Die Schweiz ist betörend langweilig

Langsam schaukelt der Skilift durchs Bild, dahinter verwischt sich nebliger Himmel mit Schnee und dunklem Fels. Schnitt. Eine Strasse, Passanten mit vollen Einkaufstaschen warten, ein Auto hält, die Leute hasten über den Zebrastreifen. Dann braun-weisses Fell, ein Euter, ein Schwanz wedelt ein Paar Fliegen weg. Gelangweilt trottet eine Kuh aus dem Sichtfeld.

Das Schweizerische Architekturmuseum S AM in Basel zeigt aktuell die Ausstellung Portrait of a Landscape des belgischen Künstlers Pierre-Philippe Hofmann. Der Titel verspricht vollmundig – und widersprüchlich: ein Porträt der ganzen Schweiz.

Doch Hofmann ist erfahren, denn bereits in seinem Heimatland hat er sich mit seiner Kamera auf die Suche nach dem Bild eines Landstrichs gemacht. Damals reiste er der politisch aufgeladenen Sprachgrenze entlang und fand lieux communs, Gemeinschaftsorte, selbst abseits historischer Stadtkerne (wbw 3–2013).

Der minuziöse Marschplan

Doch der Röstigraben ist es nicht, den Hofmann an der Schweiz interessiert hat. Der belgische Künstler mit Wurzeln in Olten möchte in der Schweiz das Bild eines ganzen Landes entwerfen, mit all seinen Widersprüchen. Ihn faszinieren Kultur, Topographie, Architektur, unabhängig von inneren Grenzen. Um diese praktisch unmögliche Aufgabe zu meistern, plante Hofmann alles bis ins kleinste Detail. Von zehn Ausgangspunkten an der Schweizer Landesgrenze – wo ein Breiten- oder Längengrad aufeinander treffen – wanderte er ins Herz der Schweiz, zum geografischen Mittelpunkt: der Älggialp im Kanton Obwalden. Über hundert Tage lief Hofmann auf minutiös kartographierten Wegen durch die Schweiz, verteilt auf vier Jahre und alle Jahreszeiten. Jeden Kilometer hielt er inne und dokumentierte den zufälligen Ort in einem einminütigen Standbild. Das strikte Konzept resultierte schliesslich in 2700 Kurzfilmen, die Hofmann in Basel auf 72 Bildschirmen zu einem schier unendlichen Panorama addiert. Auf Bodenhöhe aufgereiht, zwingen sie den Besucher, sich mit gesenktem Kopf in den Bildern zu verlieren. Ein Algorithmus führt dazu, dass kein Film den gleichen Ort zeigt wie seine beiden Nachbarn. Auch wenn sich die Bilder noch so gleichen, oftmals liegt das halbe Land zwischen ihnen.

Die Abseits-Schweiz

Hofmann porträtiert mit seinen Standbildern die Anti-Postkartenschweiz. Eine Schweiz abseits der ausgetretenen Pfade möchte man sagen. Doch eigentlich sind es eben gerade die ausgetretenen Pfade, die ihn faszinieren: Die alltäglich ausgetretenen. Jene Wege, die wir Tag für Tag bestreiten, zum Einkaufen, zur Arbeit, zur Freizeitbeschäftigung, als Spaziergang. Es sind Orte, Räume, und Landschaften, die uns tagtäglich begleiten. So banal schon, so gewohnt, dass sie zu einem Hintergrundrauschen geworden sind. Hofmanns Bilderflut fängt dieses Rauschen wieder ein und stellt es in den Vordergrund.

Plötzlich ertappt man sich, wie man fasziniert eine Kreuzung beobachtet, Schrebergärten in der Agglo, Handwerker auf einem Dach, die grünen Silotürme eines Bauernhofs. Sie alle sind einem so seltsam vertraut. Und doch: im Vorbeilaufen, beim Warten, beim Blick aus dem Zug, schenkt man diesen Szenen fast keine Aufmerksamkeit mehr. Man nimmt sie gelangweilt zur Kenntnis. Dabei ist es genau diese Langeweile, die Pierre-Philippe Hofmann so schätzt, wenn er sagt: «Le paysage est un espace infini qui permet, sans aucune culpabilité, et pour une très longue durée, de s'ennuyer et de ne rien faire sans la moindre mauvaise conscience.»

Die Faszination für die Schweiz abseits vom Bergpanorama unter blauem Himmel ist nicht neu. Doch die Ausstellung Portrait of a Landscape begeistert durch die schiere Menge an Bildern. Es ist unmöglich, sie in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen. So verliert man sich in Einzelheiten, in banalen Details, in betörend unspektakulären Landschaften. Die Schweiz: langweilig und schön.

— Fabian Ruppanner

Portrait of a Landscape
bis 16.9.2018
S AM Schweizerisches Architekturmuseum, Steinenberg 7, 4051 Basel
Di. / Mi. / Fr.  11–18 Uhr
Do. 11–20.30 Uhr
Sa. / So. 11–17 Uhr
www.sam-basel.org

© Pierre-Philippe Hofmann
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