Artikel aus 5–2025

Gewächs im Haus

Hallenumbau für die Bundes­gartenschau in Mannheim von ­Hütten & Paläste und Ramboll Studio Dreiseitl

Florian Dreher, Lukac & Diel (Bilder)

Mannheim nutzt die Bundesgartenschau, um die Stadtentwicklung ­klimafit zu machen. Ein sprechendes Beispiel dafür ist die umgebaute Halle auf dem Ausstellungsgelände. Sie wird zum Hingucker der Schau. Offen bleibt, wie es längerfristig ­weitergeht.

Die ehemalige badische Residenzstadt Mannheim nutzt seit über hundert Jahren das Instrument der Gartenbau-Ausstellung, um ihren Stadtumbau voranzutreiben. Nach 1907 und 1975 veranstaltete die alte Industriestadt zwischen Rhein und Neckar mit der Bundesgartenschau BUGA 2023 zum dritten Mal eines dieser beliebten Grossevents. Über zwei Millionen Menschen sind der Einladung während einer Dauer von sechs Monaten (14.4.–8.10.2023) gefolgt; zur BUGA 1975 waren es noch über 8 Millionen. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Veranstaltungen, die ihren Fokus auf die Innenstadt legten, widmete sich die BUGA 2023 der Konversion rund um das Areal der Spinelli-Kasernen im Nordosten der Stadt. Geprägt durch seine Insellage, grenzt der ehemalige US-Armee-Stützpunkt an die Ortsteile Feudenheim, Vogelstang und Käfertal. Die sogenannten Spinelli Barracks, benannt nach dem im Zweiten Weltkrieg gefallenen US-Soldaten Dominic V. Spinelli, stellen nach dem Truppenabzug von 2012 nur eines von sieben amerikanischen Militärarealen als potenzielle Konversionsflächen für eine nachhaltige Innenentwicklung Mannheims dar. Mit der Konversion des 81 Hektar grossen Areals ist im Zuge der BUGA-Planung die Hoffnung verbunden, das Gebiet nach fast 80 Jahren abgeschirmter Militärnutzung in die herangewachsene, heterogene Stadtstruktur zu integrieren. Die Fläche soll zugänglich werden und zur Verbesserung des Stadtklimas beitragen.

Auf dem Gebiet der Landschaftssanierung kann die BUGA auf eine lange Tradition zurückblicken. Bei der ersten BUGA 1955 in Kassel überführte der Landschaftsarchitekt Hermann Mattern die durch Verwüstung und Kontaminierung gezeichneten Landschaftsräume in eine mit modernen Mitteln der Gartenbaukunst gestaltete, grüne Infrastruktur. Sie ist heute noch am Rosenhang im Park Karlsaue spürbar und für die Stadt von grosser Bedeutung.

Von der Urhütte zur U-Halle

Für die Transformation des Spinelli-Areals in Mannheim ist ein Grossteil des Bestands an Kasernen, Hallen und Erschliessungen dem Abriss zum Opfer gefallen; ca. 62 Hektar wurden entsiegelt. Nur ein Ensemble alter Wehrmacht-Kasernen von 1937, im konservativ-traditionellen Duktus einer «Blut-und-Boden-Architektur», künden noch von der ursprünglichen Nutzung am südlichen Ende des Areals. Hier liegt auch der Zugang zum BUGA-Gelände. Inmitten der freigeräumten Weite liegt nun gut sichtbar die ehemalige U-förmige Lager- und Logistikhalle, genannt U-Halle, als einzige erhaltene Grossform.

