Article from 1/2–2025

Agitieren für den Erhalt

Widerstand gegen den Abriss des alten Stadttheaters in Basel

Dorothee Huber

Lucius und Annemarie Burckhardt-Wackernagel waren familiär eng mit der Stadt Basel verbunden und haben sich in Debatten zu deren Entwicklung eingemischt – und nicht selten Planungen bekämpft. Eine Schlüsselstelle städtebaulicher Auseinandersetzungen ist der Theaterplatz, wo sie sich für den Erhalt und Umbau des alten Theaters eingesetzt haben.

Im Jahre 1969 erschienen gleich zwei Architekturführer der Schweiz. Die Autorinnen und Autoren, hier Lucius und Annemarie Burckhardt mit Diego Peverelli, dort Florian Adler und Hans Girsberger, schrieben die Architektur der jüngsten Gegenwart in die geschichtliche Erzählung ein, die Epoche der Nachkriegsarchitektur nahm allmählich schärfere Kontur an.1 Das 1975 ausgerufene Europäische Jahr für Denkmalpflege und Heimatschutz markiert eine Wende: Weite Kreise der Bevölkerung wurden auf die seit den Boomjahren anhaltende Zerstörung von schutzwürdigen Bauten aufmerksam. Die griffige Formel: Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war in Europa mehr historische Bausubstanz zerstört worden als im Krieg selbst. Mit der historisch ausgreifenden Betrachtung wurde um 1970 der Boden für eine Neuausrichtung von Theorie und Praxis der Architektur in der Schweiz bereitet. Ein gutes Beispiel für diesen Umschwung sind die Debatten zum Theaterplatz in Basel.

Und mittendrin: Annemarie und Lucius Burckhardt

Am 6. August 1975 wurde der Altbau des Stadttheaters gesprengt. Anders liess sich der in Stahlbeton konstruierte markante Bau an der Ecke von Steinenberg und Theaterstrasse nicht beseitigen. Sein Vorgängerbau von 1875 war rund 30 Jahre später abgebrannt und in gleicher Art als Betonkonstruktion wieder aufgebaut worden. Der Neubau von Schwarz Gutmann Gloor mit dem markanten Hängedach des Ingenieurs Heinz Hossdorf, aber auch die Parkgarage und die umgebenden Plätze waren zu diesem Zeitpunkt praktisch fertiggestellt, die festliche Eröffnung des neuen Hauses auf den 3. – 5. Oktober 1975 angesetzt.2

Zum Auftakt des Projektwettbewerbs 1963 für den Neubau des Stadttheaters hatte Lucius Burckhardt im Werk eine scharfe Analyse des historistischen Ensembles als «Kulturzentrum» am Steinenberg publiziert.3 Für einmal ganz Kunsthistoriker, untersuchte er das neubarocke Ensemble von Johann Jakob Stehlin d. J. aus seinen Ursprüngen in der Tudorgotik: keine der nüchternen Handelsstadt Basel fremden grossen Symmetrieachsen, kein Monumentalismus, sondern ein fein ausgewogenes Ensemble von (ursprünglich) vier freistehenden Grossbauten, die in die aufgelassenen Areale des Barfüsser- und des Steinenklosters eingefügt wurden.

Der vierte Stein in diesem Ensemble von Kunsthalle (1869 – 72), Theater (1874 / 1875) und Musiksaal (1875 / 1876), die Steinenschule (1876), war für den Neubau des Theaters bereits 1969 abgebrochen worden. Das gleiche Schicksal ereilte 1975 die zum Umfeld gehörende Kleinkinderschule und drohte selbst der neugotischen Elisabethenkirche.4

Als Lucius Burckhardt 1963 das Stehlin’sche «Kulturzentrum» als bedeutende städtebauliche Leistung im Werk würdigte, tat er das als Redaktor der Zeitschrift. Hier einen Beitrag über ein historistisches Ensemble zu publizieren, mag für manche überraschend gewesen sein. Burckhardts Einsatz gegen den Basler Korrektionsplan (1949), den Abbruch der Aeschenvorstadt (1950) und den fehlgeleiteten Gesamtverkehrsplan (1969) erfolgte teils in Übereinstimmung mit den Bestrebungen des Basler Heimatschutzes, dessen erstes Anliegen die Erhaltung der Altstadt war, teils in Opposition zu diesem. Die den Bau des neuen Stadttheaters 1969 – 75 begleitenden Diskussionen mögen die zum Teil widersprüchlich erscheinende Auffassung Burckhardts (Duldung des Neubaus – Einsatz für den Altbau) verdeutlichen.

