Ohne Ziele keine Entwicklung

CAP talk #7 mit Pascal Bärtschi, CEO Losinger Marazzi

Das CO2-Gesetz erlitt im Sommer eine Niederlage an der Urne. Sie hatten zu einem Ja aufgerufen und sagten im kurzen Video, Losinger Marazzi setze sich für eine Reduktion der CO2-Emissionen ein, müsse und wolle aber noch besser werden. Um welche Massnahmen geht es konkret?

Losinger Marazzi ist seit 100 Jahren innovativ. Und es macht uns Freude, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herauszufordern, indem sie diese Innovationen mittragen. Konkret heisst das, dass unsere Mitarbeitenden zum Beispiel keine eigenen Dienstfahrzeuge haben. Mit einem Mobilitätspaket erhalten sie einen monetären Anreiz, um möglichst CO2-arm unterwegs zu sein. Fahrgemeinschaften reduzieren die Anzahl gefahrener Kilometer um 25 Prozent – und wir reden hier von rund 400 betroffenen Personen, vorwiegend auf Baustellen.

Es braucht Menschen wie jene der Klimastreik-Bewegung, die kritische Fragen stellen. Wir als Firma verbessern unsere CO2-Bilanz, indem wir uns ambitionierte Ziele setzen. Ohne Ziele keine Entwicklung.

Was tut Losinger Marazzi weiter?

Die Zeit drängt, das ist klar, und wenn man meint, die Schweiz könne als Insel ein eigenes Leben führen in Bezug auf den Klimawandel, dann hat man nicht verstanden, dass wir zu einem Ökosystem gehören – auch einem politischen. Wenn unsere Nachbarländer Massnahmen und Ziele formulieren, werden wir keine andere Möglichkeit haben, als mitzumachen. Jedoch sind wir eine Branche, in der der Wandel nicht mit einem Fingerschnipsen vollzogen werden kann. Wir müssen uns jetzt auf den Wandel vorbereiten, damit wir parat sind, wenn wir zu Massnahmen verpflichtet werden.

Das heisst, als Firma bereiten sie sich also auf eine Zukunft vor, die anders aussehen wird als jetzt?

So oder so. Unabhängig von einer Abstimmung. Die Bouygues-Gruppe hat eine Stratégie Climat formuliert: Ziel ist es, bis 2030 die Treibhausgasemissionen des Unternehmens um 30 Prozent zu senken.

Wie kommt man auf diese Zahl? Wieso nicht Netto-Null?

Diese Zahl ist ambitioniert, aber machbar. Sie ist auch dem Finanzmarkt gemeldet worden, und wir werden gemessen an diesen Verpflichtungen. Die Dauer einer Immobilienentwicklung beträgt im Durschnitt über fünf Jahre. Die Entscheide, die heute getroffen werden, können nicht alle bis 2030 eine Auswirkung haben.

Ist Netto-Null bis ins Jahr 2030, wie es der Klimaaktionsplan fordert, unrealistisch im Bausektor?

Es kommt darauf an, was man zum Bausektor zählt. Grundsätzlich werden bei uns die CO2-Emissionen in drei Kategorien eingeteilt. Erstens ist da die benötigte Energie – Diesel und Strom – auf der Baustelle, zweitens die CO2-Emissionen der Materialien, die wir verbauen und dann natürlich die Betriebsphase.

In der Betriebsphase haben wir grosse Fortschritte gemacht mit den 2000-Watt-Arealen, da sind wir weit über dem Durchschnitt. Aber was die CO2-Emissionen der verbauten Substanz anbelangt, ist ein 2000-Watt-Areal nicht unbedingt besser als ein herkömmliches Areal. Vielleicht müssen wir also nicht in Emissionen pro Quadratmeter rechnen, sondern in Emissionen pro Nutzende. Das bedeutet, Flächen besser zu nutzen.

Was tut Losinger Marazzi konkret dafür?

Relativ einfache Dinge. Seit ein paar Jahren sind 25 Prozent unserer Projekte Stadterneuerungsprojekte. Wenn man keinen Beton abbricht, muss man auch keinen neuen einbringen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist auch grösser, wenn man baut, wo bereits einmal gebaut worden ist. Zweitens setzen wir Low-Carbon-Materialien wie zum Beispiel Holz ein. Holz ist eine gute Lösung beim klimagerechten Bauen, es ist aber auch gerade en Voque; im Moment ist der Holzmarkt ausgetrocknet, und es besteht ein Engpass – aber meiner Meinung nach, wird sich das wieder einpendeln. Dann gibt es drittens die Kreislaufwirtschaft. Wichtig dabei: Ich muss ein Gebäude entsprechend flexibel planen, damit es später umnutzbar wird. Stichworte sind Systemtrennung, Steigschächte, die eine Umnutzung vereinfachen oder konstruktive Massnahmen, die eine künftige Aufstockung ermöglichen.

Das sind ja höchst architektonische Überlegungen.

