Artikel aus 4–2025

Aus eins mach zwei

Anbau und Sanierung historisches Wohnhaus in Winterthur von Marazzi Reinhardt

Jasmin Kunst

«Das Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt» sagte einst ein weiser Arzt namens Albert Schweitzer. Das Glück, und das Haus im Rieterquartier in Winterthur, in dem dank dem minimalen Um- und Anbau von Marazzi Reinhardt nun zwei statt einer Partei wohnen. Das herrschaftliche Haus von 1892 gehört seit sechs Generationen derselben Familie. Bis vor dem Umbau wurde es von einem Paar im Seniorenalter mit vier erwachsenen und bereits ausgeflogenen Kindern bewohnt. Nach dem Tod des Mannes bewohnte die Frau das Haus alleine – viel Platz für eine Person. Deshalb kam ihr mit einem Sohn, seiner Partnerin und der Ankunft des zweiten Enkels die Idee: Wieso nicht aus dem grossen Haus zwei machen und es als Generationen-WG bewohnen?

Gesagt, getan. Über Bekannte erhielten sie den Namen eines geeigneten Architekturbüros: Marazzi Reinhardt. 15 Architektinnen und Architekten arbeiten dort, keine Hochbauzeichner, das gehört zum Berufsverständnis von Sergio Marazzi und Andreas Reinhardt. «Wir verstehen uns als Generalisten», sagt Reinhardt, «auch die Bauleitung machen wir immer selbst». Diese Lust am Machen kommt auch vom handwerklichen Hintergrund der beiden Gründer: einer ist gelernter Schreiner, der andere Zimmermann. Das Büro bearbeitet fast nur Direktaufträge, oftmals Umbauten oder Sanierungen, und damit Aufgaben ohne fixfertiges Programm. Dieses mit der Bauherrschaft zu entwickeln, gehört zur Aufgabe. «Unsere Projekte entstehen im Dialog mit allen Beteiligten», sagt Reinhardt, «es ist der Weg der kleinen Schritte.» So auch an der Rieterstrasse.

Entstanden sind aus den acht Zimmern zwei Wohneinheiten, die grössere mit fünf Zimmern kommt komplett im Bestand unter. Eingriffe waren hier nicht nötig. Bei der kleineren Einheit mit 4,5-Zimmern, in der nun die junge Familie wohnt, hingegen schon: Eine Küche und ein zusätzliches Bad sind im östlichen Flügel des Bestands eingebaut, aus dem grossen Zimmer im OG wurden dank einer eingezogenen Wand zwei. Im Prozess stellte sich heraus, dass es zusätzlich dazu einen kleinen Anbau brauchte. Um den denkmalgeschützten Bestand zu schonen, kommen darin die Treppe, unten ein erweitertes Wohnzimmer und oben ein grosses Bad unter. Den bestehenden Eingang und Korridor teilen sich beide Parteien.

Getragen wird der bescheidene Anbau in Massivbauweise von fünf Betonstützen, der Zugang zum neuen Hausteil erfolgt über die bis zum Boden ausgeschnittenen Fenster der alten Fassade. Mit seiner klassischen Gliederung durch Lisenen, Eckrisalite, Sockel und Gesims nimmt der Anbau Bezug auf den Bestand, ganz ohne zu historisieren. Dafür sorgen das flache Dach und die rohe Materialisierung. Eigenständig, aber verbunden – ganz im Sinne der Bewohnerschaft.

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