Im Schatten des neuen Hauptbahnhofs Wien wächst auf ehemaligen Gleisfeldern ein neues Viertel heran. Im Süden des ausgedehnten Helmut-Zilk-Parks bilden nun sieben Blöcke ein neues Stadtquartier. Ein Spaziergang durch die nördlichen drei bietet Einblick in die Konflikte der Stadtentwicklung.
Der Bau des neuen Hauptbahnhofs als Durchgangsbahnhof im Süden des Stadtzentrums hat grosse Areale der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) für die Stadtentwicklung und das Wohnen freigespielt: am West- und Nordbahnhof – sowie am Hauptbahnhof selbst das 34 Hektar grosse sogenannte Sonnwendviertel. Der Hauptbahnhof des Architektentrios Theo Hotz, Ernst Hofmann und Albert Wimmer stellte die Weichen für den Bahnanschluss Wiens neu. Durch die Finanzierung des Bahnhofs aus dem Grundstückserlös legte die ÖBB als Landeigentümerin früh die Dichte der Bebauung fest – sie erreicht durchschnittlich 3.7.
Der Masterplan für das Sonnwendviertel von Hotz-Hoffmann-Wimmer zeigt eine Trennung der Funktionen: Ein nördliches Büroviertel mit einem Hochpunkt der Architekten Henke & Schreieck sucht den Anschluss ans Quartier am Belvedere. Als Gegenstück dazu liegt südlich des Bahnhofs mit seinen 20 000 Quadratmetern Einkaufs- und Dienstleistungsfläche das Hauptquartier der ÖBB. Hinter der Tramwendeschlaufe beginnt der 6.7 Hektaren grosse Helmut-Zilk-Park, gestaltet vom Zürcher Landschaftsarchitekten Guido Hager, der 2018 eröffnet werden soll. In der Südostecke des Parks findet sich der Bildungscampus (vgl. «Fraktale Lernlandschaft», in: wbw 1/2 – 2015) von PPAG. Zu beiden Seiten des Parks liegen Baufelder für 5 000 Wohnungen.
Nördlich der Schule hat der stadteigene Wohnfonds das Sonnwendviertel I und II in vier Blöcken durch Bauträger-Wettbewerbe (vgl. «Neun von zehn» S. 26–27) entwickelt, die seit 2013 bezogen sind. Für den Streifen zwischen Gleis und Park, das Sonnwendviertel Ost, hat man aus den durchzogenen Erfahrungen der ersten Etappe gelernt. Unter Kooperation aller eingeladenen Teams ist 2012 ein eigener Masterplan entstanden. Hinter einem schützenden Riegel aus Parkhäusern und Gewerberäumen wird dort zukünftig eine kleinteiligere Struktur realisiert, mit moderiertem Erdgeschosskonzept und autofreier Mittelachse.
Zum Auftakt des Spaziergangs versammeln wir uns am Tisch im einladenden Erdgeschoss des Hotels Schani. Sein Restaurant ist ein Bindeglied des neuen Wohnquartiers zum Hauptbahnhof.
Lina Streeruwitz (LS) Vieles, was in den ersten Etappen hier im Sonnwendviertel noch undenkbar war, ist nach den Erfahrungen aus der Seestadt Aspern nun im letzten Abschnitt Sonnwendviertel-Ost machbar. Auf der Baulandzunge zwischen dem Helmut-Zilk-Park und der Bahn sind die Projekte zu etwa zwei Dritteln bestimmt, wir können gespannt sein.
Bernd Vlay (BV) In unserem Konzept im Osten nennen wir die verkehrsfreie Mittelachse «Slow-Motion-Promenade» mit Plätzen und Querspangen zum Bestand. Die Autos werden zukünftig an die Bahnseite des Quartiers rücken und Sammelgaragen parkiert. Die Struktur wird viel kleinteiliger als hier im Westen des Viertels und aktive Erdgeschoss-Zonen aufweisen. Das soll mehr Durchmischung schaffen, auch wenn die Bauträger angesichts dieser anstrengenden Rahmenbedingungen ächzen.
Birgit Brodner (BB) Innovativ ist, dass die Bauträger bereits zur Bewerbung eine konkrete Vorstellung für den Sockel mitbringen mussten.
WBW Wird aus dem Stadtteil dereinst ein Viertel, gar ein Grätzel, wie man in Wien sagt, oder bleibt er eine Insel?
