kann seine Vorteile etwa bei Aufstockungen oder Ergänzungsbauten nur dann ausspielen, wenn der Sattelschlepper auch Platz zum Manövrieren hat...
Überhaupt die Machbarkeit: Sie müsste in einer Diskussion über Nachhaltigkeit eigentlich an erster Stelle stehen. Denn was nützen «geschlossene Wertschöpfungsketten», wenn in der Schweiz infolge der hohen Kosten zu wenig einheimisches Holz geschlagen wird? Hier wären Innovationen nötig, etwa auch in der Raumplanung, im Waldgesetz. Interessant ist vor diesem Hintergrund, wie in der Schweiz Interessen-Diskurse Innovationen infrage stellen können, auch im Bereich des Zusammenlebens. Ein Beispiel an der Holzbautagung müsste zu denken geben: Die Zürcher Familienheim-Genossenschaft FGZ, die seit längerer Zeit ein innovatives Konzept der Verdichtung und Siedlungserneuerung verfolgt und dabei gerne auf Holz setzt, steht im Streit mit dem Heimatschutz, der sich gegen den Abriss der komplett unternutzten ältesten Siedlung der FGZ wehrt.
Einmal mehr wird deutlich, wie sehr fachliche Diskurse in politische Auseinandersetzungen eingebettet sind. Und deutlich wird auch, wie sehr Rhetorik niemandem etwas bringt. Im Schlussplädoyer des Bieler Holzbautags brachte dies der Leiter und Organisator der Tagung, Hanspeter Kolb, mit dem Wunsch zum Ausdruck, dass der Holzbautag in Zukunft auch von Investoren oder Mitarbeitern von Verwaltungen besucht würde. Als Beobachter bliebe noch anzufügen: Und von mehr Architekten. Dass eine städtische Architektur zur Normalität werden kann, zeigten nicht zuletzt die Beiträge der Referenten Oliver Dufner, Yves Schihin (Partner bei Burkard Meyer respektive Sumi Burkhalter Architekten) und Rolf Mühletaler. Holz ist auch für die Architektur ein Innovationstreiber.

— Tibor Joanelly
© Burkard Meyer Architekten
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