Rahel Lämmler, Walter Mair (Bilder)
Die Olma in St. Gallen und die Autobahn A1 sind für die Schweiz bedeutende Institutionen. Die A1 verbindet als längste Autobahn der Schweiz den Bodensee mit dem Lac Léman. Die Olma ist im Bundeshaus bis heute hoch angesiedelt und wurde auch letztes Jahr von Bundesrätin Karin Keller-Sutter eröffnet. Beide Schwergewichte treffen nun an einem Ort aufeinander.
Auf dem Messegelände in St. Fiden, einem Stadtteil von St. Gallen, ist die Ostschweizerische Land- und Milchwirtschaftliche Ausstellung Olma seit Anfang der 1950er Jahre ansässig. Seither kontinuierlich gewachsen, ist sie für die Ostschweiz bis heute der wichtigste Veranstaltungsort, nicht nur während der Volksfestwoche im Herbst – der eigenen Jahreszeit, wie sie liebevoll bezeichnet wird. Längst gut erschlossen mit Bus und Bahn, ist das Olma-Gelände Teil eines heterogenen urbanen Kontexts: Südlich davon liegt das Kantonsspital, nördlich und westlich schliesst eine kleinteilige Bebauung mit vorwiegend Wohnhäusern an. Im Osten durchschneidet die A1 in einem kurzen Abschnitt entlang des Güterbahnhofs das Quartier, bevor sie direkt am Olma-Gelände im Rosenbergtunnel verschwindet und hinter der Universität St. Gallen wieder auftaucht. Die Olma will mehr sein als ein Messestandort für die ländliche Schweiz, sie will wachsen und sich diversifizieren. Für eine grössere und flexibel bespielbare Halle fehlte auf dem Areal der Platz.
Beim Bundesamt für Strassen ASTRA war das «Teilprojekt 3. Röhre Rosenberg» bereits in Planung, als die damalige Genossenschaft Olma den Wunsch nach Vergrösserung äusserte. Zur Sanierung der beiden bestehenden Autobahntunnel benötigte das ASTRA eine weitere Röhre und hätte dafür Land von der Olma beansprucht. So einigten sich beide Parteien 2013 schnell. Eine Autobahneinhausung ist zwar nichts Neues, ihre Nutzung als Baugrund für eine Eventhalle indes genauso überraschend wie naheliegend.1 Für die Quartierbevölkerung bildet die Überdeckung einen willkommenen Lärmschutz, der neue Messeplatz vor der Halle und der grosszügige Fuss- und Veloweg werten die Nachbarschaft auf. Für die Olma ist es eine sinnvolle Verdichtung innerhalb eines Areals mit langer Tradition.
Nähert man sich auf der Autobahn von Osten kommend, sind die Tunnelportale und der Stadtraum aus der Fahrperspektive zu erleben. Flankiert von zwei Rampen, einer Ausfahrt und einem Eisenbahntunnel wirkt die Situation kurz vor dem Eintauchen in den Untergrund unübersichtlich und chaotisch. Die Portale sind vom Überbau isoliert, die Halle thront darüber ohne räumlichen Bezug. Wäre nicht der Schriftzug «Halle» über dem Portal angebracht, würde der Autofahrerin das mächtige Volumen wohl nicht weiter auffallen. Vielleicht waren meine Erwartungen an dieses einzigartige Vorhaben der zwei wichtigen Akteure etwas zu hochgesteckt. Wären da nicht die Bilder der ausdrucksstarken Portale der Gotthardautobahn von Rino Tami zwischen Airolo und Biasca oder der Transjurane2 von Flora Ruchat-Roncati und Renato Salvi im Kopf mitgefahren – das Potenzial der Verbindung von Stadt- und Strassenraum ist in St. Gallen nicht ausgeschöpft, wie Denise Scott Brown über Tamis Bauten schreibt: «Die Autobahnen können zu den Denkmälern der Zukunft werden, Orte, bestimmt für die grossen Feste der Menschen, wo der Raum, das Licht, die Bewegungen und die Berührung mit den Dingen wahrgenommen werden können.»3
Bei näherem Besehen offenbaren sich die engen Rahmenbedingungen des Neubaus der Halle, die schon im Wettbewerbsprojekt 2018 Stringenz erforderten. Darüber hinaus wusste das Siegerteam um Ilg Santer Architekten den architektonischen Spielraum klug zu nutzen. Gesucht war eine multifunktionale, stützenfreie, 9 500 Quadratmeter grosse Halle für 12 000 Personen4 als lineare Fortschreibung des bestehenden Areals.