Wir wollen Projekte entwickeln, die für einen Investor interessant sind und die sich langfristig amortisieren. Gerade im heutigen Tiefzinsumfeld lohnt es sich, jetzt etwas mehr zu investieren, damit in Zukunft leichter umgenutzt werden kann. Auch wenn ich Fläche opfere, die ich nicht kapitalisieren kann, wie zum Beispiel die Steigschächte.

Für mich ist die Kreislaufwirtschaft unterstützungswürdig, aus diesem Grund sind wir Mitglied bei Madaster. Wir haben erste Erfahrungen gemacht mit Holzbeplankungen, die wir weiterverwendet haben und gelernt, dass das sehr gut geht, wenn es sich um denselben Kunden handelt. Schwieriger ist es, Fenster oder Trennwände irgendwo zu demontieren und einem anderen Kunden zu verkaufen, auch wegen Fragen zur Garantieleistung (vgl. wbw 5–2021, S. 8). Zum heutigen Zeitpunkt ist der Preis von neuen Elementen zudem eindeutig zu günstig.

Die beste CO2-Sparmassnahme, und wenn ich das sage, bin ich ein Exot in unserer Branche, sind am Ende die Quadratmeter, die wir gar nicht bauen. Wir müssen das Verhältnis von Netto- (damit gemeint ist die Nutzfläche) und Bruttofläche (Kosten, aber auch CO2) optimieren. Grundsätzlich sollten keine Flächen gebaut werden, die nicht genutzt werden.

Müssen wir CO2 als knappes Gut mit einem Preis verstehen, damit ein Umdenken stattfindet?

Wir möchten unseren Investoren zur Immobilienbilanz auch eine CO2-Bilanz anbieten. Weil wir sie überzeugen wollen, dass es einen Wert hat, mit reduzierten CO2-Austössen zu bauen. In die finanzielle Bilanz fliessen etwa Bauzeit, Einnahmen, Ausgaben und zum Teil die Lebensdauer der Immobilie ein. Mit dem CO2 können wir das Gleiche machen. So werden die CO2-Emissionen von der Produktion der Materialien, der Erstellung des Gebäudes und vom Betrieb der Immobilie zusammengerechnet. Wir sind überzeugt, dass Gebäude ohne bessere CO2-Bilanz zukünftig an Wert verlieren werden. Diese Meinung wird von den Investoren geteilt. Deren Sensibilität ändert sich schnell – insbesondere bei börsenkotierten Unternehmen.

Losinger Marazzi hat mit seinem riesigen Bauvolumen die Möglichkeit, alternative Bau- und Betriebsformen zu testen. Nehmen sie diese Verantwortung wahr?

Ja. Nachhaltige Quartiere und das Zusammenleben waren in den letzten zehn Jahren unser Fokus, später die Mobilität. Jetzt kommen neue Materialien zur Anwendung. Mineralwolle statt Styropor hat sich bei uns als Dämmmaterial seit langem etabliert, jetzt müssen wir mit anderen alternativen Materialien arbeiten, wie zum Beispiel Low-CO2-Beton. Wir sind offen für solche Versuche. Aber man muss auch Investorinnen und Bauherrschaften finden, die eine Affinität dazu haben. Wir bewegen uns in einem konservativen Markt. Und man muss den Massstab berücksichtigen. Nicht alles, was bei einem Einfamilienhaus funktioniert, kann auch auf die grosse Skala angewendet werden. Unsere Projekte sind gross: Von 15 bis 400 Millionen Schweizerfranken Investitionen sprechen wir da. Das sind keine Sphären für Forschungslabore.

Abschliessend unsere Standard-Frage: Was würden sie ergänzen im Climate Action Plan?

Die richtigen Quadratmeter sollen gebaut werden! Effiziente Nutzungen müssen in den Vordergrund rücken. Auf Französisch hiesse das: Wir sollten vom Maître d’ouvrage zum Maître d’usage werden. Und ich möchte anregen, dass mehr mit Anreizen und mit Motivation statt mit Verboten gearbeitet wird.

— Jenny Keller

Die Serie CAP talks, die bei werk, bauen + wohnen und Hochparterre online und gedruckt erscheint, fragt nach bei etablierten und jungen Vertreterinnen und Vertretern der Baubranche, mit welchen Massnahmen sie gegen die Klimaerwärmung vorgehen. Mit den CAP talks #7 und #8 gehen wir noch einmal online und schliessen die Serie vorerst ab.

Pascal Bärtschi Pascal Bärtschi (*1968), dipl. Bauingenieur ETH, ist seit Januar 2015 CEO der Losinger Marazzi AG, bei der er seit 2001 in verschiedenen Funktionen tätig ist. Die Schweizer Immobilienentwicklerin und Totalunternehmung ist ein Tochterunternehmen des internationalen Grosskonzerns Bouygues Construction.

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Pascal Bärtschi. Bild: Julie Masson