Zu viel Platz?

Ein neuer ÖV-Knoten in Lausanne-La Sallaz

Anna Hohler, Matthieu Gafsou und Yves André (Bilder)

Am nördlichen Stadtrand von Lausanne wurde die Metro mit dem Busnetz verknüpft. Der Bau einer Umfahrungsstrasse und die Umgestaltung der ehemaligen Transitachse sollten die Avenue de La Sallaz in einen autofreien Platz verwandeln. Doch ist hier ein städtischer Ort entstanden?

Der Fussgängerstrom von der Metrostation folgt der Richtung des Bodenbelags; die Place de La Sallaz in Lausanne entwickelt sich quer dazu gleich hinter der nächsten Gebäudeecke.
Bild: Matthieu Gafsou

Wie ein Hunderücken liegt das Plateau von La Sallaz am Stadtrand von Lausanne, zwischen zwei kleinen, tiefen Tälern, vom Flon und der Vuachère in die Hügel geschnitten. Nach Norden führt die Route de Berne bis auf fast 900 Meter über Meer in den Bois du Jorat, südlich fällt die Strasse steil in Richtung Stadtzentrum ab. Auf dieser 300 Meter langen, schmalen Hochebene – dem historischen Eingangstor im Norden der Stadt – machten früher die Reisenden aus Bern gerne Halt, froh, im waldreichen Hinterland den Räubern entgangen zu sein. Es gab hier eine Poststelle, eine Auberge, ein Belvedere: Weit unten zwischen den bewaldeten Talflanken erblickt man bei klarem Wetter die Türme der Kathedrale und das Château Saint-Maire, im 19. Jahrhundert eine der verbreitetsten Ansichten der Lausanner Altstadt.1

Die als Volumen ausgebildeten Unterstände der Bushaltestellen auf dem Platz in Lausanne-La Sallaz folgen der Fahrtrichtung, während der Belag weiterhin seine Querrichtung behält
Bild: Matthieu Gafsou

Wo ist der Platz?

Seit 2008 hält in La Sallaz die neue Metro M2. Sie bringt die Fahrgäste in nur zehn Minuten zum Bahnhof, in einer knappen Viertelstunde bis hinunter nach Ouchy, an den See. Zeitgleich wurde das Busnetz angepasst; neu wenden zwischen der Route de Berne, der Route d’Oron und der Avenue de la Sallaz fünf Linien, zu Stosszeiten fährt alle zwei Minuten ein Bus. Geschätzte 16 000 Menschen steigen hier täglich um, aus und ein: ein neuer ÖV-Knoten, für die Stadt ein Symbol der sogenannten sanften Mobilität (mobilité douce). Schon Ende der 1990er Jahre, während der Planung der Metro, wünschte sich das städtische Baudepartement, dass aus La Sallaz ein neues urbanes Zentrum und aus der Transitachse ein Platz würde. Der Bau einer Umfahrungsstrasse und eine als flankierende Massnahme geplante Umgestaltung der Avenue sollten genügen, um diesen Wandel zu vollziehen. Der nördliche Teil der Strasse wurde umgetauft, und heute tragen zehn neue, blaue Strassenschilder die Aufschrift «Place de la Sallaz». Böse Zungen behaupten, so viele seien auch wirklich nötig, um zu merken, dass es sich um einen Platz handle.
2005, noch vor Eröffnung der Metro, haben Stephanie Bender und Philippe Béboux von 2b architectes den von der Stadt Lausanne ausgeschriebenen Studienauftrag für die architektonische Gestaltung des mehr als eine Hektare grossen Geländes gewonnen. Und auch sie sagen: «Ein wirklicher Platz ist das nicht. Eher eine Art Raum-Kontinuum.» Letzten Sommer, ganze elf Jahre nach der Auslobung, wurde der Platz – nennen wir ihn mangels einer treffenderen Bezeichnung halt doch so – endlich eingeweiht. Trotz partizipativer Planung hatten verschiedene Einsprachen das Projekt verzögert. Auch die Umfahrungsstrasse war lange umstritten – ein Rekurs kam bis vor das Bundesgericht –, ist nun aber seit 2011 in Betrieb. 40 000 Fahrzeuge rollten täglich durch die Avenue de la Sallaz. Heute ist der Durchgangsverkehr untersagt – die Busse wenden auf der nördlichen Hälfte des Platzes –, und verkehrstechnisch gesehen ist der Ort eine sogenannte Begegnungszone. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit beträgt 20 km/h, Fussgänger dürfen die ganze Verkehrsfläche benützen und haben den Vortritt. Spielen ist erlaubt – zwischen Fahrrädern, Lieferwagen, Taxis und Bussen.