Die Halle sollte samt Zwischengeschoss für die Parkierung unabhängig von der Einhausung und der zusätzlichen Röhre geplant, aber zeitgleich gebaut werden können. Dafür waren die Schnittstellen zu minimieren. Da der rechtwinklige Perimeter der Halle quer zur Unterbauung liegt, war ingenieurtechnische Agilität erforderlich. Die Lastabtragung der Halle musste aus Sicherheitsgründen von der Verkehrsinfrastruktur losgelöst sein, der Spielraum war entsprechend klein. Die bei Brücken erprobte Bauweise in vorgespannten Teilstücken von 5,20 Metern Länge ermöglichte schliesslich auch die vom Unterbau unabhängige Realisierung. Eine auf den ersten Blick abweisende Nüchternheit kann ich erst bei der direkten Begegnung einordnen. Die Halle wirkt massstabslos trotz vertrauter klassischer Dreiteilung des Körpers. Gleichwohl ist sie weder abstrakt noch stumm: Die gezackte Wassernase in der Untersicht des Eingangsbereichs verweist auf immer wieder anzutreffende subtile Details. Während sich in den polierten Chromstahl-Paneelen an der Veranstaltungshalle die Farben der Umgebung verspielt unscharf und multipel spiegeln, ist das Foyer offen und verglast. Über diesem Sockelbereich schwebt ein graues, glattes Betonband auf mächtigen dunklen Kuben aus schwarz eingefärbtem Beton. Darüber kaschieren helle, transluzide Elemente das Dachgeschoss mit den Technik-Aufbauten und setzen zukünftig nachts als leuchtende Krone einen feierlichen Akzent.
Verblüffend einfach funktioniert das Tragsystem: Das Streben der Entwerfenden nach möglichst wenigen und symmetrischen Abstützungen ergab zwölf Auflagerpunkte. Zur Überwindung der grossen Spannweiten setzten die Tragwerksplaner Meichtry & Widmer aus Zürich optimierte Stahlkonstruktionen ein: Die knapp 60 Meter breite und 160 Meter lange Halle ist mit einem 5 Meter hohen Raumfachwerk überspannt, dessen bekanntester Vertreter Mero ist.5 Die offen gezeigte Dachkonstruktion in Weiss wirkt leicht und kann mit Kunstlicht vielfarbig in Szene gesetzt werden. Ebenfalls weisse Fischbauchträger überspannen das 30 Meter breite Foyer, damit der Bürotrakt eingehängt werden kann. Beide Tragwerke leisten einen imposanten, ornamentalen Beitrag zur Atmosphäre. Der umlaufende Hohlkasten aus Ortbeton sammelt die Kräfte und leitet sie über die dunkel eingefärbten Betonauflager in den Untergrund. Die vertikal strukturierte Oberfläche dieser eindrucksvollen Körper wurde von Hand aufgeraut. Hier dringt das Innere nach aussen – Analogien zum Nagelfluh-Gestein sind gewollt. Wie archaische Felsen durch eine Eruption zu Tage gebracht, wirken diese Kuben schroff, mächtig, massiv und kräftig. Diese von den Architekten als Elefantenfüsse bezeichneten Stützpunkte bergen allerdings noch mehr an Raffinesse. Sie beinhalten zusammen mit dem Hohlkastenträger die technischen Installationen und erschliessen die Büros hoch über dem Foyer unabhängig vom Messebetrieb.
Im Foyer fällt sofort ein weiteres, leichtfüssig inszeniertes Element auf: Runde Zuluftöffnungen sind als Augen auf den Einbauten positioniert. Sie nehmen Bezug auf den menschlichen Massstab, der das Foyer auch bei geringem Besuchsaufkommen angenehm macht. Schmale, weisse Latten aus lokalem Fichtenholz verkleiden diese Einbauten und erzeugen einen maximalen Kontrast zu den schroffen schwarzen Kuben.
Der gezielte Einsatz preisgünstiger Standardprodukte und Materialien sowie technisch innovativer Lösungen führt in Kombination mit haptisch erlebbarem Handwerk zu einem beeindruckenden Raumerlebnis und einer berührenden Schönheit. Die Kostenplanung während der Corona-Zeit und die zunehmende Teuerung schnürten ein enges Korsett. So wurden vier Bauteile zurückgestellt: Vordach, Dachbegrünung, Laterne und die Umgebungsgestaltung des Messeplatzes. Doch ein Besuch lohnt sich bereits jetzt.
Rahel Lämmler (1975) ist in Speicher aufgewachsen und hat an der ETH Zürich Architektur studiert. Sie lebt und arbeitet in Zürich und im Appenzellerland.
1 Vgl. Überlandpark in Zürich-Schwamendingen: Die geplante Einhausung der A1 zwischen Schöneich und Aubrugg wird dem Quartier Ruhe und bessere Luft bringen. Auf dem Dach entsteht ein neuer öffentlicher Freiraum, der Überlandpark.
2 Christoph Allenspach, «Mystische Figuren», in: Hochparterre 5 / 1998, S. 5.
3 Denise Scott-Brown, zitiert in: Flora Ruchat-Roncati, «Rino Tami und die Autobahn», in: anthos 3 / 91, S. 15 – 18.
4 Zum Vergleich: Das Hallenstadion Zürich war für 15 000 Personen konzipiert, Ende der 1930er Jahre die grösste stützenfreie Halle Europas.
5 Das Stahlrohr-Baukastensystem des Ingenieurs Max Mengeringhausen wurde unter dem Namen Mero (Me, die zwei ersten Buch staben des Nachnamens, Ro von Rohrbauweise) in den 1920er Jahren bekannt.
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