Article from 11–2024

Kantine statt Küche

Das LeNa-Haus in Basel von Baumann Lukas und Scheibler & Villard

Daniel Kurz, Boris Haberthür (Bilder)

Ein Koch hat die Bau- und Wohngenossenschaft LeNa mitbegründet. Entsprechend prägten Räume für das gemeinsame Essen den Entwurf für das neue Wohnhaus im Basler Westfeld.

Ein stattlicher, rosa gefärbter Block besetzt die Front an der verkehrsreichen Burgfelderstrasse; am Eck empfängt ein Blumenladen die Besuchenden, und eine breite, gepflasterte Gasse führt in die Tiefe des Geländes. Ihre rechte Seite säumen vier kleinere Gewerbepavillons, auf der linken erhebt sich die hohe, rot gefärbte Front des städtischen Blocks, dessen Sockel mit vortretenden Stützen eine Kolonnade andeutet. Velos und Kinderwagen sammeln sich davor, Tische und Stühle besetzen den öffentlichen Raum, die typischen Tibetfähnchen flattern im Wind und verkünden: Hier wird in Gemeinschaft gewohnt.

Mit dem Westfeld ist der eigens gegründeten Genossenschaft Wohnen & Mehr in Basel ein überzeugender städtebaulicher Beitrag gelungen. Mit entspannter Lockerheit schufen die Planenden – Enzmann Fischer und Lorenz Eugster – ein offenes, urban anmutendes Stadtquartier aus sperrigen Solitären, vier Pavillons und einer Abfolge von grosszügigen, höchst unterschiedlichen Freiräumen mit alten und neu gepflanzten Bäumen. Hier finden sich ein Denner und ein Fitnesscenter genauso wie ein Bio-Bistro, Kinderkrippen und ein Pro-Senectute-Laden, allerlei Gewerbe und vor allem rund 500 genossenschaftliche Wohnungen. Einen zentralen Baustein dieses Quartiers, seinen harten Kern sozusagen, bildet die Genossenschaft LeNa, deren Haus einen grossen Teil des städtischen Blocks ausmacht; LeNa steht für Lebenswerte Nachbarschaft. Scheibler & Villard und Baumann Lukas Architektur haben es entworfen, die Baugenossenschaft Wohnen & Mehr liess es erbauen. LeNa ist Bestellerin und Generalmieterin des Gebäudes mit fast 200 Bewohnerinnen und Bewohnern. In Farbe und Struktur gleicht der Neubau zwar seinen Nachbarn, mit seiner lebhaften Fassadenabwicklung setzt er sich zugleich von ihnen ab: Über dem zweigeschossigen Sockel aus Beton kragen hohe Erker aus, doppelgeschossige Balkon-nischen greifen dazwischen bis in den Sockel hinab. Rotes Welleternit verstärkt die Bewegtheit der Fassade – harte, klare Linien sammeln sie wiederum in eine tektonische Ordnung ein.

Die Cantilena ist Herz und Seele

Mit einem grossen, mittig gelegenen Portal öffnet sich das Haus zum Platz. Doch hinter der breiten Doppeltür findet man nicht Briefkästen, sondern tritt in ein öffentliches Restaurant, das zugleich Herz und Seele des LeNa-Hauses bildet: die Cantilena. Sie wirbt um Gäste aus der Umgebung genauso wie um solche aus dem Haus, bietet Gemeinschaftsgastronomie und gepflegte Vegi-Küche, ist Café, Bar, Gemeinschaftsraum und Speisesaal in einem – und muss sich wirtschaftlich selbst tragen. Das ist herausfordernd, zumal die kantonale Behörde die abendlichen Öffnungszeiten extrem eingeschränkt hat. Der grosse Raum mit seiner hohen Betondecke, den türkisfarbenen Einbauten und dem zusammengewürfelten Mobiliar wirkt freundlich, fast privat.

LeNa ist mehr als eine Wohngenossenschaft, die «Lebenswerte Nachbarschaft» ist ein grosser Haushalt, der aus vielen kleinen besteht, eine echte Gemeinschaft, die so viel wie möglich teilt, um gemeinsam nicht mehr als nötig zu verbrauchen. Eine Gemeinschaft, die das Private respektiert, aber ihren Luxus im Kollektiven findet. Die Raumökonomie des Gemeinschaftswohnens besagt: Wer teilt, bekommt mehr. Der private Wohnraum ist begrenzt, doch im Gegenzug hat man Anteil an zahlreicheren und grösseren Räumen, als sie eine Privatwohnung bieten könnte: Gemeinschaftsräume, Terrassen, Gästezimmer und vieles mehr. «Eine Nische», sagen manche, «ein Modell für die Zukunft», sagt LeNa.