Die Neubauten von L-architectes befestigen
einerseits die Hangkante (mit Holzfassade) und begleiten andererseits die Place de La Sallaz.
Bild: Yves André

Natürlich muss der Platz von den Pendlern, Passantinnen und Anwohnern erst richtig in Besitz genommen werden. Was heute leer wirkt, ist vielleicht in ein paar Jahren belebt. Vor allem die mehr als achtzig neu gepflanzten Linden brauchen Zeit, bis sie eine respektable Höhe erreichen. Mit nur fünf Metern Abstand zwischen den Stämmen sollen die Kronen zu dichten, grünen Blätterkörpern zusammenwachsen. 2b architectes haben ihr Projekt netzartig strukturiert: Die Volumen – Baumkörper, massive, überdachte Haltestellen sowie quadratische Bänke – verlaufen in der Längsrichtung entlang der ehemaligen Hauptachse; der Bodenbelag hingegen ist rechtwinklig dazu gegliedert und weist so den Fussgängern den Weg, die den Platz in Richtung Metrostation überqueren. Helle und dunkle Streifen wechseln sich ab, der Beton wird dort breiter, wo die Busse verkehren, der Asphalt dort, wo der Platz weniger intensiv befahren wird. Im mehr als 25 Meter langen und fünf Meter hohen, zentralen Bau sollte ein Café einziehen: Tische und Stühle im Freien hätten den Platz belebt. Ein Rekurs der umliegenden Gaststätten hat dies verhindert. Jetzt sind da ein Blumenladen und eine kleine Epicerie zu finden.
2b architectes entwickelten ein Element aus Gusseisen, eine vielseitig einsetzbare, einen Quadratmeter grosse Platte, deren Öffnungen das Motiv der Lindenblätter aufnehmen. Sie kam sowohl horizontal – als Bodenbelag bei den Veloabstellplätzen und als Baumschutzrost – als auch vertikal (Verkleidung der Bushäuschen und der Sitzmöbel) zur Anwendung. Auch das Beleuchtungskonzept basiert darauf: Die Lichtquellen sind im Innern der Volumen platziert; das Licht scheint durch die Platten hindurch und macht sie so zu grossflächigen, diffusen Leuchtkörpern. Das formale Ziel, Bauten und Baumkörper einander anzugleichen, hat freilich einen Preis: Die Wartehäuschen bieten kaum Schutz vor Wind und Wetter.

Die Neubauten von L-architectes befestigen
einerseits die Hangkante (mit Holzfassade) und begleiten andererseits die Place de La Sallaz.
Bild: Yves André

