Diagnose ohne Befund

Schweizweit im S AM

Tibor Joanelly, Tom Bisig (Bilder)

Das Rauschen der Bilder: schweizerisches Architekturschaffen zeigt sich diskursoffen, nahe am Alltäglichen und vielfältig.

Mit über dreihundert Bildern, postkartengross und aufgereiht auf zwei Leuchtkästen: so präsentiert sich das aktuelle Schweizer Architekturschaffen in Andreas Rubys erster Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum in Basel. Ruby ist dort seit Anfang 2016 neuer Direktor und sein erklärtes Ziel ist, «die Hermetik des Architekturdiskurses zu durchbrechen» (genaueres hier).
Unter dieser Prämisse hat er sich mit seinem Team an die Sichtung des verfügbaren Materials gemacht. An der Ausstellung sind denn auch Krethi und Plethi vertreten, und einige Büros darunter sind sogar für den werk-Redaktor eigentliche Entdeckungen. Dass im doch eher überschaubaren Schweizer Umfeld noch unbekannte Namen zu finden sind, hat unmittelbar mit dem Konzept der Ausstellung zu tun – einer eigentlichen Umkehrung der kuratorischen Arbeit.
Auswählende waren diesmal die Architekturschaffenden selbst, die, via regionale Architekturforen kontaktiert, zu drei Fragen Stellung beziehen^mussten: Zur Relevanz eigener und anderer Werke für die Schweizer Architekturproduktion sowie zu inspirierenden «vernakulären Gebäuden oder räumlichen Situationen ». Als «Antworten» sandten alle je Frage ein Bild mit Bildunterschrift ein, oftmals wurden diese per Mail erklärt. Einzelne Ausdrucke dieser Korrespondenz sind im S AM an die Wände gepinnt.

Affirmatives Bilderrauschen

Man täuscht sich, wenn man meint, dass dieses Frage- und Antwortspiel schon einen Diskurs ausmache. Was man liest, sind einzelne Statements und Präzisierungen von Büros – künstlerische Standortbestimmungen oder auch nur Rechtfertigungen der eigenen Arbeit. So erscheinen die ausgestellten Arbeiten zumeist erratisch und alleine durch die kleinen Formate in einer gemeinsamen Matrix vereint. Der Diskurs zur Schweizer Architektur gleicht mehr einem Rauschen der Bilder. Als visueller Atlas des Schweizer Architekturschaffens ist und bleibt die Ausstellung tautologisch: Man sieht, was man sieht.
Wenn es das Ziel gewesen sein sollte, über die Sammlung und das damit einhergehende Bild der Vielfalt hinaus eine Aussage zur Befindlichkeit der Schweizer Architektur zu machen, so ist dieses Ziel nicht erreicht worden. Die Diagnose liefert keinen Befund. Wenn es für die neuen Kuratoren aber eher darum ging, sich einen Überblick zu verschaffen über die Szene, in der sie sich bewegen – und diese zugleich für die Arbeit einzuschwören, die das Architekturmuseum als schweizerische Institution in das Land hinaustragen soll –, dann war man darin erfolgreich. Ruby hat anlässlich seines Einstands die Idee eines virtuellen Museums skizziert, das die eigene Sammlung via Datenbank ausserhalb der eigenen Mauern aus realen Bauten aufbauen könnte. Das affirmative Bilderrauschen ist in diesem Sinn eine äusserst wirksame Form der Kontaktaufnahme mit den Objekten der Begierde.

Das Rauschen der Bilder: schweizerisches Architekturschaffen zeigt sich diskursoffen, nahe am Alltäglichen und vielfältig.

Gebrochene Schönheit

Indem das Bilderrauschen jeden inner-architektonischen Diskurs untergräbt, öffnet es ihn aber auch für Nicht-Architekturschaffende. Bilder, die im ersten Saal der Ausstellung noch in Leuchtkästen zu überschauen sind, werden in den beiden nächsten Sälen grossflächig projiziert. Ähnlich wie auf Facebook kann das Publikum die Architektur konsumieren, mögen oder ablehnen – like it or not.
Interessanter wird es allerdings im letzten Saal. Ausgestellt sind alle Bilder zur Frage nach vernakulären Gebäuden oder Orten, die den eingeladenen Büros wichtig sind. Die an einer Art Wäscheleine aufgehängten Tafeln zeigen verblüffend viele Staumauern und alpine Sujets, daneben aber auch Alltags-Unorte, das Mittelland hinauf und hinab. Man findet nur zwei-, dreimal «Stadt». Das Schweizer Territorium wird hier durch Architektenaugen als Mythos dargestellt, der in seiner gebrochenen Schönheit Offenheit schafft für verschiedenste Diskurse. Das, was in der Ausstellung am wenigsten mit der Disziplin der Architektur zu tun hat, ist für Aussenstehende am besten zugänglich. Es ist der Kommunikation mit denjenigen am förderlichsten, die noch nicht bekehrt sind.

Schweizweit
SAM Basel
bis 7. Mai 2017
sam-basel.org


Ausstellungskatalog
Andreas Ruby, Viviane Ehrensberger, Stéphanie Savio (Hg.)
Schweizweit
Christoph Merian Verlag
336 Seiten, 486 Abbildungen, broschiert
17 × 24 cm
CHF 42.— / EUR 39.—
ISBN 978-3-85616-814-8

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