«LeNa bringt im Westfeld-Areal einen besonderen Anspruch zum Tragen», erklärt Roger Portmann, Koch, Aktivist, Betreiber der Cantilena und treibende Kraft bei der Gründung und Realisierung der Genossenschaft. «Wir kamen als funktionierende Gruppe in den Neubau. Die Leute waren schon in Beziehung miteinander, kamen mit einem genossenschaftlichen Projekt. Das merkt man, es lebt viel mehr hier bei uns als im Schiff, dem umgebauten Spital» (vgl. Umbau Felix Platter-Spital in: wbw 10–2023, S. 30 – 37).

Ein wichtiges Anliegen von LeNa ist die Ernährungssouveränität, die gemeinschaftliche Versorgung mit Lebensmitteln aus nachhaltiger Produktion gleichgesinnter Landwirtschaftsbetriebe. «Solawi» heisst das, solidarische Landwirtschaft. Von ihr zeugt das Lebensmitteldepot direkt neben der Cantilena im Erdgeschoss. Jedes LeNa-Mitglied hat das Recht und die Pflicht, sich zu beteiligen. Der Mindestbezug von 720 Franken im Jahr kann wahlweise als Gutschein bei der Cantilena oder beim Lebensmitteldepot eingelöst werden.

Architektur der Gemeinschaft

Der Haupteingang an dem urbanen Gassenraum erschliesst nicht nur die Cantilena, sondern auch das Lebensmitteldepot, den Waschsalon, einen Raum für Kinderspiel und das Büro der Genossenschaft. Jedoch nicht, oder nur indirekt, die Wohnungen selbst: Das übergeordnete städtebauliche Konzept hat die Hauseingänge an den stillen, begrünten Innenhof des Stadtblocks gelegt, im Schutz der breiten Balkonschicht, die alle Häuser gleichförmig umfasst. Die Absicht dabei war, die Gemeinschaft des ganzen Blocks zu stärken.

Für das LeNa-Haus ist dieser Wechsel nicht optimal. Denn hier finden sich gemeinsam genutzte Räume nicht nur im EG, sondern auf allen Geschossen, bis zuoberst auf dem Dach. Die Typologie setzt auf eine kontrollierte Durchdringung von privaten und gemeinschaftlichen Bereichen entlang einer klaren Abfolge von öffentlichen, gemeinschaftlichen und privaten Bereichen. «Allein sein dürfen, aber nicht müssen», ist ein Leitsatz der Genossenschaft.

Die Privatwohnungen sind vergleichsweise klein (der Wohnflächenverbrauch ist bewusst begrenzt auf 25 – 32 m2 pro Person) – aber sorgfältig gestaltet. Sie bieten geschützte Privatsphäre, einfache Bäder ohne Wanne und minimal ausgestattete – dafür aus leimfreiem Holz gefügte – Küchen. Wer hofseitig wohnt, hat Anteil an der durchlaufenden Balkonschicht. Das Angebot umfasst alle erdenklichen Wohnungstypen: Ein-, Zwei-, Drei-, Vier- und Fünfzimmerwohnungen und auch Cluster mit kleinen Wohneinheiten an einer Gemeinschaftsküche. Entsprechend durchmischt ist die Altersstruktur der Genossenschaft: Familien mit Kindern, Studierende und nicht wenige ältere Menschen. Ein erweitertes «Gemeinschafts-Entrée» sammelt auf jeder Geschosshälfte die Eingänge von vier bis sechs Wohnungen. Leider ist dieser Schwellenraum gleichzeitig Begegnungszone, aber auch Fluchtweg – und daher nur beschränkt möblierbar.

