Artikel aus 7/8–2024

Geschichte und Gegenwart verbinden

Zur Jubiläumsausstellung über Karljosef Schattner in Eichstätt

Lucia Gratz

Als wichtiger Exponent des Bauens im Bestand der 1980er Jahre ist er gewiss unserer älteren Leserschaft ein Begriff: Karljosef Schattner (1924 – 2012). Als Diözesan- und Universitätsbaumeister des Städtchens Eichstätt konnte er im Dienst der katholischen Kirche während mehr als dreissig Jahren eine charakteristische Architektursprache aus der Beschäftigung mit dem Ort und dem historischen Bestand entwickeln.

Nun jährt sich sein Geburtstag zum hundertsten Mal. Dies nahm die malerisch im Altmühltal gelegene Barockstadt zum Anlass, zusammen mit der Klaus Kinold-Stiftung die Ausstellung Schattner 100 – Die Kunst der Fuge samt Begleitprogramm auf die Beine zu stellen. Nachdem es viele Jahre ruhig um Schattner geworden war, blickt die Ausstellung auf sein Leben und Wirken zurück und ruft seine Lebensleistung in Erinnerung. Vor allem lädt sie die Jüngeren unter uns ein, sich mit einem Werk neu zu befassen, das im Zeichen der aktuellen Debatte um ein ressourcenbewusstes Weiterbauen wieder Relevanz gewinnt.


Im Dialog mit der Stadt

Nach seinem Einsatz im Zweiten Weltkrieg studierte Schattner an der TU München Architektur. Einer seiner wichtigsten Lehrer dort war Hans Döllgast, dessen Idee einer schöpferischen Neuinterpretation im Wiederaufbau der zerstörten Stadt ihn früh prägte. In Eichstätt übernahm er 1957 mit der Leitung des Diözesanbauamts eine Aufgabe, die bald mit vielfältigen Herausforderungen verknüpft war: Eichstätt wurde Universitätsstadt und es galt den grossen barocken Gebäudebestand aus fürstbischöflicher Zeit mit neuem Leben zu füllen. Es wurde nicht, wie anderswo und wie ursprünglich geplant, draussen vor den Toren ein Campus-Modell umgesetzt, sondern die Hochschule in die Kleinstadt integriert. Von der Verwaltung, die in der einstigen Sommerresidenz Platz fand, über die Universitätsbibliothek im Ulmer Hof bis hin zum Lehrstuhl für Journalistik in zwei ehemaligen Orangerien (vgl. wbw 4/1985, S. 39–45) galt es zahlreiche universitäre Einrichtungen in historischen Bauten unterzubringen. Um- und Neubauten entwarf Schattner, indem er auf die Bedingungen des Ortes einging, die Integrität der Gebäude wahrte und Interventionen klar zeitgenössisch deklarierte.


Die Fülle und Bedeutung der über die Jahre entstandenen baulichen Interventionen sind einmalig: Sie sind Zeichen einer kontinuierlichen Auseinandersetzung, doch sprechen sie auch von der Kirche als Bauherrschaft, die die Ewigkeit vor Augen hat. Bereits mit seinem ersten Werk, der Pädagogischen Hochschule, entdeckte er für die Wandfüllungen des kargen Betonskelettbaus die Jurakalk-Steinbrüche der Umgebung. Anfang der 1960er Jahre holte sich Schattner auf einer Italienreise Inspiration bei Carlo Scarpa in Verona und Giancarlo De Carlo in Urbino, die verwandte Bauaufgaben im Dialog mit dem Bestand meisterten. Im Juramuseum in der Eichstätter Willibaldsburg klingen diese Einflüsse an.


Die Kunst der Fuge

Einer der wichtigen späteren Umbauten ist das ehemalige Waisenhaus, ein imposanter Barockbau, der zum Institut für Journalismus umgenutzt wurde (vgl. wbw 1/2–1989, S. 32–45). Mit einem verglasten Treppenhaus aus Stahl gab er dem Haus eine neue Mitte und setzte vor die Rückseite eine Schildwand, die idealtypisch die Fassade abstrahiert; symbolisch aufgeladen und in der Substanz erhalten – der differenzierte Umgang mit der Geschichte ist in Schattners Bauten stets ablesbar, architektonische Fugen bilden die Übergänge. Inzwischen sind seine Interventionen selbst Geschichte, an denen eine nächste Generation weiterbaut.

