Susann Buttolo
Nach der Wende wurden viele Bauten der Ostmoderne als Symbol des alten politischen Systems abgerissen oder zur Unkenntlichkeit verändert. In den letzten Jahren erfolgte ein Umdenken. Ausgewählte Beispiele zeigen, wie vergangene Qualitäten mit zeitgenössischen Nutzungen wieder erstrahlen können.
Die baulichen Zeugnisse ab den 1960er Jahren, die inzwischen der Stilepoche Nachkriegsmoderne zugeschrieben werden, traten von Anbeginn markant in Erscheinung. Mit geometrisch klaren, als Solitärbauten frei in den Stadtraum komponierten Kuben, funktionellen Grundrissen oder gerasterten Fassaden, deren serielle Fertigung zum ästhetischen Programm wurde, unterschieden sich die Architekturen deutlich von den wenige Jahre zuvor noch handwerklich errichteten Bauwerken in der jungen DDR. In Dresden entstanden sie vornehmlich in der Innenstadt. Zum einen, um den am Ende des Zweiten Weltkriegs fast vollständig zerstörten Bereich wiederaufzubauen, zum anderen, weil die Baupolitik der DDR auf eine Neugestaltung der zerstörten Innenstädte als bauliche Manifestation der neuen sozialistischen Gesellschaftsordnung setzte.
Als richtungsweisend hierfür galt das sowjetische Bauwesen. Der politisch motivierte Wandel nach Stalins Tod Mitte der 1950er Jahre ebnete den Weg für die spätere Nachkriegsmoderne, indem das aufwendige traditionelle Bauen im Stil der «Nationalen Bautraditionen» zugunsten industrieller Baumethoden aufgegeben wurde.1 Den Architekten und Planerinnen blieb so ausreichend Spielraum, sich vom International Style inspirieren zu lassen, weshalb in der Folge auch in Dresden zahlreiche individuell entworfene, zumeist öffentliche Bauten entstanden, mit denen man vorübergehend zur internationalen Entwicklung aufschloss. Eine spezifisch sozialistische Ausprägung erhielten sie, wenn überhaupt, durch bildkünstlerische Ausgestaltung, so dass nicht selten von «ostmodernen» Bauten gesprochen wird. Herausragende Dresdner Beispiele sind die Ladenpassage Webergasse, das städtebauliche Ensemble Prager Strasse, der Kulturpalast, die Robotron-Kantine oder die späteren Funktionsgebäude hinter der Semperoper.3
Nach dem Mauerfall nahm die Ablehnung der markanten Solitärbauten und Ensembles der Ostmoderne zu. Nicht selten als unschön oder ahistorisch diffamiert, galten sie als städtebaulich überdimensioniert und einem urbanen innerstädtischen Treiben entgegenstehend. Zugleich erschien eine Sanierung mit Anpassung an zeitgemässe Standards nahezu unmöglich. Diese Vorurteile waren kein ostdeutsches Phänomen, sondern auch über die Grenzen der neuen Bundesrepublik hinaus zu beobachten. Sie wogen nur in den neuen Bundesländern schwerer, weil das bauliche Erbe dort mit dem endlich überwundenen politischen System in Verbindung gebracht wurde. Neben Denkmälern oder Wandgemälden verschwanden in den nachfolgenden Jahren auch identitätsstiftende Gebäude unter einmal mehr, einmal weniger lautem öffentlichen Protest. Mehr noch als die Abrisse führten zum Beispiel die von marktwirtschaftlichen Interessen getriebene Nachverdichtung der Prager Strasse oder die unsachgemässe Fassadensanierung des Hauses der Presse zu unwiederbringlichen Verlusten qualitätvoller Zeugnisse der DDR-Zeit. Die kritische Bewertung der Architektur der Ostmoderne verstärkte sich durch die nachgeholte Auswertung der ersten Aufbauphase nach dem Krieg. In dieser wurden in Dresden ideologisch bedingt zahlreiche wiederaufbaufähige Ruinen bemerkenswerter Baudenkmale abgerissen, an deren Stelle erst Jahre später moderne Grossbauten traten.4 Anfang der 2000er Jahre war die noch originalgetreu erhaltene Bausubstanz der Ostmoderne stark minimiert. Die damit verbundenen Verlusterfahrungen führten allmählich zur Neubewertung der Stilepoche.5
Die kontroverseste Auseinandersetzung gab es um den Erhalt des Kulturpalasts. 1969 wurde der Prestigebau unter Leitung von Wolfgang Hänsch an der Nordseite des Dresdner Altmarkts fertiggestellt. Er ist als flacher, sachlich-moderner Bau mit Dachkrone und zum Altmarkt hin transparenter Gebäudehülle ausgebildet. Seine Besonderheit bildete ein mittig gelegener, unregelmässig sechseckiger Mehrzwecksaal mit einer eleganten Ausgestaltung und einem speziell für das Gebäude entwickelten Kipp-Parkett, das vielfältigste Nutzungen des Raumes zuliess. Mit dem Kulturhaus erlangte die Architektur der DDR neue Qualitäten, und es wurde vom Publikum begeistert angenommen. Etwa 30 Jahre später war es jedoch dringend sanierungsbedürftig. Zuvor waren Versuche gescheitert, den Mehrzwecksaal akustisch zu ertüchtigen. Pläne über Abriss und Totalumbau wurden jahrelang hitzig diskutiert. Mit dem 2008 erfolgten Eintrag in die Denkmalliste, samt einzelner Ausstattungselemente, konnten sie verhindert werden. Als erhaltenswert galt die städtebauliche Idee von Leopold Wiel. Sein Entwurf führte gegen den Widerstand der DDR-Ideologinnen und -Ideologen nicht zu einem die historische Stadtsilhouette dominierenden Hochhaus, sondern dem markanten Flachbau.
