München: Städtebau unter Hochdruck

«A bissel was geht immer», fasste Monaco Franze in der gleichnamigen TV-Serie die pragmatische und schlitzohrige Art des Münchners in fünf Worte. Städtebaulich geht derzeit sogar sehr viel in München: werk, bauen + wohnen nimmt in seiner aktuellen Ausgabe die bayerische Metropole unter die Lupe und in die Vogelschau. Gerade aus Schweizer Perspektive lohnt sich der Blick auf den Umgang der traditionell behäbigen Stadt mit einer atemberaubenden Dynamik: Innerhalb der nächsten 15 Jahre erwartet München einen Einwohnerzuwachs um eine Stadt in der Grösse von Genf und will über 150 000 neue Wohneinheiten errichten. Nachverdichtungen bestehender Stadtteile, Umnutzung ehemaliger Industrie-, Militär- oder Bahnareale, Gründung neuer Quartiere am Stadtrand; Planer und Architekten kämpfen in Bayern an denselben Fronten wie etwa in Zürich, um mit der Entwicklung Schritt zu halten und diese zu gestalten – jedoch unter sehr unterschiedlichen Bedingungen und mit ganz anderen Werkzeugen. In den Resultaten vermissen viele jene Schönheit und vor allem die urbane Qualität, die durch Theodor Fischers «malerischen Städtebau» ins Münchner Lebensgefühl eingeschrieben ist. Stadtbaurätin Elisabeth Merk berichtet im wbw-Interview von den Widrigkeiten des Städtebaus unter Hochdruck der Bauwirtschaft und in einem äusserst verjuristeten Umfeld sowie den Schwierigkeiten, Bewohner und Planer in einen Dialog zu bringen. Immerhin steht ihrer Behörde mit der SoBoN ein Instrument der Mehrwertabschöpfung zur Verfügung, durch das sie jedem Investorenprojekt einen öffentlichen Nutzen in Form baulicher, verkehrstechnischer und sozialer Infrastruktur abringen kann.
Eine stark mit der Schweiz verbundene Szene junger Architekturschaffender beklagt indes einen Mangel an Transparenz und Wettbewerbskultur in München und sieht sich von einem Planerkartell ausgeschlossen. Im Gespräch mit wbw erläutern zwei von ihnen, wie sie aus der Not eine Tugend in Form der Baugenossenschaft Kooperative Grossstadt gemacht haben, die Alternativen der Planung aufzeigen und umsetzen will. Den versprochenen offenen Wettbewerb mit öffentlicher Jurierung für deren erstes Projekt in der Messestadt Riem – dem oft als Paradebeispiel misslungener Münchner Grossplanungen zitierten Quartier auf dem Areal des ehemaligen Flughafens – gewann die Zürcher Arbeitsgemeinschaft mit Tim Schäfer, Pablo Donet Garcia und Tanja Reimer. Ein Entscheid, den die Genossenschaft allerdings kurz darauf widerrief, um bekanntzugeben, dass stattdessen das zweitplatzierte Projekt von Summacumfemmer mit Juliane Greb realisiert werde – aus ökonomischen Gründen. Die Genossenschaft gesteht selbst ein, dass sie mit diesem Schritt ihrem eigenen Anspruch an das Verfahren nicht genügt. Aber eben: «A bissl was geht immer.»

— Benjamin Muschg
Leere herrscht: Entwicklungsgebiet München-Riem. Kritiker vermissen in manchen Münchner Neubauquartieren urbane Dichte und Schönheit in der Tradition von Theodor Fischers Städtebau.
© Sebastian Scheels
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