Strategische Fehler haben Folgen

So weit, so gut. Wieso reicht das nicht aus, um aus dem Plateau von La Sallaz auch wirklich einen Platz zu machen? Die heutige Situation sei das Resultat einer Reihe von Fehlentscheiden im Vorfeld der eigentlichen Gestaltung des Platzes, meint die Urbanistin Ariane Widmer Pham, Leiterin der für die überkommunale Planung des Lausanner Westens verantwortlichen Agentur SDOL.2 Sie nennt als erstes die Linienführung der Metro: Aus Kostengründen wurde das Trassee vor La Sallaz oberirdisch an der Talflanke angelegt, was zur Folge hatte, dass die Haltestelle an den äusseren Rand des Plateaus zu liegen kam. Folglich besteht die Place de la Sallaz heute eigentlich aus zwei Plätzen (daher wohl auch die zahlreichen Strassenschilder), mit dem Nachteil, dass der grösste Teil der Passanten über die rückwärtige Seite zur Metro zirkuliert und so die neue, verkehrsfreie Mitte gar nicht benutzt. Hinzu kommt, dass die ebenfalls am Hang angelegte Umfahrungsstrasse das Quartier vom Tal abschneidet. Dieser Bypass für den motorisierten Verkehr machte somit einen zweiten nötig: 2b architectes entwarfen eine in Beton und Holz gestaltete Passerelle, welche die Fussgänger sicher ins Vallon und auf den Weg ins Grüne führt (aber die eingangs erwähnte Aussicht auf die Altstadt versperrt). Auch die Radfahrer benutzen die Passerelle gern – das war zwar von den Verkehrsplanern nicht vorgesehen –, denn so kommen sie über die für Motorfahrzeuge gesperrte Rue du Vallon sicher und rasch ins Stadtzentrum.
Doch zurück zur Place. 2009 wurde hier ein zweiter, vom UBS Fund Management ausgeschriebener Studienauftrag ausgelobt. Als Besitzerin des Hochhauses am Nordende des Platzes hatte die Fondsgesellschaft durch Zufall von der geplanten Metrostation erfahren.3 Ein paar Monate später erwarb sie das anliegende Wohn- und Geschäftshaus und unterzeichnete mit der Stadt für das talwärts liegende, bebaubare Grundstück ein Versprechen für einen Baurechtsvertrag. Den nachfolgenden Studienauftrag4 gewannen L-architectes: Jeanne Della Casa und Sylvie Pfaehler entschieden sich für einen Neubau in zwei Volumen, der in seiner Mitte den Blick auf den gegenüberliegenden Hügel frei lässt. Die Architektinnen antworten auf die Problematik der zwei Plätze, indem sie bewusst ein städtisches «Vorne» und ein feiner artikuliertes «Hinten», Richtung Tal, entwarfen. Mit der Übernahme dieses Teils der Überbauung durch die Stadt Lausanne wurden im Erdgeschoss eine Bibliothek und eine Kinderkrippe eingerichtet.

Zwischen den beiden Neubauten führen in einem längsgerichteten Glaspavillon die Treppen hinunter zur Metrostation.
Bild: Matthieu Gafsou

Den Verkehr verbannen

Natürlich bleiben die aussergewöhnlichen Dimensionen der Place de la Sallaz ein Problem. Schon um 1900 stieg man hier vom Tram auf den Regionalzug Lausanne – Moudon um, in den 1930er Jahren war sogar von einem 6 000 Quadratmeter grossen Eisfeld und Freibad die Rede.5 War es wirklich klug, den Verkehr zu verbannen? Gab es in La Sallaz nicht genügend Platz für ein intelligentes aneinander Vorbeikommen? Die zwei Häuserzeilen liegen mehr als vierzig Meter auseinander – eine Breite, die jener der Place de la Riponne im Stadtzentrum entspricht, durch ihre weite Leere heute eher Sorgenkind als Vorzeigestück. In nächster Zukunft soll in Lausanne auch der Grand Pont vom Verkehr befreit werden. Ist man bereit, vom Ergebnis in La Sallaz zu lernen? Oder zumindest darüber zu diskutieren?

Anna Hohler (1972), studierte Philosophie und Linguistik an der Universität Lausanne und arbeitet als freie Journalistin und Autorin in den Bereichen Architektur und Theater.

1 Eine Installation im Rahmen von Lausanne Jardins 2009 war dieser Aussicht gewidmet: Dentelles, von Aline Juon und Florine Wescher aus Genf.
2 Stratégie et développement de l’Ouest Lausannois. Ariane Widmer Pham war zudem Jurymitglied beim Studienauftrag der UBS (siehe zweitletzter Abschnitt).
3 Die Bauarbeiten der Metro blockierten währen zwei Tagen die Lieferrampe des Grossverteilers im Sockel des UBS-Hauses.
4 Der Studienauftrag umfasste den Um- und Ausbau des UBS-Hochhauses, den Ersatzneubau für das anliegende Wohn und Geschäftshaus sowie einen Neubau auf der talwärts liegenden Parzelle.
5 Das berichtete 1932 Jean Peitrequin, Ingenieur und Redaktor des Bulletin technique de la Suisse romande (BTSR), später Stadtpräsident von Lausanne (1950 – 1957). Siehe BTSR Nr. 8 vom 16. April 1932.

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