Erst gegen Ende seiner Karriere als oberster Baumeister von Diözese und Universität setzte Schattner seine Expertise vermehrt in hochkarätigen Jurys ein, wie etwa der des Umbaus des Reichstagsgebäudes in Berlin 1992. An der ETH Zürich hatte er 1989 – 91 eine Gastprofessur inne und war in der Diskussion ums Weiterbauen in der Schweiz präsent. Beziehungen ins Tessin pflegte er über lange Jahre, stand mit Aurelio Galfetti, Luigi Snozzi und Bruno Reichlin im Austausch, die er 1984 für ein Entwurfsseminar nach Eichstätt einlud. So schaute Schattner nicht nur in die Welt hinaus, sondern setzte sich auch für die Baukultur in seiner Stadt ein: Günther Behnisch baute in Eichstätt, Werner Wirsing baute dort. Die hohe Dichte an qualitätsvoller Architektur fällt bis heute auf. Man kann sagen, die Stadt selbst ist eine Schattner-Ausstellung. Dem trägt auch das Begleitprogramm der aktuellen Schau im Diözesanmuseum Rechnung, indem es Stadtführungen anbietet und eine Broschüre zu Schattners Werk auflegt. Auch sind seine Bauten als Einrichtungen der Hochschule, der Kirche oder der öffentlichen Hand gut zugänglich – wenn sie auch hinter historischen Gemäuern nicht immer gleich auffindbar sind.


Zwei Meister ihres Fachs

Die Initiative für dieses Ehrenjahr geht nicht etwa von einer organisierten Architektenschaft wie dem BDA oder der Architekturfakultät der TU München aus, sondern von der Stadt, der Diözese und der Katholischen Universität vor Ort. Dies zeigt, dass Schattner – zwar geschätzt in der eigenen Zunft – in fester Erinnerung ist in «seiner» Stadt und den Institutionen, die er mit seinem Engagement über lange Jahre nachhaltig mitgeprägt hat. Es zeigt aber auch, dass Schattner (noch) nicht zu den Architekten gehört, deren geschichtliche Aufarbeitung in Gang gekommen ist, wie dies etwa bei seinen Zeitgenossen Heinz Bienefeld oder Gottfried Böhm der Fall ist.


In der Ausstellung geht es um die Inszenierung der Architektur Schattners, die Klaus Kinold (1939 – 2021), einem der prägendsten deutschen Architekturfotografen der jüngeren Vergangenheit, meisterhaft gelungen ist. Die grossformatigen Fotografien in schwarz-weiss sind Ikonen, die im Diözesanmuseum in von Schattner selbst gestalteten Räumlichkeiten zu sehen sind. Seit den 1980er Jahren entstanden, trugen sie zweifellos zum hohen Bekanntheitsgrad der Architektur des Diözesanbaumeisters bei. Kinold verzichtet in seinen Aufnahmen auf ein Narrativ oder eine atmosphärische Ausprägung, fängt dokumentarisch-sachlich ein, was er sieht. In den Bildern erzählt Schattners Architektur von Konzentration, Kontinuität und Hingabe, zu der das Arbeiten in der Provinz nördlich von München animierte – doch auch von einem wachen, offenen Blick auf die Welt und einem alles andere als provinziellen Massstab, den der Architekt selbst an seine Architektur anlegte. So lassen sich gleich zwei Meister ihres Fachs bei einem Besuch neu entdecken. Eine Reise nach Eichstätt lohnt sich! 

Schattner 100 – Die Kunst der Fuge
bis 31. Oktober 2024
Domschatz- und Diözesanmuseum Eichstätt
Residenzplatz 7, 85072 Eichstätt D
www.dioezesanmuseum-eichstaett.de
Mi–So 10.30–17 Uhr


Publikation

Karljosef Schattner Architekt.
Ein Führer zu seinen Bauten
Klaus Kinold-Stiftung
Architektur + Fotografie (Hg.)
28 Seiten, 35 Abb.
10 × 18 cm, Klammerheftung
EUR 3.–
ohne ISBN; vor Ort zu beziehen

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