Anette Freytag, Dieter Kienast und Georg Aerni (Bilder)
Von der Gärtnerei zum Sehnsuchtsraum: Drei Jahrzehnte lang gestaltete Dieter Kienast den Garten seiner Familie immer wieder um. Er erprobte und reflektierte dabei Ideen, die ihn zum einflussreichsten Landschaftsarchitekten seiner Generation machten.
An keiner anderen Anlage hat der Schweizer Landschaftsarchitekt Dieter Kienast (1945-98), der besonders im deutschsprachigen Raum in den 1990er Jahren eine neue Generation von Gestalterinnen und Gestaltern prägte, über so viele Jahre gearbeitet wie am Garten seiner Familie in Zürich. Dort, im frei verfügbaren Aussenraum an der Thujastrasse im Stadtteil Wollishofen, konnte er verschiedene Gestaltungsweisen erproben. Der sich stetig verändernde Garten zwischen zwei Mehrfamilienhäusern legte daher auch Zeugnis vom Wandel in Kienasts Schaffen als Landschaftsarchitekt seit den 1970er Jahren ab. Nach seinem frühen Tod 1998 pflegte dessen Frau Erika Kienast-Lüder den Garten weiter bis zum Verkauf der gesamten Anlage 2016. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie den vom promovierten Pflanzensoziologen geliebten stickstoffreichen Säumen und der von ihm gefeierten Spontanvegetation – im Volksmund als Unkraut bekannt – weniger Hingabe schenkte als er.
Die Geschichte des Gartens lässt sich zu seinen Lebzeiten in drei Phasen gliedern: Bis 1977 wurde das Grundstück von den Eltern Dieter Kienasts als Gärtnerei bewirtschaftet – mit Frühbeeten, Pflanzbeeten, Kastenanlage, Gewächshaus und Schuppen. Die fünfköpfige Familie wohnte vor Ort, in dem östlichen und damals einzigen der beiden Häuser. Es gab zudem ein Ladenlokal an der Thujastrasse. Durch den am Ende der Strasse gelegenen Friedhof Manegg hatte die Gärtnerei zudem viel Laufkundschaft. Aus dem Untergeschoss des Wohn- und Geschäftshauses konnte man direkt zu den Beeten, Gewächs- und Treibhäusern gelangen. Bis zum Verkauf der Anlage fanden sich im Garten Spuren der professionellen gärtnerischen Aktivität – wie das Gewächshaus, ein Frühbeet oder eine Zisterne. Nach Schliessung der Gärtnerei 1977 wurde auf dem Grundstück ein Mehrfamilienhaus errichtet, in dessen unteres Geschoss Dieter Kienast mit seiner Familie einzog. Das verbleibende Gelände wurde in einen naturnahen Garten umgewandelt, mit einem artenreichen Feuchtbiotop, Feuerstelle, Sandspielplatz, einem Gemüse- und Kräutergarten und kleinen Sitzplätzen. Ziel der 1976 von Kienast projektierten Umgestaltung war «eine optimale und intensive Nutzung des äusserst knapp bemessenen Freiraums.»1 Seit der Erweiterung des Büros Stöckli + Kienast zu Stöckli, Kienast & Koeppel im Jahr 1987, in dem auch Günther Vogt in das Büro eintrat, arbeitete Kienast ausschliesslich im Untergeschoss des Stammhauses, in den Räumen der ehemaligen Gärtnerei mit direktem Zugang zum Garten. Erika Kienast-Lüder wirkte seit 1980 an seinen Projekten mit, die Töchter Nicole und Fabienne wurden später regelmässig zum Kolorieren der kunstvoll handgezeichneten Präsentationspläne eingeteilt. Berufs- und Privatleben, Arbeit und Freizeit gingen ineinander über.