Der mit seinem gefalteten Kupferdach städtebaulich wirksame Saal wurde jedoch nur als Hülle unter Schutz gestellt, um hier einen neuen, dringend benötigten Konzertsaal einbauen zu können. Nahezu zeitgleich wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den gmp verdient mit einem Weinberg-Konzept des Saalsm gewann.6 Ungeachtet aller sich einmal mehr am Kulturpalast aufheizenden Kontroversen, gelang es dem Büro bei der Realisierung ihres Konzepts 2013–17, die denkmalgeschützte Bestandsarchitektur fortzuschreiben. Sie versetzten die Fassaden wieder weitgehend in den Ursprungszustand, stärkten ihre Transparenz durch zusätzliche grossflächige Verglasungen im Erdgeschossbereich und ertüchtigten sie energetisch. Das Hauptfoyer wurde weitgehend originalgetreu saniert. Ohne Anklänge an das Vergangene präsentiert sich der neue Konzertsaal selbstbewusst hell und dynamisch. Mehr noch als mit der erstklassigen Akustik seines Saals überzeugt der Kulturpalast mit seiner Neukonzeption für Dresdner Philharmonie, Städtische Zentralbibliothek und Kabarett «Herkuleskeule». Es entstand ein gemeinsamer Ort für Kultur, Bildung und Unterhaltung in einem konzeptionell offenen und ganztägig belebten Haus.7
Vergleichsweise leise vollzog sich dagegen die Umnutzung des Gastronomiegebäudes der Semperoper zur neuen Studiobühne. Das Gebäude selbst war 1984/85 im Rahmen des Wiederaufbaus der Semperoper – ebenfalls unter der Leitung von Wolfgang Hänsch – als einer von drei Funktionsbauten rückwärtig des Opernhauses entstanden. Die drei sind durch verglaste Brücken untereinander und mit der Oper auf der Bühnenebene verbunden. Die nach quadratischem Prinzip gerasterten, plastisch mit Sandsteinplatten ausgebildeten Fassaden unterstreichen die Ensemblewirkung durch eine einheitliche Materialität. Seit 2010 teils ungenutzt, bot das Haus die notwendige Fläche, um eine Studiobühne für zeitgenössische Projekte der Staatsoper zu etablieren. Es gehörte zum Umbaukonzept von Meyer-Bassin und Partner, das äussere Erscheinungsbild des denkmalgeschützten Ensembles zu erhalten und seine ausgewogene Komposition nicht durch eine Ergänzung oder Aufstockung zu negieren. Ohne Eingriffe in die Fassade liegt die Studiobühne in den oberen Geschossen des Gebäudes. Die dortige Kantine ist dafür nun im Erdgeschoss zu finden. Prägende Ausstattungselemente wie die Speisenausgabe mit ihren Vertikal-Schiebeläden zogen mit um. Angepasst an die neue Raumsituation vereinen sie sich mit neuen, farblich akzentuierten Möbeln zu einem neuen Gan- zen. Das Vorhaben machte dennoch massive Eingriffe in die Gebäudestruktur erforderlich. Notwendig waren ein neues Tragwerk für die Studiobühne sowie eine neue Treppenanlage für die unabhängige Erschliessung der Funktionen. Soweit möglich, wurde beim Umbau behutsam Material geborgen, um es an anderer Stelle wieder zu verwenden. Zurück blieben damit keine zu Fugen stilisierten Narben, sondern ein im Inneren ergänztes Haus, dessen neue Einbauten sich mit dem vorgefundenen Bestand harmonisch verbinden. Auf diese Weise erhielt auch die flexibel bespielbare Studiobühne einen unverwechselbaren Charakter. An drei Seiten wird der Raum von originalen Glasfassaden begrenzt, die einen einmaligen Blick in den Zwingergarten zulassen. Je nach Aufführung wird dieser von lichtdichten, akustisch wirksamen Vorhängen verdeckt.8
Dank einer jüngst bei der Stadt Dresden eingegangenen Grossspende zeichnet sich für die Robotron-Kantine letztlich auch eine positive Wendung ab.9 Sie wurde einst als Betriebsgaststätte für den Hauptsitz des grössten Informationstechnologie- und Computerherstellers der DDR von den Architekten Herbert Zimmer, Peter Schramm und Siegfried Thiel 1969–72 errichtet. Im Gebäude kamen Kunst und Architektur programmatisch zusammen. Noch wahrnehmbar zelebriert der flache, aus vorgefertigten Bauelementen errichtete Pavillon seine optische Leichtigkeit. Spannungsvoll wechseln sich grosse Glasflächen und kleinteilige, türkisfarbene Mosaikflächen ab. Die gestalterische Qualität des Hauses wird durch eine dreiseitig umlaufende Terrasse gesteigert, deren Brüstungselemente aus Beton der bekannte Dresdner Künstler Friedrich Kracht schuf und mit ihnen geradezu meisterhaft eine abstrakte Formgebung von architekturbezogener Kunst.
