Häuser anschreiben

Die Beschriftung eines Gebäudes ist oft das Letzte, was angebracht worden ist, und das Erste, was einem auffällt. Ganz einfach, oder nicht? Nein. Dass die Beschriftung kein Randproblem ist, sondern entscheidend zum Gelingen eines Baus oder dem guten Auftritt einer Institution beitragen kann, diesem Sachverhalt ist eine kleine, sorgfältig gemachte Ausstellung gewidmet. Ihre Aussage: Die Beschriftung darf nicht das Letzte sein, woran man beim Projektieren gedacht hat.

Nüchtern betrachtet ist die Ausstellung auf dem Toni-Areal in Zürich in fünf Komplexe gegliedert: Applizierte plastische Schriften, Reliefschriften, Plastische Schriftgitter, Schriftskulpturen und Umfassende Kommunikationssysteme. Das Be-Schreiben einer Fassade oder einer Innenwand ist mehr als eine beliebige nachträgliche Intervention auf einer willenlosen Oberfläche. Vielmehr kann sie Ausdruck der Bemühung um einen engen Zusammenhang zwischen der Architektur und der Institution sein. Für eine gelungene Verbindung ist nicht zuletzt das Toni-Areal (EM2N, vgl. wbw 3–2015) selbst ein Beleg. Denn dort setzt sich die Beschriftung des Äusseren von Bivgrafik, Bringolf Irion Vögeli innen fort. Dabei falten sich die bis zu mannshohen Buchstaben für die einzelnen Bereiche durch einen Diagonalknick auf ihrer glänzenden Oberfläche in die Korridore aus. Gerade die eingeschränkte Lesbarkeit auf den ersten Blick schafft mittels plastischer Schrift Aufmerksamkeit. Das beweist, dass auch eine Applikation geistreich und reflektiert sein kann. Ein weiteres Beispiel ist die Benennung der Rehab-Klinik von Herzog & de Meuron in Basel, wo der Basler Grafiker Beat Keusch den Namen «REHAB» schräg an die Aussenfassaden anlehnen liess: ein feinsinniger Hinweis auf den Daseinszweck des Gebäudes, das den Patienten eine Stütze sein soll.

Schrift als Bindungsmoment

Die Kategorie der Reliefschriften ist dort am engsten mit der Architektur verflochten, wo Buchstaben und Wörter als Patrizen in die Betonschalung eingelegt werden und beim Ausschalen sich als vertieftes Relief zeigen. Auch die Umkehrung – Platzieren von Matrizen in der Schalung, die am Bau dann als Positivschrift erscheinen, ist möglich. Beides ist mit einigem logistischen Aufwand verbunden, denn nachträgliche orthografische Korrekturen sind ausgeschlossen. Doch zugleich ist eine solche Bindung der institutionellen Benennung an die Architektur zweifellos ein vertrauensvolles Statement in sonst flüchtigen Zeiten. Ein Beispiel dafür ist die Fachhochschule Nordwestschweiz, wo der Zürcher Emanuel Tschumi für den Campus Muttenz (Pool Architekten, vgl. wbw 12–2018) im Foyer an die allseitig freien Seiten des Liftschachts die Himmelsrichtungen geschrieben hat und in den Regelgeschossen die Stockwerkzahl. Eine ganz andere Lösung innerhalb dieser Kategorie wurde von Susanne Dubs aus Magglingen für die Bibliothek/Ludothek in Spiez gefunden (Bauzeit Architekten): Hier sind es zahlreiche vertikal versetzte Kanthölzer an den Fassaden, in die Buchtitel (sowie Titel von Spielen) gefräst sind – gleichsam «Buchrücken» mit erhabenen und vertieften Buchstaben. Dabei ist mit der Wahl der Titel auch eine persönliche Aussage der Gestalterin über den Rang eines Buchs verbunden.

Die Ausstellung behandelt auch andere bezaubernde Lösungen, etwa solche in der Kategorie der plastischen Schriftgitter. Das Musée National Adrien Dubouché in Limoges etwa besticht mit seiner integralen Signaletik des Pariser Atelier ter Bekke & Behage aus weiss und schwarz glasierten Porzellan-Buchstaben und -Symbolen. Sie sind auf feine, klar artikulierte Metallgitter geschraubt und lassen das Dahinterliegende sichtbar. Für die Würdigung weiterer Beispiele der insgesamt 24 Projekte fehlt hier der Platz – es ist dies eine sehenswerte Ausstellung.

— Claude Lichtenstein

3D-Schrift am Bau
bis 14. April 2019
Museum für Gestaltung
Toni-Areal
Pfingstweidstrasse 96, 8005 Zürich
https://museum-gestaltung.ch

© Pierre di Sciullo
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