Die vielspännige Erschliessung ist ein Ort der Begegnung, – die Gemeinschaft bildet sich buchstäblich im Vorbeigehen. Die Treppenhäuser sind entsprechend geräumig und hell, die Betonwände und Geländer rot getönt, ebenso wie die englisch verlegten Keramikplatten. Vor allem aber verbindet jede Treppe eine ganze Reihe von gemeinschaftlichen Räumen mit raumhohen Glaswänden, die Licht ins Treppenhaus bringen: die Gemeinschaftsbalkone – meist zweigeschossig – mit Blick auf die Gasse, sodann wichtige Räume wie die doppelgeschossige Gemeinschaftsküche oder die «Sternenbar» und schliesslich eine grosse Zahl von «Initiativräumen» zur gemeinschaftlichen Aneignung. Auf Initiative von Bewohnergruppen entstanden zum Beispiel die Bibliothek, das Nähatelier, ein Leise-Raum und ein Coworking-Büro. Dazu kommen, angelagert an das Treppenhaus, Gästezimmer sowie ein überaus gediegenes Gemeinschaftsbad mit Aussicht – und zwei freistehenden Badewannen. Möbliert sind diese Räume aus dem Fundus der Bewohnenden, die vorher meistens mehr individuellen Platz hatten und daher jetzt zu viele Stühle, Sofas und Regale mitbringen. So ergibt sich eine nonchalante, aber durchaus wohnliche Atmosphäre in der Kantine und in den anderen gemeinsamen Räumen und Loggien.

«Wo man hinkommt, trifft man Leute.»

Je eigene Betriebsgruppen übernehmen jeweils den Betrieb dieser Räume – es wird erwartet, dass die Bewohnenden rund 52 Stunden pro Jahr Gemeinschaftsarbeit leisten, bei manchen sind es wesentlich mehr. In dem soziokratischen Organisationsmodell, dem LeNa folgt, übernehmen solche Gruppen viele Aufgaben, so dass Initiative und Verantwortung für das Ganze breit getragen werden. Ein Koordinationskreis fällt die zentralen Entscheidungen.

Das Programm der gemeinschaftlichen Räume erscheint nicht nur vielfältig, sondern fast ein wenig überbordend – diesen leisen Zweifel äussert Roger Portmann: «Für unsere Grösse sind eher zu viele Räume zu betreiben.» Umso positiver überrascht ist er vom Erfolg der «Vergemeinschaftung», wie er sagt, vom aktiven Gemeinschaftsleben. «Ich dachte, das braucht viel mehr Anstrengung, viel mehr Moderation. Doch die Leute, die hier einzogen, hatten am Anfang vielleicht fast mehr Schwierigkeiten, sich ins Private zurückzuziehen. Wo man hinkommt, trifft man Leute.»

LeNa – Lebenswerte Nachbarschaft
Das Modell von LeNa stützt sich – ganz ähnlich wie etwa Warmbächli in Bern oder Kalkbreite in Zürich – auf das Konzept grosser, teilweise selbstversorgender Nachbarschaften. Hans Widmer («P.M.») hat dies 2008 in seiner Schrift Neustart Schweiz – So geht es weiter umrissen. Das Modell postuliert neue, urbane Nachbarschaften (500 bis 800 Personen) in dichter Bau- und Wohnweise (AZ > 200 %, 20 m² individuelle Wohnfläche pro Person) mit sehr viel Austausch und Selbstversorgung als Kristallisationskerne einer nachhaltigen Gesellschaft. Dicht, um Vielfalt (an Menschen und an Angeboten) zu ermöglichen, aber nicht zu gross, so dass Verbindlichkeit stark bleibt. Jede städtische Nachbarschaft wählt ihre Versorgungspartner, z.B. landwirtschaftliche Betriebe. Man hilft sich gegenseitig: soziale Landwirtschaft, Solawi. So bleiben die Wege kurz, die Beziehungen solidarisch, der Austausch persönlich. Die Nachbarschaft soll der Zersiedelung genauso entgegenwirken wie der sozialen Vereinzelung und der Abhängigkeit von globalen Märkten.1

Daniel Kurz (1957) war 2012–21 Chefredaktor dieser Zeitschrift. Er leitete 2022–23 die Redaktion des Swiss Architecture Yearbook SAY 2023.

1 Vgl. z.B. P.M., Neustart Schweiz, So geht es weiter, Solothurn 2008 und www.neustartschweiz.ch/files/publikationen/Neustart-Schweiz-Nachbarschaften-entwickeln.pdf (abgerufen am 4.10.2024)

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