Lärmschutz: alles halb so heiss

Der Lärm war zwar nur eine Randnotiz an der Tagung «Innenentwicklung und Recht» der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN in Solothurn am 30. Juni, aber eine sehr hörbare. Anlass zum Treffen war der aktuell publizierte erste Kommentarband zu den Gesetzen und Verordnungen im Zuge der Revision des Raumplanungsgesetzes RPG. Das Jahresevent des VLP-ASPAN zog einmal mehr über 300 Fachpersonen aus der Planungspraxis und des Planungsrechts an.

Die neuen Paragrafen im revidierten RPG haben es in sich, sind sie doch ein echter Impuls, mit der Ressource Boden weniger verschwenderisch umzugehen. Mit konkreten Kriterien zur Einzonung soll der Bodenverbrauch eingedämmt werden. Die möglicherweise entstehenden materiellen Nachteile Einzelner können entschädigt und Mehrwerte wiederum in Teilen abgegolten werden. Mehr Gesetz bringt also mehr für alle. Doch schon zu Beginn des Tages leitete Alexander Ruch, emeritierter ETH-Professor für öffentliches Recht und Mitherausgeber des RPG-Kommentarbandes, ein, dass es so einfach nicht sein werde. Die oft vorkommende Verwechslung der Planungsgesetze mit den Mitteln zur Raumentwicklung sei eine Illusion. Zuvorderst drückten die Gesetzestexte Bestrebungen einer Gesellschaft aus. Erst die Rechtsprechung anhand des Einzelfalls aus der Praxis lege die Gesetze aus und zeige, welchen Einfluss sie auf die Wirklichkeit haben. Die Mittel und Wege der Innenentwicklung sind daher in deren Umsetzung zu suchen.

Am Thema Lärmschutz lässt sich bestens zeigen, wie die Praxis auf die Regelwerke reagiert. Neben dem Denkmalschutz wurde dieser am Ende des Tages als weiteres mögliches Hindernis beim Erreichen der Landschaftsschutzziele – ergo der Innenentwicklung thematisiert. Die «Lüftungsfenster-Praxis» wurde erdacht, um Verdichtung in Ortszentren möglich zu machen, wo Verkehrslärm heute eine anscheinend unvermeidbare Belastung darstellt. Nun hat das Bundesgericht im März 2016 festgehalten, dass diese Praxis der Lärmschutzverordnung widerspricht, und dass die Immissionsgrenzwerte an allen offenen Fenstern eingehalten werden müssen (wbw 6-2016 sowie online). Die «Lüftungsfensterpraxis» sei nur als Ausnahme zulässig.

Die Entwerfenden sind alarmiert: nur noch blinde Fassaden ohne Bezug zum Leben aus der Strasse? Was bedeutet dies für laufende Wohnbauwettbewerbe? Das Bundesgerichtsurteil bezog sich freilich auf ein Einfamilienhausgebiet in Niederlenz, das neben einer Industriezone liegt – nicht im entferntesten ein Fall der Innenentwicklung. An der VLP-Tagung wurde daher betont, alles sei noch immer möglich: Wie die Medienmitteilung des Bundesgerichts sagt, «fällt die Erteilung einer Ausnahmebewilligung durch die zuständige kantonale Behörde in Betracht, falls alle zumutbaren Lärmschutzmassnahmen ergriffen wurden und das Bauprojekt der qualitativ angemessenen Siedlungsentwicklung und -verdichtung nach innen dient.». Im Kanton Zürich sind, wie ein Rundschreiben des Baudirektors vom 22. Juni zeigt, Projekte mit immissionsbelasteten Fenstern in Zukunft nur noch mit kantonaler Ausnahmebewilligung möglich, und nur wenn alle anderen Möglichkeiten zum Lärmschutz ausgeschöpft sind und ein konkret begründetes, überwiegendes Interesse (Siedlungsentwicklung nach innen) nachgewiesen wird.

Richtigerweise bilanzierte Lukas Bühlmann VLP-ASPAN Direktor und selbst Jurist, dass eine solide Planung jedoch nicht auf Ausnahmen gegründet werden sollte. Im Fall der Lüftungsfenster werde die Ausnahme voraussichtlich regelmässig erteilt werden müssen, um die Ziele der Innenentwicklung nicht zu gefährden. Die anwesenden Bundesrichter und Baurechtlerinnen wurden angeregt, bei der Auslegung der Gesetzestexte vermehrt mit Sinn für die Raumgestaltung zu entscheiden. Bis dahin greifen Entwurfskniffe, wie die bewährte «Lüftungsfensterpraxis» – ausnahmsweise.

— Alexa Bodammer
© Wehrli + Thomas Architekten
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