Digitale Helfer im Seniorenhaushalt?

Kaum etwas wird heute so häufig gebaut wie Alters- und Pflegeheime: fast jeden Monat könnten wir über einen qualitätsvollen Neubau irgendwo in der Schweiz berichten. Das ist nicht selbstverständlich, denn seit Jahren plädieren Medien und Fachleute für das selbstbestimmte Wohnen in den eigenen vier Wänden – möglichst bis zum Lebensende. Geht diese Forderung an der Realität vorbei?
Auch am diesjährigen ETH-Forum Wohnungsbau sprachen sich alle Referentinnen und Referenten für das Altwerden in den eigenen vier Wänden aus. Die Wohnforscherin Corinna Heye (raumdaten GmbH, Zürich) zeigte, dass dieses Modell ganz einfach das häufigste ist: 80% der Menschen über 80 in der Schweiz leben allein oder zu zweit, nur 14% im Heim. Und zwar besonders häufig in älteren, meist nicht besonders «altersgerechten» Häusern. Der Wunsch und die Bereitschaft, etwa aus dem eigenen Einfamilienhaus in eine kleinere Wohnung oder ins Heim zu ziehen, sind wenig ausgeprägt: Gerade im Alter ist man viel zuhause, geniesst den vielen Raum und die vertraute Umgebung. Dazu kommt: meist wäre eine kleinere Wohnung teurer als die alte.
Carlo Fabian (FHNW, Basel) und die ehemalige Tübinger Bürgermeisterin Gabriele Steffen (Weeber + Partner, München) forderten umsichtig geplante, durchmischte und ergo auch altersgerechte Quartiere, die Nahversorgung und soziale Kontakte fördern. Forschungen haben gezeigt, dass Gründerzeitquartiere diese Ansprüche am besten einlösen – auch Einfamilienhausviertel und manche Neubauquartiere erfüllen viele Ansprüche, am wenigsten gut eignen sich die monofunktionalen Wohnsiedlungen des 20. Jahrhunderts für das selbstständige Wohnen im Alter: zu weit sind die Wege bis zum nächsten Arzt oder Lebensmittelgeschäft, zu anonym die Wohnsituation. Partizipative Planungsverfahren sollten die Älteren mit einbeziehen und ihre Bedürfnisse erfragen. Schon kleine, unbedacht gesetzte Hindernisse können zu grossen Hürden werden, die das selbstständige Wohnen erschweren. Ulrich Otto (Careum, Zürich) skizzierte die Vision von Caring Communities: Wenn die arbeitsteilige Versorgungswirtschaft gesprengt und die erheblichen vorhandenen Finanzmittel für Heime, Spitex usw. zusammengelegt würden, liessen sich sehr viel ganzheitlichere Formen des Zusammenlebens und des selbstständigen Wohnens im Alter ermöglichen.
In anregender Weise sprach der Ingenieur Rolf Kistler (HSLU, iHomeLab, Luzern) über technische Hilfsmittel, die das Alleinwohnen erleichtern und den Hochbetagten wie auch ihren Angehörigen mehr Sicherheit versprechen. Geräte für die ältere Generation, schickte er voraus, sollten vor allem eines nicht: «altersgerecht» aussehen.
Monitoring-Instrumente in der Wohnung geben den Angehörigen Auskunft, ob bei den betagten Eltern alles in Ordnung ist. Sie entlasten die Jungen und schenken den Alten die Gewissheit, im Notfall Hilfe rufen zu können. Im Selbstversuch im eigenen Familienumfeld wurde Kistler klar, dass die Kommunikation nicht einseitig sein sollte: er entwickelte ein analoges Gerät, das einen gleichberechtigten Austausch von Alt und Jung ermöglicht: denn es geht letztlich um Anteilnahme, nicht um einen rein technischen Begriff von Sicherheit.
Die digitalen Helfer müssen nicht auf Kosten bestehender familiärer und nachbarschaftlicher Hilfeleistung und persönlicher Kontakte gehen, wurde in der Diskussion betont. Sie ersetzen auch in keiner Weise die alltägliche Interaktion. Wo solche Kontakte bestehen, können Monitoring-Systeme aber etwas Entlastung und damit Unabhängigkeit ermöglichen.
Fazit? Smart homes, Digital Real Estate und Ähnliches mag neben viel PR-Getöse auch manche Freiheit für alte Menschen und ihre Angehörigen ermöglichen. Sie sind aber kein Ersatz für gesellschaftliche Teilnahme, soziale Kontakte und eine gute Nahversorgung. Und sie geben auf die mit dem Alter wachsenden Sicherheitsbedürfnisse nur unvollständig Antwort. Auch in Zukunft werden Angehörige und Nachbarn den grössten Teil der Betreuung und Hilfe zu tragen haben, der Markt und neuen Produkte bieten allenfalls einer kaufkräftigen Schicht Alternativen. Und das Heim? In der Diskussion wies eine Heimleiterin darauf hin, dass kollektive Wohnformen nicht nur Sicherheit, sondern auch ein hohes Mass an sozialen Kontakten bieten – eine Alternative zur verbreiteten Einsamkeit in den eigenen vier Wänden.

— Daniel Kurz
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