LS Die neue Sonnwendgasse ist eine Barriere, sehr breit und stark befahren. Sie behindert das Gefühl, in der Stadt zu sein, und schafft Inseln, die sich abgrenzen. Hier vermisst man die Abstimmung zwischen Stadt- und Verkehrsplanung.
Reinhard Seiss (RS) Man muss es noch klarer sagen: Die Sonnwendgasse ist nicht aus sich selbst heraus eine Barriere, sondern wurde von der Stadt Wien zu einer gemacht. Eine vierspurige Strasse in so ein Quartier zu legen, verbietet es, gleichzeitig von einer Stadt der kurzen Wege oder einer klimaschonenden Stadtentwicklung zu reden. Dieser Kardinalsfehler ist jetzt für lange Jahre strukturell wirksam.
LS In Aspern ist man viel weiter, weil die Stadt mehr Angst vor dem Scheitern hatte.
BB Ein Geburtsfehler liegt jedoch im fehlenden Sockelzonenmanagement. Man hatte keine Vorstellung, welche Nutzungen kommen könnten. Es fehlte an Ansprechpartnern und an der Übersicht, welche Flächen wo frei sind.
BV Der Blick auf die Urbanität stiftenden Erdgeschosse ist aber auch ein romantischer. Die Stadt weist nicht überall das Potenzial dafür auf. Wichtig ist es zu steuern und Erdgeschossnutzungen an den richtigen Stellen zu bündeln.
BB Die übergeordnete Frage lautet doch, wo will ich Fussgänger-Frequenz haben und wo nicht? Das kann ich mit der Programmierung der Sockel lenken. Das darf man nicht den Bauträgern überlassen. Sie übernehmen kaum Verantwortung über die Grundstücksgrenze hinaus. Die Frage ist: Wer übernimmt die Verantwortung für öffentlichen Raum?
Raus in den Regen: Wir entfernen uns entlang der Alfred-Adler-Strasse vom Park und laufen entlang des ersten Blocks zu den Bauten von Vlay und Streeruwitz. Ihr Baufeld haben sie mit ihren Kollegen aufgeteilt und an mehreren Stellen offen gelassen, um eine Innenhofdurchwegung zu ermöglichen, die in den anderen Blöcken eine Fortsetzung findet. Im Eck ihres Blocks kommen wir unter, hier findet die Blockdurchwegung ihren dramaturgischen Auftakt: Die Eingangshalle als Raumskulptur mit einer Armada von Briefkästen – 450 Wohnungen befinden sich in diesem Baufeld. Im Kino, einem der gemeinsamen Räume des Blocks, frage ich nach der Entwurfsidee.
BV Unser Baufeld ist mehr als doppelt so gross als andere. Was ist der kollektive Mehrwert, den man dabei abschöpfen kann? Unsere Bauträgerin wünschte kleinere Wohnungen – in Wien figuriert das derzeit unter dem Schlagwort des «leistbaren Wohnens» – dafür mehr kollektiven Raum. Wir haben gesagt: Das Schwimmbad ist die bessere Badewanne, die Bibliothek ist das bessere Bücherregal und das Kino ist der bessere Fernseher. Was sich die Leute privat nicht leisten können, geben wir auf kollektiver Ebene wieder zurück. Unser «Wohnzimmer» ist also ein kollektiver Raum, verteilt über alle Häuser des Blocks, verbunden durch gelbe Brücken auf der dritten und vierten Etage.
RS Im Unterschied zu anderen kommunikationsfördernden Wohnbauten bilden die Gemeinschaftsräume hier allerdings nicht das Herz der Anlage, sondern sind relativ versteckt.
LS Die Organisation erfolgt über soziale Medien. Die Bewohner und Bewohnerinnen bringen Leute aus dem Quartier mit, allein das öffnet schon. Das Schwimmbad funktioniert ganz wie ein öffentliches. Anders wäre es finanziell gar nicht möglich. Zudem gibt es zahlreiche Angebote: Sauna, Gemeinschaftsküche, Musikraum, Fahrradwerkstatt, Indoor-Spielplätze, Café, Kindergarten, Marktstand.
BB Als Bewohnerin muss ich anmerken, dass man die zusammenhängende Idee des Wohnzimmers, das sich über alle Baukörper verteilt, wenig wahrnimmt. Die Einzelteile sind wohl bekannt, aber nicht der Zusammenhang, das Ganze. Aber das ist wahrscheinlich für den Gebrauch auch gar nicht wichtig.
