Eine Art Architektur

Nun schlägt das Imperium zurück: Kunst bedient sich architektonischer Mittel. Was in umgekehrter Richtung seit langem schon gut funktioniert – dass nämlich künstlerische Strategien, Konzepte und Ästhetiken in die Architektur importiert werden – ist in umgekehrter Richtung in einer fulminanten Werkschau des Künstlers Oscar Tuazon (*1975) in Winterthur zu sehen.

Minimalismus retour

Was wäre die (Schweizer) Architektur ab den 1990er Jahren ohne die Werke vor allem US-amerikanischer, minimalistischer Künstler wie Sol Lewitt, Dan Graham und vor allem Donald Judd? Vor allem die beiden letztgenannten bezogen sich auf Architektur, auf Bauten am Nullpunkt der Bedeutung – mit Vorliebe in der amerikanischen Peripherie –, auf unterkühltes und getöntes Glas, Aluminiumblech, auf Industrie-Sperrholz und Kunstharzfarbe. Wenn um 1970 herum das Thema der «künstlerischen Entropie» das Gewöhnliche auratisch auflud – die Dinge in Galerie und Museum wie aus dem Weltall importiert aussahen – so wirken die in Winterthur gezeigten Arbeiten des Kaliforniers Tuazon negentropisch, lebendig. Auch wenn sich Tuazon explizit auf die Künstler der Minimal Art bezieht, so ist sein Thema das Zusammenbauen, das Material, das seine Geschichte und Herkunft zeigt. Und was daraus entsteht.

Mit Tuazons Bezugnahme auf die Minimal Art verbinden sich nicht nur gewisse Traditionslinien von Kunst und Architektur, sondern auch die Kunst mit dem Kollektiven (und alles kreuzüber): Die Werke von Tuazon entstehen jeweils vor Ort, in engem Austausch mit Handwerkern, Kuratorinnen und Mitarbeitenden – und nicht selten aus gefundenem Material, das in der Galerie, im Museum erst arrangiert wird.

Selbermachen und darüber hinaus

Tuazons Interesse geht aber über den White Space hinaus, wörtlich. Seine Kunst will berührt und benutzt werden, wie etwa die Skulptur Burn the Formwork in Münster, die noch immer als Grillstelle öffentlich geschätzt wird. Für Winterthur haben Tuazon und seine Helfer eigens eine Skulptur als Dauerleihgabe gebaut, die dereinst im Stadtpark aufgestellt werden soll. Die Mischung aus Telegrafenmast, Betonblock und Stahlprothese von It’s Hard to Stop wird sich genuin für das Abstellen von Bierflaschen eignen und damit einen Ort kristallisieren, der sicher auch gewisse, interessante Konflikte provozieren wird. In den Räumen des Museums ist auch Tuazons Arbeits- und Wohngebäude verkleinert nachgebaut. Die Balloon-Frame-Skulptur will nicht nur betreten und «besessen» werden, in ihr finden auch Vorlesungen (der ETH) statt und Veranstaltungen des Kunstmuseums. Im Holzgerippe und temporären Ort zeigt sich auch eine andere Inspirationsquelle: das Kollektiv-Individualistische von Drop City, das Selber-Machen rund um die «Bucky-Domes», die makeshift-Publikationen von Bert und Holly Davis oder Lloyd Khan. Und nicht zuletzt der Geist der Solar-Pionierbauten von Steve Baer.

Der Raum im Raum zeigt exemplarisch, wie Architektur und Symbolik zusammenkommen und das Gemeinsame und das Bauen und das Ökologische zusammengebracht werden könnten. Das Resultat dieser fast mythischen Assemblage bleibt im Unbestimmten (sonst wäre es keine Kunst); damit aber holt sich Tuazon jene Deutungs- oder besser: Ideenräume von der Architektur zurück, die vieldeutig sind und sich nicht in einem platten Positivismus erschöpfen.

— Tibor Joanelly

Oscar Tuazon: Building
Kunstmuseum Winterthur
Beim Stadthaus
Bis 30. April 2022
Link zur Website

Burn the Formwork (Fire Building), 2017, Courtesy der Künstler. Foto: Henning Rogge
© Burn the Formwork (Fire Building), 2017, Courtesy der Künstler. Foto: Henning Rogge
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