Was die Architektur kostet

Für die historische Recherche in Architekturzeitschriften gibt es ja bekanntermassen auch das Baugedächtnis der ETH. Dort findet man alle Jahrgänge von werk, bauen + wohnen, die älter sind als fünf Jahre – gratis. Die fünf Jahre sind unsere «Bezahlschranke», denn die Arbeit am Heft kostet: Der Aufwand für Recherche, Schreiben, Aufbereiten und Vertreiben bleibt sich gleich, ob wir digital publizieren oder auf Papier.

Neben den älteren Artikeln im Baugedächtnis gibt es auch Aktuelles von werk, bauen + wohnen im Internet. Wir folgen dabei dem Grundsatz, dass wir Inhalte online publizieren, die das gedruckte Heft ergänzen. Neben den online-Rubriken JAS Junge Architektur Schweiz und werk-notiz – in letzterer erscheint ja auch dieser kleine Text – ist nun unser seit 1982 erscheinendes werk-material online greifbar. Natürlich: die Faltblätter aus den älteren Heften können auch auf dem Baugedächtnis abgerufen werden. Doch mit der Lancierung von werk-material.online haben wir einen entscheidenden Schritt in Richtung erweitertem Nutzen gemacht. Denn erst in der digitalisierten Form lassen sich die erfassten Kennwerte der porträtierten Bauten richtig vergleichen.

Die Datenbank lädt auch zum Stöbern durch die Architekturgeschichte ein, die Bauten wurden ja alle von der Redaktion ausgewählt. Sie spiegeln so einen Querschnitt durch die Schweizer Baukultur, und durch Vergleiche der Daten lassen sich interessante architekturgeschichtliche Erkenntnisse gewinnen. Man findet da zum Beispiel, dass die Basler Siedlung Bläsiring von Diener & Diener Architekten – sie hat 1981 Schweizer Architekturgeschichte geschrieben – heute und teuererungsbereinigt 616 Franken pro Kubikmeter kosten würde. Das ist zwar einiges mehr als etwa der Zürcher Manessehof von Marbach & Rüegg in Zürich (1984) mit 561 Fr./m3, doch noch immer im Median von heute. Denn der aktuelle Mittelwert bei Bauten im werk-material liegt bei vergleichbarem Volumen über die letzten knapp 40 Jahre bei etwa 620 Franken pro Kubikmeter; Abweichungen gab es früher ebenso wie heute. Die Ausrede etwa, dass aufgrund von Kostensteigerungen keine gute Architektur mehr möglich wäre, verfängt aufgrund dieses Daten-Befunds nicht mehr. Die kurze Recherche legt unter anderem nahe, dass Kosten für höhere Ansprüche und schärfere Normen durch Produktivitätsgewinne kompensiert wurden.

Beobachtungen solcher Art bedeuten eigentlich zweierlei: Erstens lohnt es sich, Projekte direkt über Kennwerte und weiterführende Informationen zu vergleichen. Und zweitens wird deutlich, dass gutes Bauen auch etwas mit gutem Rechnen zu tun hat. Je früher man also das eigene Projekt zwischen andere Vergleichsprojekte stellt, umso besser kann ein bestimmter Standard angepeilt und dann entsprechend gegenüber Bestellern und Unternehmern verteidigt werden. Was also kostet gute Architektur? Ein Blick in die werk-material-Geschichte sagt’s. Und das auch im Homeoffice, wenn die Hefte im Büro nicht greifbar sind.

— Tibor Joanelly
© werk, bauen + wohnen 4–1986
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