LS Das ist eine Frage der Moderation, die ist im Stress der Fertigstellung zu kurz gekommen. Die Kommunikation mit den Bewohnerinnen ist extrem wichtig.
BB Aber Komplimente für den langen Holztisch und den Grill. Wenn ein Grill im Hof steht, gibt es keine Frage, ob gegrillt werden darf. Solche Angebote sind Katalysatoren der Kontaktaufnahme.
LS Der Hof ist ja bewusst offen gelassen, hat keine Zäune. Alle Nischen und Abteile des Hofs sind durch Stege miteinander verbunden. Sie sind nicht gleichzeitig überall einsehbar und zudem in Terrassen gestuft.
RS Für mich ist es eine Terrassierung ohne Not, denn darunter befindet sich eine Stahlbetondecke über drei Geschossen Tiefgarage: Die Geländemodellierung und die dominanten Garagenentlüftungen zergliedern den Freiraum in teils unwirtliche Restflächen.
LS Was du Restflächen nennst, sind für uns unterschiedliche Bereiche, auf denen sich die Leute verteilen. Das ermöglicht ein Nebeneinander unterschiedlichster Nutzungen.
BB Ganz zu schweigen vom überdachten Kinderspielplatz im Hof, den es hier gibt. Darüber hinaus ein Indoor-Spielplatz für Kinder von 6-10 Jahren, die andere Bedürfnisse haben als die Kleinen. Einer verläuft hier an der Nordfassade über drei Geschosse.
Wir gehen von der Etage der Gemeinschaftsflächen hinab zum Innenhof, dem Objekt des Disputs.
BV Nach dem Masterplan durften wir die Strasse nach Süden öffnen. Das ermöglicht Blicke in die Tiefe, trotz einer Dichte weit über 3,0 auf unserem Baufeld.
RS Ich verstehe nicht, dass ihr die klassische Blockrandbebauung wegen ihrer vermeintlichen Enge aufbrecht, mit eurer Verbauung des Blockinnenbereichs die einzelnen Wohnungen aber wieder aneinander rückt.
LS Durch die ausgedrehten Fassaden ist ein frontales Gegenüber vermieden, die Ausblicke gehen aneinander vorbei, das war Klaus Kada, dem Architekten der Häuser, ganz wichtig.
Wir verlassen das Haus und stehen an der zukünftigen Parkavenue, direkt am Helmut-Zilk-Park. Die Freifläche ist noch eingezäunt, die geringe Strassenbreite irritiert.
RS Die Bauten hier zeigen, dass die Lage am Park nicht als Potenzial erkannt wurde. Wir sehen noch zahlreiche Leerstände, und in anderen Bereichen schotten sich die Häuser gegen den Grünraum richtiggehend ab. Selbst das Restaurant Urban’s hat seine Hauptpublikumszone zum relativ dunklen Hofeingang, nicht zum Park hin. Es scheint, als ob die Strassenbahn, die an der Parkkante entlang verlaufen wird, beinahe als Bedrohung erscheint.
BV Die Erdgeschossnutzung hier am Park sehe ich entspannt. Architekten müssen eine Struktur entwerfen, eine Hardware, die auch später auf der Software-Ebene anpassbar ist.
WBW Das Verlegen der Tramlinie auf diese Seite isoliert das Sonnwendviertel-Ost. Die einseitige Bebauung lastet die Strassenbahn nicht gut aus. Die Bahn trennt den Zugang zum Park ab. Wie kommt es dazu?
BV Das Problem liegt in der Segmentierung von Kompetenzen bei der Planung: Die städtischen Verkehrsbetriebe handeln in Eigenlogik. Sie argumentieren mit der Sicherheit und verlangen Zäune oder wenigstens Pflanzelemente zum Schutz der Strecke. Es gibt Empfehlungen der Planer den Rand möglichst offen zu halten, aber die Gefahr ist gross, dass sich hier ein weiteres Mal die destruktive Eigenlogik durchsetzt.
LS Strategien, die einen parzellenübergreifenden Mehrwert im Erdgeschoss oder Freiraum bieten, stecken in Wien noch in den Kinderschuhen.
BB Mehrfach genutzte Freiräume, man kann das am Bildungscampus sehen, sind nach wie vor kaum denkbar. Das Areal ist eingezäunt und verhindert eine Belegung nach Schulschluss.
