Verkehr: Rezepte von gestern

Wo der Wind des Fortschritts weht, wissen wir schon lange: In Sachen Verkehr und öffentlicher Raum pilgert man heute nach Amsterdam und Kopenhagen (vgl. wbw 10–2014: Strassenräume). In der Schweiz dagegen sind – mit der löblichen Ausnahme vielleicht von Bern – gegenwärtig Retro-Ideen angesagt. Dabei denken wir nicht nur an das seltsam antiquierte Jubiläumsgeschenk, das sich die Zürcher Kantonalbank zum Hundertfünfzigjährigen ausgedacht hat: eine Landi-G59-Seilbahn über den See.
Die Bahn kommt nach fünf Jahren wieder weg. Das gilt leider nicht für die Autobahn-Westumfahrung in Biel, die die Stadt parallel zum See der Länge nach aufreisst, und deren Baustelle nicht nur historische Bauten, Parks und Alleen zerstört, sondern das Zentrum für mindestens zwanzig Jahre fast komplett vom See abschneiden wird. Der Kanton Bern verkauft das Projekt, das aus jahrzehntealten Schubladen stammt, mit dem Slogan «Lebensqualität für die ganze Region». Soeben ist die Planauflage abgeschlossen – doch nun regt sich Widerstand: Unter dem Motto «Biel notre amour» lancieren engagierte Bieler eine Petition gegen das Mammutprojekt.
Nicht genug: In Zürich hat der Regierungsrat soeben den Begriff «Velostrassen» aus dem städtischen Richtplan gekippt. Die Umwidmung von Strassenzügen mit Priorität für den Veloverkehr – sichere Velorouten vom Stadtrand ins Zentrum – muss nun also eine weitere Generation auf ihre Realisierung warten.
Es ist schon befremdlich, wie anachronistisch Verkehrspolitik sein kann. Oder ist es eher logisch? Solange diese Effizienz mit Geschwindigkeit gleichsetzt und die raumsparenden Qualitäten des Langsamverkehrs übersieht, muss Lebensqualität hintenanstehen. Mit dem Rückenwind des jüngst beschlossenen NAF heisst allenthalben die Losung: Mehr Strassen! – auch wenn man längstens weiss, dass mehr Strassen auch mehr Verkehr generieren. Für die Lebensqualität gibt es dann ja das Gondel-Bähnli über den See.

— Tibor Joanelly und Daniel Kurz
© Tiefbauamt des Kantons Bern
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