«Es gibt sie noch, die guten Dinge»

Es ist eine Aussage, wenn die Pritzker-Jury, in einer Zeit von laut und nicht immer gut geführten Gleichstellungs- und Inklusionsdebatten, den weissen, älteren, mitteleuropäischen Architekten zum Preisträger kürt. David Chipperfields Auszeichnung mit dem Pritzker-Preis 2023 ist somit ein Zeichen, wie jeder Preis von jeder Jury zu jeder Zeit. Ein Zeichen dafür, dass der Common Ground, auf dem Architektur heute verhandelt wird zwar diverser geworden ist, sich die tonangebende und weit herum gehörte Pritzker-Jury aber auch nach den guten alten Dingen sehnt: nach einer Architektur von Eleganz und Permanenz, von «zeitloser» Gültigkeit. Spannend in diesem Zusammenhang liest sich dabei die Kritik zum hermetisch geschlossenen Kunsthausneubau Chipperfields in Zürich (2020) von Daniel Kurz (wbw 3–2021, S. 62–67). Aber auch die nach der BSA-Generalversammlung herausgegebene Publikation Polyphonie auf dem Zauberberg bleibt somit aktuell: Die Diskussion um das neue Kunsthaus konnte auf der Schatzalp nicht ohne kritischen Blick auf die Architektur, als Rahmen der Sammlung Bührle von fragwürdiger Provenienz geführt werden. Architektur, und das wurde dort einmal mehr klar, kann sich nicht über gesellschaftliche Debatten erheben.

Damit will niemand behaupten, dass das die Intention von David Chipperfield Architects (UND seinen Mitarbeitenden – möchte man gerne laut anfügen) ist oder war, auch wenn seine Aussagen zu der Polemik in Zürich nicht immer ganz glücklich waren. Den Turnaround zu einem zeitgenössischen Architekturschaffen hat er mit der Architekturbiennale Venedig 2012 längst vollzogen, als er als Chefkurator der Fachwelt das Thema Common Ground vor die Füsse gelegt hat. Auch Umbauten bereichern seit geraumer Zeit das Portfolio des Architekturbüros, das Neue Museum in Berlin (2009) als Lehrstück von Bewahrung, Rekonstruktion und Ergänzung oder die Procuratie Vecchie am Markusplatz in Venedig (2022).

Pritzker-Jury-Präsident Alessandro Aravena, der den Preis 2016 für eine ganz andere Auffassung von Architektur erhielt und danach ebenfalls die Biennale kuratieren durfte, sagt im Jury-Statement folgendes über den von der Queen 2010 zum Sir geadelten Chipperfield: «Der Verzicht auf das Modische hat es ihm ermöglicht, dauerhaft zu bleiben». Irgendwie ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet Modeboutiquen einen nicht unbeträchtlichen Teil des Werks von David Chipperfield Architects ausmachen. Den Anfang der Karriere markieren die Boutiquen für Issey Miyake (1985–86), es folgen Dolce & Gabbana (1997–2004) bis Bally in London (2014) oder Valentino in Rom (2015). Die Welt ist eben mehr als das Bild, das wir uns von ihr machen.

— Jenny Keller
© Procuratie Vecchie, Venedig (2022). Bild: Alessandra Chemollo
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