Burckhardt und Gutmann auf dem Canapé

Die Burckhardts kämpften für den Erhalt und den Umbau des alten Theaters und waren gleichzeitig mit den Architekten des Neubaus befreundet. Burckhardt lehrte mit Gutmann an der ETH Zürich auf dem sogenannten Lehrcanapé. Solche neuartigen Lehrformate waren eine Antwort auf die Studentenrevolte und das aus Studentenkreisen 1969 provozierte und an der Urne erfolgreiche Referendum gegen das neue ETH-Gesetz.5 Den formellen Rahmen bot die sogenannte Experimentierphase – eine Denkpause, wie ein damals beliebter Begriff lautete.6 Die Studierenden der Architektur forderten Mitbestimmung, interdisziplinär angelegte Lehrformate, Team-Teaching und Gruppenarbeiten statt «Entwurfsakademismus». «Bösartige Probleme» wurden identifiziert und angepackt, praxisnah, kritisch und experimentell, in Seminaren und auf Exkursionen.7 An der Abteilung Architektur hielten neue Disziplinen Einzug ins Lehrprogramm, allen voran die Soziologie und – mit verschobenen Akzenten – die Kunst-, Architektur- und Städtebaugeschichte. Auf dem von 1970 – 73 während sechs Semestern geführten Lehrcanapé nahm neben Lucius Burckhardt als Soziologe auch Rolf Gutmann als Architekt Platz und – nachdem sich Gutmann zurückgezogen hatte – Rainer Senn aus Basel. Diese Experimentierphase wurde, so die Einschätzung der Akteure, – auch mit dem Umzug der Architekturschule auf den Hönggerberg – abgewürgt. Und nichtsdestoweniger haben sich in der Folgezeit manche hier erprobte neue methodische, didaktische und inhaltliche Ansätze in Lehre und Praxis von Hoch- und Ingenieurschulen (Technikum, später Fachhochschule) etabliert.8

Weggefährten

Lucius Burckhardt (1925 – 2003) und Rolf Gutmann (1926 – 2002) verband eine langjährige kollegiale Zusammenarbeit bei unterschiedlichen Gelegenheiten. Schon in den Manifesten achtung: die Schweiz (1955) und die neue Stadt (1956) wirkte Gutmann als Mitarbeiter. Nach einer Lehre im Büro von Ernst F. Burckhardt in Zürich, dem Besuch des Technikums Winterthur und Kursen an der ETH hatte Gutmann 1949 – 56 im Büro von Otto H. Senn in Basel gearbeitet. 1956 gründete er ein Büro mit Felix Schwarz in Zürich (ab 1964 mit Partner Frank Gloor, ab 1970 mit Hans Schüpbach). Erste Erfolge feierte das Büro mit Preisen bei Theaterwettbewerben (1959, Opernhaus Zürich, 2. Preis; 1960/1961, Stadttheater St. Gallen, 2. Preis). 1962 beteiligte sich Lucius Burckhardt mit Schwarz Gutmann an der Modellplanung Hamburg-Bergstedt. Im Büro Schwarz Gutmann Gloor figurierte Burckhardt zeitweise gar als Partner.9 1963 errangen Schwarz Gutmann Gloor den 1. Preis im Wettbewerb für das Stadttheater Basel. Schon 1957 – 61 hatte Gutmann als Assistent von Alfred Roth an der ETH gearbeitet. 1961 holte Roth als Dekan auch Lucius Burckhardt von Ulm mit einem Lehrauftrag für Soziologie an die ETH. Auch Gutmann erhielt 1968 / 1969 einen Lehrauftrag, bevor er mit Burckhardt 1970 /1971 als Gastdozent das Lehrcanapé bestritt. Der Soziologe lehrte nun gleichberechtigt an der Seite des Architekten. Burckhardt hinterfragte eingespielte Muster. Gutmann brachte nicht nur Baupraxis, sondern auch ein weitgespanntes Netz von Beziehungen zu den CIAM, zu Team X und zur Theaterwelt in die Arbeitsgemeinschaft ein. Auch seine Kontakte zu Architektinnen und Architekten in der DDR waren für seine Schweizer Kollegen und das Lehrcanapé wertvoll.