Die Konzeption für die Umnutzung der U-Halle stammt von Nanni Grau und Frank Schönert und ihrem Berliner Architekturbüro Hütten  aläste. In ihren Anfängen gestalteten die beiden raffinierte, zeitgemässe Interpretationen von Gartenlauben, dem Ur­typ der Kleingartenkultur (vgl. wbw 1/2–2013, S. 38–3 9), und präsentierten diese auf grossen Messen, wie auf der Grünen Woche in Berlin. Mit der BUGA Mannheim 2023 GmbH als Bauherrin scheint sich hier ein Spannungsbogen mit Themen und Elementen zur Gartenkultur und Gartenbaukunst zu schliessen. Zwischenzeitlich haben sich beide einen Namen als Expertin und Experte fürs Bauen im Bestand erar­beitet. Im Jahr 2020 gewann ihr Vorschlag für die U-Halle den ersten Preis im Rahmen eines Realisierungswettbewerbs. In ihrem Entwurf vereinigen sich komplexe Anforderungen, im Kleinen wie im Grossen, gepaart mit minimalinvasiven Eingriffen und Massnahmen zur Bestandsertüchtigung für die BUGA und einer Nutzung darüber hinaus.

Frische Luft in nackter Konstruktion

Die Stadt Mannheim leidet an Hitzestress. Jährlich gibt es bis zu 38 Hitzetage über 30 Grad und 27 Tropennächte über 20 Grad als Folge hoher baulicher Dichte und Versiegelung sowie des Klimawandels. Bereits bei der BUGA 1975 spielte die Verbesserung des Stadtklimas eine Rolle. Die Tabula Rasa auf dem Spinelli Areal sichert nun die Kaltluftzufuhr zur Abkühlung der Innenstadt. Die Planenden analysierten das Strömungsverhalten der Frischluft auf dem Gelände und perforierten nach Bedarf (form follows climate) die beiden Längsflügel der Halle. Damit verliehen sie der U-förmigen Anlage einem besonderen Rhythmus von geöffneten und geschlossenen Raumsegmenten – eine Enfilade an Innen- und Aussenräumen unterschiedlicher Grösse. Aufgrund der abgetragenen Dacheindeckung gleichen die neuen Freiluftbereiche Pergolen, die die nackte Konstruktion zur Schau stellen. Hier ist den Architektinnen und Architekten ein Kniff gelungen, der zum einen die historischen Schichten offenlegt, zum anderen eine starke identitätsstiftende Raumatmosphäre erzeugt. Zum Vorschein kam eine robuste Stahlbetonkonstruktion aus Wehrmachtszeiten am Kopf eines Hallenflügels. Sie steht im Kontrast zur leichten Stahlskelettkonstruktion der angefügten Hallenerweiterungen der US Army. Der Bestand ist «as found» im Sinne von Alison und Peter Smithson in seinem ruppigen Charme mit Spuren des Gebrauchs erhalten geblieben; es folgte keine Totalsanierung, sondern je nach Bedarf oder Notwendigkeit ein präzise gesetzter Eingriff mit einfachen Mitteln. Hierfür entwickelten Hütten & Paläste aus der Logik des Bestands einen Werkzeugkasten, um eine Vielzahl an Bespielungen und eine modularisierte Ertüchtigung des Bestands zu gewährleisten: verschiedene Typen von Giebelwänden, die die Raumabgrenzung zu den einzelnen Funktionsbereichen wie Gastronomie oder Ausstellung bilden; Verkleidungen für die Giebelwände für Brand- und Witterungsschutz; rückbaubare Regale aus Gerüstbauelementen oder standardisierte Portale aus einer Pfosten-Riegel-Konstruktion mit Polycarbonat-Stegplatten. Der Umbau wurde vor Beginn der eigentlichen Baumassnahmen vor Ort auf seine Umsetzbarkeit, Reparierfähigkeit und Rückbaubarkeit erprobt. Alle Eingriffe sind sichtbar, klar in der Struktur und selbst für Laien nachvollziehbar.

