JAS Nr. 44 – Leuthold von Meiss Architekten, Zürich

Das Haus als Erinnerungsspeicher

Die Schwestern Nicole Leuthold und Irène von Meiss-Leuthold sind in wechselnden Kulturen aufgewachsen. Sie haben in verschiedenen Städten im In- und Ausland gelebt und gearbeitet, was ihr Schaffen bis heute prägt. Der unter Druck stehende Raum interessiert sie, die Wahrung seiner Qualitäten erfordert Esprit und eine durchdachte Materialwahl, da sind sich die in Zürich tätigen Architektinnen einig.

— Jenny Keller, 06.03.2020

Was ist Eure Herkunft, was inspiriert Euch?

Wir sind in verschiedenen Kulturen aufgewachsen und haben in unterschiedlichen Städten im In- und Ausland gelebt und gearbeitet. Das Erleben der Wandelbarkeit und Diversität des Gebäudebestands von Städten, sowie ihrer räumlichen Kompaktheit, ist für unsere Arbeit inspirierend. Zum einen hat es uns für das Thema des sorgsamen Umganges mit Raum sensibilisiert: Je knapper der zu Verfügung stehende Raum ist, desto wichtiger wird die sorgfältige Behandlung seiner Qualitäten. Der unter Druck stehende Raum interessiert uns, die Wahrung seiner Qualitäten erfordert Esprit. Zum anderen hat es den Blick auf unsere reichhaltig gebaute Umwelt mit ihrer spezifischen Architektur- und Materialgeschichte geschärft. Die sorgfältige, unvoreingenommene Betrachtung des Vorgefundenen erleben wir als inspirierend. Sie hilft uns, das Wesen und die Eigenart eines Ortes oder eines Gebäudes zu erfassen und daraus Themen für den Entwurf zu entwickeln.

Was ist Euch wichtig im Denken und Entwerfen?

Seit unserer Bürogründung 2014 wurden wir immer wieder mit Aufgaben betraut, die sich mit dem Bauen in bestehenden Strukturen beschäftigen. Daran interessiert uns das Thema der inneren Verdichtung. Gerade wenn die zulässige Ausnutzung bereits ausgeschöpft ist, erweist sich die Suche nach Raumreserven innerhalb der Hülle als spannend. Wir untersuchen dabei verschiedene Möglichkeiten: Mehrfachnutzung von Räumen, Erweiterung der Raumwahrnehmung durch neue Sichtbezüge oder Verbesserung der natürlichen Lichtführung. Wenn das Spezifische des Bestands mit den Anforderungen der Bauherrschaft in Beziehung tritt, entstehen neue inhaltliche und räumliche Bezüge. Möbel und Material spielen bei dieser Strategie oft eine zentrale Rolle und sind für uns ein wichtiger Teil des Entwurfs.

Wie zeigen sich diese Gedanken im konkreten Projekt?

Beim Projekt Spiegelberg fanden wir ein bereits mehrfach umgebautes Haus vor. Die sich überlagernden Spuren wollten wir erhalten. Um die zusätzlich geforderten Räume unterzubringen, wurde das Potenzial der vorhandenen Räume ausgereizt, wobei das Verhältnis von Bewahren und Verändern ausgelotet werden musste. Durch die Öffnung des Treppenkerns bis unter das Dach wurden Sichtbezüge über alle Geschosse geschaffen. Der so entstandene vertikale Raum verleiht dem Haus mit seinen niedrigen Geschosshöhen eine neue Grosszügigkeit. Die gewünschten Gästezimmer finden mithilfe ausziehbarer Möbel im Kniestock des Dachs Platz. Ein raumhaltiges Möbel teilt das Badezimmer neu in zwei unabhängige Einheiten. Die vorgefundene natürliche und matte Materialpalette ergänzten wir mit reflektierenden Materialien wie Bronze, strukturiertem Glas, poliertem Messing und Tadelakt, um die Räume aufzuhellen. Entstanden ist ein beziehungsreiches Haus mit selbstbewusst hergezeigten Narben und neuen Überlagerungen.

Umbau Wohn- und Atelierhaus Spiegelberg, Wernetshausen

Leuthold von Meiss Architekten, Zürich

www.leutholdvonmeiss.ch

Spiegelberg, 8340 Wernetshausen ZH; Bauherrschaft: Privat; Architektur: Leuthold von Meiss Architekten, Zürich; Chronologie: Studienwettbewerb 2016, Planung und Ausführung 2017–2018, Bezug 2018; Fotograf: Matthias Brücke, Zürich

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