Wir biegen ab in den Innenhof des dritten Blocks, in diesem Teil entworfen vom Masterplaner Albert Wimmer. Hier ducken wir uns im offenen Zugang und drücken zur Gestaltung die Augen zu. An einem eingezäunten Spielplatz auf violettem Grund vorbei, kommen wir staunend vor einer offenen Tiefgaragenabfahrt zum Stehen.
RS Wer Passagen wie diese als Schlechtwetterspielplätze verkauft ist zynisch: das sind Angsträume. Im Hof ist es nicht besser: Gerade bei einer so dichten Bebauung ist die Nutzbarkeit aller Freiflächen zentral. Ihre Vergeudung für eine offene Tiefgaragenabfahrt ist ein Hohn. Warum winken die Fachgremien des Wiener Wohnbaus so etwas durch?
BB Hier offenbart sich auch etwas Generelles: In Wien ist die Freiraumplanung immer noch die nachträgliche Disziplin. Eigentlich gilt es doch zuerst den Freiraumverbund als Gesamtes zu denken, dann die Ausgestaltung auf der Parzelle parallel zum Bau. Auf der Einzelparzelle bleiben für die Freiraumplanung nur kleine Möglichkeiten, wie Grill und Bank im Baufeld vorhin.
RS Auch stellt sich die Frage: Warum müssen gerade hier an der Blocköffnung erdgeschossige Wohnungen liegen, deren Gärten einzig durch Maschendrahtzäune vom Strassenraum getrennt sind? Direkt angrenzend stehen die Autos.
Wir treten aus diesem Block und begutachten die Westseite der Hackergasse, eine Quartierstrasse, doppelt so breit wie eine Gasse. Die linke Gassenseite ist entworfen von Blaich + Delugan, die rechte von Hubert Riess.
RS Wenn unsere Augen den Erdgeschosszonen entlang wandern, sehen wir keinerlei aktivierte Flächen: nur Müllräume, Garageneinfahrten und meterweise verschlossene Fassaden. Der Stadtraum dient nur als Abstandsfläche für die Wohnungsbelichtung und zum Parkieren.
WBW Was liesse sich hier denn verbessern? Gibt es nirgends in den neuen Blöcken wirklich gute Wohnmöglichkeiten im Erdgeschoss?
RS Wohnungen im Erdgeschoss sind möglich, sobald es Maisonetten sind und der Freiraum nicht nur dem Auto gehört. Man kann im Sockel Küchen oder Wohnzimmer zur Strasse orientieren, wie das in Holland und Dänemark gemacht wird. Eine solche Wohnkultur liesse sich doch auch in Wien etablieren. In der Hackergasse gibt es aber keine Möglichkeiten zum Umbau oder für eine andere «Software», wie Bernd Vlay vorhin meinte. Die sieht in zwanzig Jahren nicht anders aus.
Wir stehen am Zugang zum Innenhof des zweiten Blocks. Erstaunlicherweise der einzige Bau, der sich zu diesem öffnet, ist zugleich ein Eingang zur hauseigenen Bibliothek im Baufeld von Schindler + Szedenik, die hier ein partizipativ entwickeltes Projekt gebaut haben. Diese gemeinschaftsorientierte Funktion nutzt die Lagegunst. Alle anderen Bauten wenden sich vom Hofdurchgang ab und zeigen Brandwände.
RS Der Freiraum hier ist am ehesten als zusammenhängende Grünfläche zu sehen, doch stimmten die vier Bauträger ihre Freiraumgestaltung nicht aufeinander ab. Mehrere Geländesprünge zerteilen den Hof. Und auch in diesem Block sehen wir Souterrainwohnungen – weil es sich sonst laut Bauträger trotz acht- bis neungeschossiger Bebauung nicht rentiert.
LS Es gibt einen Kaufpreis für die Baufelder, der sich aus der Geschossfläche ableitet und im Flächenwidmungs- und Bebauungsplan fixiert wird. Durch diese Widmung ist das abgegrabene Geschoss festgelegt, wenn man nicht schlechter belichtete Grundrisse bauen will. Das führt zu den Geländemodulationen Es ist wenig Spielraum bei dieser hohen Dichte und einer engen Widmung mit diesen Traufhöhen. Wenn ein Spielraum da ist, lässt sich auch eine hohe Dichte qualitätsvoll realisieren.
RS Das ist ein Grundproblem des ganzen Hauptbahnhofviertels: Der Städtebau wurde durch den Bodenpreis determiniert. Der Erlös aus den Flächen musste den Bahnhof finanzieren. Und die Stadtplanung ist darauf eingestiegen. Und so steht auch hier die politische Schwäche am Beginn des Projekts. Die hohe Bebauungsdichte ist nur das letzte Glied in der Fehlerkette.