Was wohl Burckhardt und Gutmann aneinander geschätzt haben mögen? Beide begründeten ihre Arbeit – Forschung, Lehre und Praxis – politisch. Beide massen die Ergebnisse ihres Einsatzes am Wert für die Gemeinschaft. Auf die Herausforderung der um 1970 aufgeworfenen neuen Fragen antworteten sie indessen unterschiedlich. Burckhardt äusserte Zweifel daran, ob sich Umwelt-, Verkehrs- und Planungsprobleme mit baulichen Mitteln anpacken liessen. Gutmann vertraute auf Architektur und baute weiter, getragen vom Optimismus einer Moderne, die ihm in keinem Moment fragwürdig schien.

Neues Theater für Basel

Der 1963 entschiedene Wettbewerb war nicht das erste Verfahren, den Theaterplatz in Fragen des kollektiven und kulturellen Lebens der Stadt weiterzudenken. 1952 war ein erster öffentlicher Ideenwettbewerb und 1953/1954 ein Projektwettbewerb für ein kulturelles Zentrum am Steinenberg ausgeschrieben worden. Der Architekt Hans Schmidt lieferte im Werk die historischen und städtebaulichen Grundlagen.10 Mit Ausnahme der Elisabethenkirche standen sämtliche Bauten auf dem Areal zwischen Steinen- und Klosterberg, Elisabethen- und Theaterstrasse zur Disposition.11 Das Ergebnis vermochte die Jury nicht vollends zu befriedigen, doch war hier erstmals die grundlegende städtebauliche Neuordnung des Areals im Stadterweiterungsgebiet zwischen erster und zweiter Stadtmauer untersucht worden.

Das Siegerprojekt von Schwarz Gutmann Gloor im folgenden Wettbewerb von 1963 liest sich als konsequente Weiterentwicklung der zehn Jahre zuvor erprobten Ansätze. Die Ausbildung des Theaterneubaus als Stadtlandschaft, als Ausweitung des in die Südwestecke des Areals gerückten Hauptbaus des Theaters über Plätze auf vier Niveaus und Treppen bis an den Steinenberg und die Elisabethenstrasse eröffnet eine neuartige städtebauliche Sicht auf den öffentlichen Raum in der Altstadt. Das neue Stadttheater kennt keine Rückseite, es spricht gewissermassen nach allen Seiten. Der neu gewonnene Theaterplatz reiht sich in die Platzfolge von Schifflände, Marktplatz und Barfüsserplatz und interpretiert diese neu als verkehrsarme innerstädtische Wegverbindung. Die einprägsame Figur des Theaters mit seinem spektakulären Hängedach spielt den Blick auf die Elisabethenkirche frei und kündet vom Aufbruch in eine neue Ära eines experimentierfreudigen Theaterbetriebs.

Die Burckhardts: Widerspruch!

Ende 1973 lancierten Lucius und Annemarie Burckhardt eine Kampagne zum Erhalt des alten Stadttheaters. Sie fanden Unterstützung in Kreisen des Basler Heimatschutzes, des Werkbunds, der Freiwilligen Basler Denkmalpflege, des Basler Kunstvereins sowie namhafter Einzelpersonen.12 Sie legten ihre Argumente in der Basler Presse dar: Das verbliebene Ensemble des Stehlin’schen Kulturzentrums würde durch den Abbruch des Theaters gänzlich zerstört. Die neu angelegten Plätze vermitteln städtebaulich ungenügend zum abfallenden Steinenberg und der Theaterstrasse. Mit dem Altbau ginge zudem ein gut erhaltenes Bauwerk verloren, das sich interessant umnutzen liesse – zu überschaubaren Kosten.13 Gut gerüstet mit städtebaulichen, architekturgeschichtlichen, denkmalpflegerischen und ökonomischen Argumenten entwarfen sie eine Umnutzung des Altbaus als Passagenhaus, das mit einer Markthalle, Boutiquen, Buchhandlung, Spielsalon und Cafés besser zu einer lebendigen Innenstadt beitragen könnte als ein schiefer Platz über einer Tiefgarage.

Die im Frühjahr 1975 in Rekordzeit gesammelte Initiative verlangte den Verzicht auf den Abbruch und eine Denkpause. Regierung und Parlament stellten sich indessen auf den Standpunkt, dass mit der Bewilligung des Projekts und des Baukredits 1967 auch der Abbruch des Altbaus gutgeheissen worden sei. So gingen am frühen Morgen des 6. August 1975 die Sprengmeister ans Werk.

