Der Brückenbauer

«Eine Hängebrücke ist ja nichts anderes als ein Wäscheseil, das man über zwei Pfosten legt», sagte Othmar Ammann nach der Eröffnung der Verrazzano-Narrows Bridge 1964. Die Reduktion auf das einfache Prinzip der Tragkonstruktion zeichnet die bahnbrechende Arbeit des Schweizer Ingenieurs aus. Und jene Brücke, die mit der damaligen Weltrekordspannweite von 1298 Metern die New Yorker Stadtteile Brooklyn und Staten Island verband, war das letzte und wohl vollendetste Werk des Schweizer Ingenieurs. Kein Jahr darauf starb Ammann. Über ein halbes Jahrhundert später würdigt nun der Regisseur Martin Witz, der bereits Leben und Werk von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (Dutti der Riese, 2007) und LSD-Erfinder Albert Hofmann (The Substance, 2011) in die Kinos gebracht hat, den Brückenbauer mit Gateways to New York.

Ammanns Werke prägen vor allem das Bild und den Alltag von New York bis heute, als Berater nahm er aber auch entscheidenden Einfluss auf den Bau der wohl berühmtesten Hängebrücke der Welt, der Golden Gate Bridge in San Francisco. Der Film dokumentiert, wie Ammann vom ehrgeizigen Bauingenieur am Eidgenössischen Polytechnikum zu Amerikas bedeutendstem Brückenbauer wurde. Zwei Jahre nach seinem Studienabschluss siedelte der in Kilchberg am Zürichsee aufgewachsene Ammann 1904 ohne einen Job und ohne seine Verlobte nach New York über. Seine Tellerwäscherkarriere verdankt er nicht nur Ehrgeiz, Können und Pioniergeist, sondern auch einer guten Orientierung auf dem Weg zum Erfolg: Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und er tat sich mit den richtigen Leuten zusammen. Zunächst war das der damals führende New Yorker Brückenbauingenieur Gustav Lindenthal, unter dem er über ein Jahrzehnt lang an den wichtigsten Projekten der Epoche arbeitete, bevor er sich im Streit um die Konzeption der George Washington Bridge von seinem Mentor trennte. Ammann setzte sich mit seinem 1931 eröffneten Gegenprojekt dank der innovativen und ökonomischen Bauweise durch und weil er konsequent auf den motorisierten Autoverkehr setzte. Die Brücke handelte dem Schweizer wider Willen den Ruf eines modernen Puristen ein – die geplante steinerne Verkleidung der beiden monumentalen Pfeiler fiel nur aus Spargründen weg. In der Folge war es der Stadtplaner Robert Moses, unter dessen Einfluss Ammann zum eigentlichen Chefingenieur der New Yorker Hafenbehörde wurde und eine ganze Reihe von Brücken sowie den Lincoln-Tunnel planen und realisieren konnte.

Der Film erzählt aber nicht nur die grosse Geschichte dieser gigantischen Infrastrukturprojekte, sondern auch die Alltagsgeschichten verschiedener in diese Brückenbauten involvierter Menschen. So kommen etwa Zeitzeugen zu Wort, die davon berichten, wie die Bewohner des Quartiers Bay Ridge in Brooklyn sich vergeblich gegen seine Teilung und die Umsiedlung mehrerer hundert Familien durch den Zubringer zur Verrazzano-Brücke wehrten («You're following the wrong Moses»). Und er zeigt in eindrücklichen Bildern und Interviews die Arbeit jener amerikansichen Ureinwohner, die als Skywalker ungesichert in schwindelerregender Höhe Ammanns Brücken bauten. Der Film ist ab 4. April in Deutschschweizer Kinos zu sehen.

— Benjamin Muschg
© Frenetic Films AG
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