Artikel aus 4–2025

Reizvoller Zielkonflikt

Wohn- und Atelierhaus in Urmein von Bearth & Deplazes

Christoph Ramisch

Für ein gestandenes Büro wie Bearth & Deplazes ist das Einfamilienhaus selten wirtschaftlich interessant. Reizvoll ist es eher als eine Fingerübung, die architektonische Fragen aufwirft und für grössere Projekte prüft. Stoff für den Entwurf sind dann oft Zielkonflikte wie jene in Urmein. Hier wollte die pensionierte Bauherrin ihren Alterswohnsitz errichten, dazu das Wohnhaus für den Sohn samt Familie sowie zwei Ateliers für Heimarbeit. Das Programm schien üppig und passend zum Dorf, das ortsbaulich nach einem stattlichen Baukörper verlangte. Diametral klein zur möglichen Grösse des Hauses war hingegen das Budget.

Wo andere den Bau an die verfügbaren Mittel anpassen, erprobten die Architekten das Gegenteil. Wieviel Haus kann man für wenig Geld bauen? Streng wurde das Programm sortiert: in teures und günstiges, sprich beheiztes und unbeheiztes Volumen. Wobei, wirklich beheizt sind die beiden Wohntrakte, die sich nun vis-à-vis gegenüberstehen, nicht. An kalten Tagen wird in den erdgeschossigen Ateliers sowie den Wohnräumen im Dach dank Specksteinöfen mit Holz eingefeuert. Um auch diese geheizten Bereiche günstig zu bauen, wurden räumlich und konstruktiv die Grenzen ausgereizt. Gerade vier Meter sind die Holzständerbauten breit. Innen gibt es weder Trittschall- oder Unterlagsböden noch Bodenbeläge. Rohe Vollholzdecken, 16 Zentimeter dünn, trennen das Atelier vom Wohnraum direkt darüber. So denkt man zumindest, bis man erkennt, dass sich zwischen die hohen Räume ein niedriges «Blindgeschoss» einfügt. Entlang des Korridors reihen sich darin Nassräume und Schlafkammern mit nur zwei Metern Raumhöhe aneinander. Dass darin auf 3,50 Quadratmetern bequem Bett, Fenster und sogar Stauraum Platz finden, darf und soll als gebaute Kritik an zu starren Wohnbauvorschriften verstanden werden.

Da die Ateliers zu separaten Wohnungen werden können, sind die Trakte über Laubengänge im Blindgeschoss erschlossen. Als offene Logen flankieren sie beidseitig die gemeinsame Mitte im Innenhof. Durch Holzfachwerkwände mit simpler Bretterverschalung eingehaust, bietet der Hof von Frühling bis Herbst schattigen, windgeschützten Aussenwohnraum. Er wird zur introvertierten Umkehrung des meist tristen Umschwungs freistehender Einfamilienhäuser. Laut Bauherrin soll sich das mächtige Schiebetor des Hofs regelmässig für Veranstaltungen öffnen. Dann nutzt das Haus seine gesamte Grösse und beweist, dass auch aus Sparsamkeit Grosszügigkeit und sogar Mehrwert für alle entstehen kann.

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