Der Widerstand von Annemarie und Lucius Burckhardt galt nicht dem neuen Stadttheater von Schwarz Gutmann Gloor, sondern richtete sich gegen den unnötigen Abriss des Altbaus. Die Schnittzeichnung durch den Neubau offenbart: Er hätte zweifelsohne Platz gehabt vor dem Neubau. Neu und Alt produktiv zusammenzudenken, sollte künftig zu einer vornehmen Aufgabe für alle Beteiligten werden.

Dorothee Huber (1952) studierte Kunstgeschichte an der Universität Basel. 1991 – 2017 war sie Dozentin für Architekturgeschichte am Institut Architektur FHNW Muttenz. Sie ist Verfasserin des massgeblichen Architekturführers von Basel: Architekturführer Basel, Christoph Merian Stiftung, S AM Schweizerisches Architekturmuseum (Hg.), Basel 2014.

1 Lucius Burckhardt, Annemarie Burckhardt, Diego Peverelli (Hg.), Moderne Architektur in der Schweiz seit 1900, Verlag Werk (8 Faltblätter), Winterthur 1969; Florian Adler, Hans Girsberger, Olinde Riege (Hg.), Architekturführer Schweiz, Zürich 1969.
2 Regierungsrat Basel-Stadt (Hg.), Stadttheater Basel, Festschrift zur Eröffnung, Basel 1977.
3 Lucius Burckhardt, «Johann Jakob Stehlin der Jüngere und sein Basler ‹Kulturzentrum›», in: Das Werk 12–1963, S. 464 – 68.
4 Erst 1988 wurde die Elisabethenkirche als eines der schweizweit wichtigsten Zeugnisse der Neugotik in Denkmalverzeichnis aufgenommen.
5 Das neue ETH-Gesetz lancierten Politiker und die Organe der Hochschule als administrative Notwendigkeit und waren erstaunt, als dem Gesetz unerwartet heftiger Widerstand von Seiten der Studierenden erwuchs.
6 David Gugerli, Patrick Kupper, Daniel Streich, Die Zukunftsmaschine, Konjunkturen der ETH Zürich 1855 – 2005, Zürich 2005.
7 Canapé News 29, Experiment-Canapé, Schlussbericht, Zürich 1973.
8 Roland Züger, «Experiment Lehrcanapé 1970 –73: müssen Architekten Marx lesen?», in: trans, Publikationsreihe des Fachvereins der Studierenden am Dep. Architektur der ETH Zürich, 2005, Heft 14., S. 112 – 117. – Silvan Blumenthal, Das Lehrcanapé, Lucius Burckhardt und das Architektenbild an der ETH Zürich 1970 – 1973, Basel 2010.
9 Annemarie Burckhardt äusserte sich zur Trübung des Verhältnisses ihres Mannes zu Rolf Gutmann im Gespräch mit Ueli Mäder: «Das hat sich nicht mehr eingerenkt. Die Wege gingen auseinander.» Vgl. Ueli Mäder, Hector Schmassmann, Peter Sutter et al. (Hg.), Raum und Macht, Zürich 2014, S. 81.
10 Hans Schmidt, «Voraussetzungen und Ergebnisse des Wettbewerbs», in: Das Werk 4–1954, S. 122 – 27.
11 In einer Variante galt dies auch für die Elisabethenkirche.
12 Annemarie Burckhardt betreute als Vorstandsmitglied des Basler Heimatschutzes das Vereinsorgan Heimatschutz liest für Sie 1972 – 82. Sie öffnete das Blatt internationalen Debatten und verlieh ihm in seiner grafischen Erscheinung aktivistische Züge.
13 Lucius Burckhardt, «Das Basler Kulturzentrum», in: Schweizerische Bauzeitung 22–1965, S. 355 – 356. – Annemarie Burckhardt, Heimatschutz liest für Sie 10–1974 und 13–1975. – «Umfrage unter Baufachleuten und Heimatschützern», in: Nationalzeitung 2.11.1973. – «Abbruchtheater?», in: Basler Nachrichten, 31.5.1975; hier wird Lucius Burckhardt auch als Planungskonsulent im Büro Schwarz Gutmann Gloor bezeichnet.

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