Pritzker-Preis 2021: Lacaton & Vassal schon früh in wbw

Ein bisschen vom Glanz, ein Stück des Kuchens, möchte man sich gern mitabschneiden, wenn ein Team den Pritzker-Preis gewinnt, das man schon einmal interviewt hat, ja sogar entdeckt haben will. Letzte Woche wurde bekannt, dass Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal den Pritzker-Preis 2021 gewonnen haben. Eine überfällige Honorierung für eine zeitgemässe Architektur und Haltung: Lacaton & Vassal erachten Abbruch als Verschwendung von Energie, Material und Geschichte. Als einen Akt der Gewalt. Stattdessen bauen sie um: Mit einer leichten und preiswerten Bauweise stellen sie ein Mehr an Raum zu Verfügung. Sozialwohnungsbauten in Bordeaux und Paris wurden transformiert und zwar mit dem Zwiebelprinzip, das heisst, mit mehreren Schichten aus Vorhängen, Schiebefenstern und Polycarbonatplatten. Damit wird der bescheidene Wohnraum um einen Wintergarten erweitert, der an warmen Tagen bewohnbar ist, und die Räume dahinter sind low-tech thermisch gedämmt.

Dieser Wintergarten wurde schon bei der Maison Latapie in Floirac bei Bordeaux (1993) zum entwurfsentscheidenden Element – ein Wohnnzimmer sur l’herbe frei nach Édouard Manet und in Anlehnung an den Titel des Interviews, das Andreas Ruby mit Jean-Philippe Vassal in wbw-4-2002 führte. Vor 19 Jahren also erklärte der spätere Pritzker-Preisträger (wo war damals eigentlich Anne Lacaton?) in unserem Heft, dass ihn das Wohnen im Freien der Touareg in der afrikanischen Wüste fasziniert hat, und dass der Wintergarten dies in die mitteleuropäische Klimarealität zu übersetzen vermag: «Wir verstehen Architektur eher wie die Schichten von Kleidung auf der Haut. Ist es draussen warm, trägt man nur ein leichtes Hemd. Wenn es etwas frischer wird, zieht man einen Pullover drüber. Später nimmt man auch noch einen Mantel, weil es kühl wird, dann noch einen Regenmantel, weil es zu regnen anfängt, und zu guter Letzt einen Regenschirm, um seine Haare gegen Wind und Nässe zu schützen. Genauso besteht auch ein Haus aus sukzessiven Schichten, die das Leben bekleiden, das sich unter seinem Dach ereignet.»

— Jenny Keller
Maison Latapie in Floirac
© Philippe Ruault
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