Mehr Street-Credibility!

Vergleicht man die Instagram-Profile vieler Architekturschaffender mit dem, was sie bauen, dann ist es, als würde man auf gespaltene Persönlichkeiten blicken: Hier Kunterbuntes und bisweilen witziges Zufälliges aus aller Welt, dort klar zugerichtete Bauten, kalkuliert auf Architektonik und eindeutige Wirkung.

In diesem Gegensatz offenbart sich letztlich eine der grundsätzlichen Seinsbedingungen von Architektur: Dass sie sich unterscheidet. Bisweilen ist dieser Unterschied auch im Sinne der Autonomie der Architektur verdeutlicht, Ausdruck einer eigenständigen Architekturkultur, die sich eben auch vom sozialen Kontext abgrenzt. Architektur für Architekturschaffende, Kunst. Der hier Schreibende wäre der Letzte, der einer solchen eine Daseinsberechtigung absprechen würde. Doch manchmal beschleichen auch ihn Zweifel, gerade dann, wenn es darum geht, Nicht-Architekten zu erklären, was die Baukünstlerin eigentlich erreichen wollte – und warum das so dermassen weit von den Menschen entfernt ist, die letztlich damit leben.

Nun hat sich aber schon lange und vor allem in Asien und in Japan, dem Land der Architekten-Architektur schlechthin, eine Spielart der Disziplin herausgebildet, die die Nutzer von Architektur in den Mittelpunkt stellt (vgl. wbw 11–2017 Im Gebrauch), mit einem Interesse an alledem, was diese hinter dem Rücken von Städteplanern und Architekturschaffenden so alles an gestalterischem Schabernack betreiben. Die Rede ist von Architectural Ethnography, die hierzulande unter anderem mit dem Buch Made in Tokyo von Atelier Bow-Wow eine gewisse Beliebtheit erlangte. Entstanden ist das Interesse für die eigene Architektur ohne Architekten in Japan schon in den 1920er Jahren, sozusagen aus einer Mischung von Volkskunde und künstlerischem Aktivismus.

Es waren auch Atelier Bow-Wow um Momoyo Kaijima und Yoshiharu Tsukamoto, die die Ergebnisse ihrer Streifzüge und Recherchen in eigene Architektur verwandelt haben, vielfach auch mit einer besonderen Betonung anderer Nutzungsformen, Gebrauchssituationen und gemeinschaftlicher Bindungen. Kaijima unterrichtet die so entwickelten Methoden an der ETH Zürich und hat zusammen mit Laurent Stalder dieses Jahr den Japanischen Pavillon an der Biennale Venedig programmiert. Es wäre zu wünschen, dass Architektur-Ethnographie Schule machen würde.

Denn neben der typologischen Recherche führt Architektur-Ethnographie «bei den Leuten» zu einem geschärften Verständnis für die gestalterische Funktionsweise der Stadt und für Methoden wie etwa die Zeichnung, um diese für das Entwerfen fruchtbar zu machen. Ein Einstieg ins Thema bietet sich am kommenden Samstag anlässlich der 11. Einsiedler Architekturgespräche in der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin.

— Tibor Joanelly

11th Architecture Talk
«Architectural Ethnography»
Institute for the History and Theory of Architecture, ETH Zurich Chair of Architectural Behaviorology, ETH Zurich

In collaboration with the Werner Oechslin Library Foundation
Einsiedeln, November 3, 2018

© Yukiko Suto, Courtesy of Take Ninagawa, Tokyo / The Japan Pavillon, La Biennale Venezia
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