Ohne Quellen gibt es keine Forschung und ohne Pläne, Fotos, Tagebücher oder Architekturmodelle wären weder historische Bücher noch Ausstellungen möglich. Die wichtigste Sammlung zur (deutsch-)schweizerischen Architekturgeschichte ist das gta-Archiv der ETH Zürich – es stand von 2001 bis heute unter der Leitung des ebenso umtriebigen wie umsichtigen Kunsthistorikers Bruno Maurer. Zusammen mit seinem kleinen Team hat er das Archiv professionalisiert und enorm ausgebaut: Allein die Vor- und Nachlässe sind in 20 Jahren von rund 100 auf über 300 gewachsen, zu den thematischen Sammlungen (rund 50, darunter jene der CIAM, des SIA und des BSA) kamen weitere dazu. Bruno Maurer hat gezielt ganze Gruppen akquiriert – wie etwa die Exponenten der Solothurner Schule (Haller, Zaugg & Barth etc.) oder der Zürcher Arbeitsgruppe Städtebau ZAS (Benedikt. Huber, René Haubensak, Jakob Schilling u.a.), und mit besonderem Nachdruck die Archive von Architektinnen (Lisbeth Sachs, Trix Haussmann, Marianne Burkhalter, Annemarie Hubacher). Benachbarte Bereiche wie die Raumplanung und Landschaftsarchitektur sind heute mit bedeutenden Beständen im gta-Archiv (NSL-Archiv) vertreten – aber auch «Schräge, Spinner und Utopisten» (Maurer) dürfen nicht fehlen, weil sie für einen lebendigen Diskurs unverzichtbar sind (hier nennen wir keine Namen).
Bruno Maurer war und ist nicht nur ein erfolgreicher Archivleiter, er ist vor allem eine zentrale Persönlichkeit in der Erforschung der Schweizer Architektur der klassischen Moderne und der Nachkriegszeit. Schon 1988, vor nunmehr 33 Jahren (!), stiess er als Assistent bei Werner Oechslin und wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Institut gta, im Anschluss an sein Studium an der Universität Zürich. Als Redaktor der archithese 1992–95 war er für massgebliche monografische Hefte über die Gebrüder Pfister, Hermann Herter – und über die frühen Jahre des Werk verantwortlich. Es folgten wissenschaftliche Projekte über Ernst Gisel (1993), Alberto Camenzind (1996), Albert Heinrich Steiner (2001), die Firma Metron (2003) und viele andere – zuletzt zwei Ausstellungen im Centre Le Corbusier: Chandigarh sehen, 2015, Le Corbusier und Zürich, 2020 (mit Arthur Rüegg). Nicht zu zählen sind Maurers Aufsätze und Essays in Zeitschriften und Büchern anderer. Das ist charakteristisch. Bruno Maurer sah sich auch in seinen eigenen Projekten selber nie als die absolute Autorität. Er scharte im Gegenteil stets kompetente Teams um sich herum, die er hervorragend zu motivieren wusste und machte von seiner eigenen Leistung wenig Aufhebens. So hat er Generationen von Forschenden mit aufgebaut und gefördert.
Die neue Leiterin des gta-Archivs ist – obwohl Rumänin und Britin – in der Schweiz so bekannt, dass sie hier kaum vorgestellt zu werden braucht: 2012 machte Irina Davidovici mit ihrem (2018 neu aufgelegten) grossen Werk Forms of Practice. German Swiss Architecture 1980–2000 (auch) in der Schweiz Furore, wo sie seit 2012 mit ihrer Familie lebt. Sie studierte ab 1993 Architektur in Bukarest, Nottingham und London und war danach drei Jahre als Architektin bei Herzog & de Meuron. 2008 promovierte sie an der Universität Cambridge in Architekturgeschichte, und seit 2014 forscht und lehrt sie am Institut gta der ETH Zürich. An der ETH hat sie sich 2020 mit ihrer Forschung über Sozialen Wohnungsbau habilitiert. Ihre Habilitationsschrift Collective Grounds. Housing Estates in the European City, 1865–1934 erscheint 2022 als Buch im Triest Verlag.
Mit Irina Davidovici wird das gta-Archiv zweifellos noch internationaler und – falls die Mittel dazu gewährt werden – vielleicht auch noch forschungsorientierter ausgerichtet sein. Zu den grossen Herausforderungen der Zukunft gehört neben dem weiteren Ausbau des Archivs auch die Frage, wie die digitalen Datenträger heutiger Büroarchive langfristig gespeichert und uneingeschränkt zugänglich gehalten werden können. Wir sind gespannt auf die Entwicklungen und wünschen dem Institut, dem Archiv und der neuen Leiterin wie ihrem Vorgänger alles Gute!