Mit Hilfe künstlerischer Interventionen gelang es dem Büro, den Bestand neu sehen zu lernen, seine verborgenen Potenziale zu entdecken und neue Qualitäten zum Vorschein zu bringen. Hierzu zählt auch, dass die U-Halle als urbane Mine, im Sinne des zirkulären Planen und Bauens, zu verstehen ist und für die eigenen Umbauten zu fungieren hat: Alles, was abgetragen, ausgeschnitten oder zerlegt wird, findet seine Wiederverwendung direkt vor Ort. Dadurch schliessen sich lokale Wertschöpfungs- und Werterhaltungsketten. So sind ausgeschnittene Betonblöcke aus der Fundamentplatte für die Hochbeete in den Höfen wieder im Einsatz. In den Bodenausschnitten sind Stauden-, Rank- und Kletterpflanzen oder Gehölze wie Birken und Buchenhecken eingesetzt, die den neuen Innen-Aussenraum begrünen und diesen als Hortus conclusus interpretieren lassen. Das beteiligte Landschaftsarchitekturbüro Ramboll Studio Dreiseitl plante die Bodenöffnungen nach einem experimentellen Pfützenwasser-Mapping. Aufgrund des fehlenden Gefälles im Hallenboden dienen die Beete als Retentionsflächen und zur natürlichen Versickerung. So entstand ein innovatives Regenwassermanagement.

Für die BUGA 1975 zählten der Fernmeldeturm vom Architekturbüro Heinle, Wischer und Partner im ­Luisenpark sowie die Multihalle von Carlfried Mutsch­ler, Joachim Langner und Frei Otto im Herzogenried zu den baulichen Attraktionen – neue Wahrzeichen für die Stadt. Zwar wird die Multihalle derzeit saniert und geniesst eine neue Wertschätzung, seitdem Frei Otto den Pritzker-Preis erhalten hat. Sie steht aber leer und wartet auf eine geeignete Nachnutzung. So ähnlich scheint es nun den übrigen Anlagen der letzten BUGA 2023 wie dem Re-use-Holzpavillon von Achim Menges und Jan Knippers im neuen Spinelli-Park nach dem Grossevent zu ergehen.

Welche Zukunft hat die Halle?

Das gesamte Areal befindet sich gegenwärtig, zwei Jahre nach der BUGA, in einer erneuten Transformation. Mit der Schau sind auch die paradiesischen Verhältnisse an grosszügiger Anpflanzung nach dem Masterplan des Landschaftsarchitekturbüros RMP Stephan Lenzen (vorerst) verschwunden. Selbst die U-Halle befindet sich im Dornröschenschlaf; nur der Rückbau geht weiter, nachdem im ersten Bauabschnitt bereits 8 000 Quadratmeter Dächer und Wände abgetragen wurden. Eine Bespielung der U-Halle, trotz Gastronomie als Ankermieter, findet derzeit nicht statt. Sie wird der «wilden» Natur überlassen und entwickelt eine gewisse Ruinenromantik. Viele Bereiche des Spinelli-Parks sind eingezäunt und dienen als Tierreservat. Auch zeigt sich, dass der Park als grüne Infrastruktur für die angrenzenden Quartiere noch keine integrative Kraft entwickelt. Die Bewohnerschaften in der Flüchtlingsstätte (alte Spinelli-Kaserne) oder im neuen Vorzeigequartier «Spinelli Now!» bleiben vielmehr unter sich. Wie für die Umbaukultur oder für das einfache Bauen könnte die U-Halle eine Vorbildfunktion einnehmen. Sie müsste sich als sogenannter dritter Ort begreifen: mit vielseitigem Programm, multikodiert, schwellenfrei, generationenübergreifend. Die Potenziale hierzu wären dank der vorausschauenden Planung von Hütten & Paläste im Gebäude angelegt. Sie warten nur auf Aktivierung.

Florian Dreher (1977) lehrte Architekturtheorie an der UdK Berlin sowie in Aachen, Karlsruhe und Stuttgart. Er war Redaktor bei archithese und ist Mitherausgeber der manege für architektur. Als Referent für Baukultur ist er bei der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen tätig.

Weiterlesen ohne Abo:

Mit tiun erhälst du unlimitierten Zugriff auf alle Inhalte des werk, bauen + wohnen. Dabei zahlst du nur so lange du liest – ganz ohne Abo.

Anzeige

Mehr Artikel