Trotz erstklassiger Lage unweit des Rathauses und des Deutschen Hygienemuseums fristete das seit 2002 seiner ursprünglichen Funktion beraubte Haus lange ein von Verfall und Vandalismus gezeichnetes Schattendasein. Erst als der Abriss des Gebäudes 2017 längst beschlossen war, führten bürgerschaftliche Engagements der Initiativen «ostmodern» und «Industrie.Kultur.Ost» zur Neubewertung und Rettung.10 Parallel dazu wies das Kunsthaus der Stadt Dresden mit einem Nutzungskonzept11 nach, dass das Gebäude mit seiner auf Transparenz und Funktionalität ausgerichteten Offenheit ideal zu einer Galerie für zeitgenössische Kunst und einem Labor der Gegenwart entwickelt werden kann. Seit 2023 denkmalgeschützt, wird das Gebäude – noch unsaniert und sporadisch hergerichtet – als Galerie genutzt. Die Grossspende beschleunigte den Entscheid des Stadtrats am 16. Mai 2024 zum Kauf des Pavillons und Beginn der dringend erforderlichen Sanierung. Baldmöglichst sollen sich dessen Türen als neuer Standort des Kunsthauses öffnen, das Haus und dessen Qualitäten wieder zugänglich sein.
Susann Buttolo (1978), Architekturstudium und Promotion zum Thema Nachkriegsmoderne in Dresden, 2003–22 Ausstellungs-, Film- und Buchprojekte sowie Architekturvermittlungan sächsischen Schulen, seit 2022 Geschäftsstellenleiterin im Grossen Garten Dresden.
1 So kam der Wiederaufbau der jungen DDR noch in handwerklicher Manier und Bauweise mit Bauschmuck und Gliederung zur Geltung, beispielsweise beim Wiederaufbau der seitlichen Platzwände des räumlich vergrösserten Altmarkts (1953–58) oder beim Wohnungsbau entlang der Grunaer Strasse (1951–55), östlich der Innenstadt.
2 Zunächst als überkommen geltende Bildwerke oder Brunnen blieben zuweilen durch Demontage, Einlagerung und spätere Integration in neue Ensembles erhalten, so auch die Schalen- und Pusteblume-Brunnen von Leonie Wirth; siehe Antje Kirsch, Dresden - Kunst im Stadtraum: Architekturbezogene Kunst 1945 – 1989, Dresden 2015, und Torsten Birne, Barbara Tlusty, Silke Wagler, Leonie Wirth. Spiel mit den Elementen. Brunnen. Objekte. Zeichnungen, Berlin 2017.
3 Auch im Wohnungsbau konnten richtungsweisende Experimentalbauten realisiert werden, bevor man zunehmend auf Methoden der Standardisierung, Vorfertigung bis hin zur Typisierung setzte. Das mündete in der Ära Honecker (ab 1971) im industriellen Massenwohnungsbau, der noch vor 1990 zuweilen auch öffentlich kritisiert wurde.
4 Wirtschaftlich bedingt lagen jedoch viele innerstädtische Flächen brach und wurden erst nach 1990 bebaut.
5 Zur Neubewertung der Ostmoderne siehe u.a. Mark Escherich (Hg.), Denkmal Ost-Moderne. Aneignung und Erhaltung des baulichen Erbes der Nachkriegsmoderne, Berlin 2012.
6Die Umbaumassnahme hat Wolfgang Hänsch noch mit einer Urheberrechtsklage abzuwenden versucht.
7Siehe Meinhard von Gerkan, Stephan Schütz, Kulturpalast Dresden, Berlin 2018.
8Siehe http://meyer-bassin.de/projekte/sod (abgerufen am 22.5.2024). 9 Spender ist die in New York ansässige, einst aus Dresden stammende Bankierfamilie Arnhold.
10Siehe www.robotron-kantine.de/#ostmodern und www.ostmodern.org (abgerufen am 22.5.2024).
11 Siehe www.kunsthausdresden.de/wp-content/uploads/2018/11/Kunsthaus-Dresden_Nutzungskonzept_Robotron.pdf (abgerufen am 22.5.2024)
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