Zum Abschluss stehen wir vor den roten Häusern des ersten Blocks, konkret vor dem Jugendraum unter dem aufgeklappten Rasenstück zu Füssen der roten Häuser. Vor uns liegt die Rampe, die zu den Eingängen, zum Marktstand hoch sowie zum Schwimmbad führen. Ins Auge fallen die zahlreichen Geländer, die uns selbst vom Staudenbeet fernhalten.
RS Die abgezäunten Grünflächen im Vorfeld sind nicht zugänglich. Und das ganze Entrée in den Block rein ist dessen Erschliessung geopfert. Auch hier stellt sich die Frage: Wo liegt die Qualität der Blocköffnung abseits des immobilienwirtschaftlichen Sinns, auf diese Weise höhere Dichten zu realisieren?
BV Neben den angesprochenen Blicken in die Tiefe, sind an dieser offenen Raumkante auch Nutzungen angelagert. Unter dem Hügel liegt der Gemeinschaftsraum der Jugendlichen. Diese Gruppe wird meist an den Rand gedrängt. Hier spendieren wir ihr bewusst an gut erreichbarer Stelle einen Raum. Die Skater bespielen die Rampen hinunter. Im Freiraum muss nicht jeder Flecken physisch nutzbar sein. Die Staudenbeete und Sträucher haben eine sinnliche Qualität, die sich über ihre Anmut vermittelt, wie eine Szene in einem szenografischen Konzept.
RS Aber diese Szenerie bildet doch keinen Stadtraum und vergeudet nur kostbare Fläche.
BV Wir hätten gerne die innere Offenheit unseres Konzepts und damit die Nutzbarkeit der abgegrenzten Flächen umgesetzt. Die vielen Geländer sind für alle unbefriedigend. Um diese Erfahrung reicher, würden wir heute sicherlich strategischer denken, weniger Konflikte provozieren, weil man schon zu vornherein weiss, da kommen Feuerwehr, Sicherheitsbedenken und der Kostendeckel. Aber die Grundidee mit dem Jugendraum und der sinnlichen Qualität des Freiraums finde ich nach wie vor richtig.
Zum Abschluss stehen wir in der westlichen Innenhof-Ecke im ersten Block, auf dem Weg von der Eingangshalle zum Schwimmbad.
RS Vorhin habt ihr gemeint, diese Zone sei nicht so intensiv nutzbar und diene der Gliederung des Hofs: Ich muss sagen, die ist gar nicht nutzbar. Ihr redet das schön.
BV Eine intensive Nutzung an dieser Stelle brächte nur Konflikte. Hier türmt sich die grösste Dichte im Quartier. Wir stehen auf dem Dach von Schwimmhalle und Sauna, dem eigentlichen «versunkenen» Erdgeschoss. Hier ist programmatisch viel los. Nicht überall braucht es eine multifunktionale Wiese.
RS Angesichts der vielen Wohnungen und der Knappheit an Aussenräumen fände ich es richtig, wenn die Freiflächen überall brauchbar wären. Und die Landschaftsarchitektur sollte gerade im sozialen Wohnbau zweckdienlich sein und von selbstverliebten Spielereien absehen.
LS Lass uns abwarten, bis die intensive Bepflanzung in die Höhe gewachsen ist und wir sie geniessen können. Die Landschaftsarchitekten haben gekämpft für diesen Azaleengarten. Da steckt viel Herzblut drin.
RS Aber Herzblut ist doch kein Argument.
Birgit Brodner (1969) studierte Landschaftsarchitektur und arbeitet selbständig als Beraterin und Projektentwicklerin in Wien. Sie wohnt im Block C.01.
Reinhard Seiss (1970) ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien. Er promovierte zur Stadtentwicklungspraxis in Wien, die Dissertation liegt als Buch vor: Wer baut Wien? (Wien 2007).
Lina Streeruwitz (1977) studierte Architektur und promovierte zum Thema Sehnsucht nach Unordnung im Architekturdiskurs. Sie ist seit 2009 Projektpartnerin im STUDIOVLAY.
Bernd Vlay (1964), Architekt und Urbanist, gründete STUDIOVLAY Büro für Architektur, Urbanismus und Forschung in Wien. Er hat in Graz, Wien und Ithaca/New York unterrichtet, ist Generalsekretär von Europan Österreich.