Unabhängig und wortgewandt – Zum Rücktritt von Daniel Kurz

Herbst 2021, an der Vernissage eines Buches über den Soziologen Lucius Burckhardt: Einer der Festredner preist den Beitrag von Daniel Kurz im Buch mit den Worten: «Allein schon dieser wunderbare Text lohnt den Kauf des Buches». Es ist natürlich kein Zufall, dass Daniel Kurz als Chefredaktor von werk, bauen + wohnen über einen seiner Vorgänger schreibt (Lucius Burckhardt war von 1962–72 Redaktor dieser Zeitschrift). Aber was meint der Festredner mit «wunderbar»? Drei Vermutungen: Erstens, der Text ist anschlussfähig; wir alle können ihn lesen und verstehen. Zweitens, der Autor schlägt Brücken in verschiedene Richtungen; Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen erkennen sich wieder in dem Text. Drittens: Der Autor versteht etwas von seiner Sache. Daniel Kurz vermittelt mit Leib und Seele. Als promovierter Historiker und Viel- wie Allesleser gilt er als Intellektueller, lässt aber die Mitmenschen seinen Wissens- und Erfahrungsvorsprung nicht spüren. Wie alle, die um die Wirkung von Texten wissen, ringt auch er um Formulierungen und Worte, bis sie stimmig sind. Daniel Kurz ist in allen Formaten zuhause, schreibt lange, einordnende Beiträge genauso wie knappe Statements und ist sich auch nicht zu schade für die ganz kurze Ausstellungsvorschau.

Ein Vermittler

Selbst seine soeben in zweiter Auflage erschienene Dissertation Die Disziplinierung der Stadt ist leicht zugänglich und liest sich spannend und kurzweilig. Darin legt er bisher unbekannte Schichten des Städtebaus im Zürich des frühen 20. Jahrhunderts frei: Hinter der guten Absicht, einwandfreien und günstigen Wohnraum in einer «anständigen» Umgebung für die Arbeiterklasse  bereitzustellen, traten autoritär angehauchte Regulierungstendenzen zum Vorschein, die das weit herum verehrte und verklärte Rote Zürich in einem anderen Licht erscheinen lassen. In die Redaktion von werk, bauen + wohnen brachte Daniel Kurz nicht nur seine ureigene Lust am und Fähigkeit zum Vermitteln ein, sondern auch eine grosse Neugier. Die Komplexität und zuweilen überfordernde Bedingtheit von Architektur und Städtebau ist für ihn ein Ansporn: Indem so viele Themen mit der Baukultur verknüpft werden können, ist sie eben gerade ein ideales Medium, um die grossen Fragen der Gegenwart und Zukunft zu verstehen. Ein Thema betrifft den Umgang mit unserer Umwelt und unseren Lebensgrundlagen. Die Leserinnen und Leser merkten es den Heften an, dass Daniel Kurz darin sattelfest ist. Er kennt und begleitet das Thema seit den 1980er Jahren, und das schlägt sich in der Zeitschrift nieder. Hinzu kommen ein politisches Sensorium und das Interesse für gesellschaftliche Themen, das ihn mit Lucius Burckhardt verbindet. Sowohl Kurz wie auch Burckhardt sind Aussenstehende: Sie sind keinem Lager verpflichtet und wahren immer eine kritische Distanz.

Daniel Kurz’ Unabhängigkeit erlaubte es ihm, bereits 2018 deutlich Stellung zu beziehen gegen die vielen Ersatzwohnbauten in der Stadt Zürich (wbw 9–2018); er war auch einer der wenigen, wenn nicht der Einzige, der offen und deutlich den Neubau der Messe in Basel kritisierte (wbw 7/8–2013). Von Lucius Burckhardt unterscheidet ihn allerdings ein wesentlicher Punkt: Daniel Kurz agierte bei werk, bauen + wohnen nicht allein. In einem kooperativen Führungsmodell gelang es ihm, gemeinsam mit drei durchaus eigenständigen Kolleginnen und Kollegen Jahresprogramme zu entwickeln, Themen zu setzen, neue Gefässe auszudenken und Texte besser zu machen. Nach fast zehn Jahren als Chefredaktor trat Daniel Kurz per Ende 2021 zurück. Er bleibt der Zeitschrift aber weiterhin als freier Autor verbunden. Der Verwaltungsrat der Werk AG und der Bund Schweizer Architektinnen und Architekten BSA danken Daniel Kurz für seine Arbeit als Chefredaktor von werk, bauen + wohnen in den vergangenen neun Jahren sowie für sein grosses Engagement für die Baukultur.

— Caspar Schärer
Anzeige