Mitte der achtziger Jahre begann die dritte Phase der Gestaltung des Gartens, belegt durch einen Plan von 1985 und einen vermutlich hinterher in Vorbereitung für die erste Ausstellung der Arbeiten des Büros 1991 angefertigten Plan.2 Beide dokumentieren die tiefgreifende Veränderung des Gartens in dieser Zeit: Vom Feuchtbiotop zu einem von Formschnitt umstandenen Keramikmosaik, das Erika und Dieter Kienast gemeinsam gestalteten, vom naturnahen Garten zu einer Komposition aus Kiesflächen, geschnittenen Hecken und Bäumen und mit Buchsbordüren eingefassten Staudenbeeten. Trotzdem wurden in jeder Phase Spuren des älteren Zustands in die Gestaltung miteinbezogen, sodass der Garten, wie Kienast es ausdrückte, «ein Teil der gebauten und gewachsenen Lebensgeschichte seiner Autoren» wurde.3 Den Ersatz des Feuchtbiotops erläuterte Kienast, der in seinem Garten seine Kenntnisse als Pflanzensoziologe und Gärtner vereinte, verschmitzt so: «Unsere intensiv genutzte Terrasse wird vom üppigsten und wildesten Gartenteil begrenzt, in dem nitrophile Säume ebenso gedeihen wie aus der Gärtnerei verwitterte Stauden und Gehölze. Inmitten dieser Wildnis, an der tiefsten Stelle des Gartens glänzt ein blaues Keramikquadrat. Darum herum sind zehn (noch kleine) Fabelwesen gruppiert. Früher lag hier ein verträumtes, schön entwickeltes und artenreiches Feuchtbiotop. So lange, bis die eingewanderten Enten den Teich – diesen Inbegriff an Natürlichkeit – innerhalb kurzer Zeit in eine leicht stinkende, giftgrüne Kloake verwandelt haben.»4
Obwohl die in der Gartengeschichte gängige Einteilung eines Gartenraums in funktionale Bereiche für Alltagsnutzungen, sonnige Bereiche mit Stauden oder Topfpflanzen und schattige Bereiche mit dichtstehenden Bäumen und Wildwuchs beibehalten wurde, war die Veränderung von 1979 bis 1985 doch grundsätzlicher Art. Der Umbau erfolgte von 1983 an etappenweise und ohne einen Gestaltungsplan, ausgeführt in den Semesterferien von drei Studenten Kienasts am Interkantonalen Technikum Rapperswil (heute Ostschweizer Fachhochschule): Daniel Ganz, Christoph Gasser und Günther Vogt. Bei der Anleitung, wie der Garten umzugestalten sei, setzte Kienast seine neu entwickelte Methode der Kontrastierung und Gegenüberstellung ein: «Gebautes zu Gewachsenem, helle sonnige Bereiche zu schattigen kühlen, harte Beläge zu weichen, Ruderalvegetation zu Kübelpflanzen, frei wachsende Bäume zu geschnittenen Bäumen, Künstlichkeit zu Natürlichkeit.»5 Mit diesen Kompositions- und Wirkungsstrategien, die das sinnliche Erleben einer Anlage forcieren sollten, arbeitete er parallel auch in anderen Werken dieser Zeit, wie dem Stadtpark Brühlwiese in Wettingen (1979–84) oder dem Kurpark Zurzach (1983–85).
Die bereits im Plan von 1976 angelegte differenzierte räumliche Organisation der aufeinanderfolgenden Bereiche wurde durch einzelne Eingriffe noch verstärkt: Kienast staffelte die Räume hintereinander und unterteilte sie mit geometrisch geschnittenen Hecken, vorzugsweise Hainbuchen, die teilweise zu regelrechten «Toren» zwischen zwei Gartenbereichen ausgeformt wurden. Er hielt jedoch punktuell längere Achsen frei, sodass weite Durchblicke und enge Raumfolgen einander abwechseln – ein in der Gartenarchitektur häufig angewandtes Verfahren, um den Betrachter in seiner Wahrnehmung der Anlage über deren tatsächliche Ausdehnung hinwegzutäuschen. Auch in die Höhe wurde gestaltet und damit der Anlage Rechnung getragen, denn die Mehrfamilienhäuser haben Ausgänge auf zwei Niveaus – einmal zur Thujastrasse und einmal zum deutlich tiefer gelegenen Garten. Eine Hecke und zwei Bäume, die ursprünglich einem zwischen den Häusern im Garten gelegenen Sandkasten für die Kinder Schatten spendeten, erhielten einen neuen Schnitt, durch den sich Erstere nach und nach in weitere Fabeltiere verwandelten.
Bis auf den hinteren, wilden Gartenteil wurde der gesamte Boden mit grauem Kies bedeckt. Der einheitliche Grund lässt den Garten ebenfalls grösser erscheinen, zugleich bietet er eine monochrome Folie, vor der die grünen Pflanzen besonders schön zur Geltung kommen. Denn das war eine Besonderheit des Kienast’schen Gartens, wie er seit Mitte der achtziger Jahre bestand: Es wuchsen dort ausschliesslich grüne Pflanzen, ihre Blüten waren fast ohne Ausnahme weiss – der Garten präsentiert sich in den Farben Grün, Grau und Weiss.
Die Geschichte des eigenen Gartens, was seine Nutzung und seine Gestalt betraf, war ein Spiegel von Kienasts persönlicher Entwicklung. Im Privatgarten ist er seinen wechselnden Interessen nachgegangen, hat seine Formensprache elaboriert und die Verwendung von Pflanzen erforscht. So wurden entlang des neuen Gartenzauns bei der Umgestaltung zwei metallene Stege als Verbindung zu dem im hintersten Gartenteil befindlichen Kompostierplatz gelegt. Die alte Mauer, die den tiefer liegenden wilden Garten begrenzte, blieb erhalten; zwischen Zaun und Steg wurden Farne gepflanzt, zwischen Steg und Mauer zu Kugeln geschnittene Buchse. Eine in einer Mauernische aufgestellte Bank aus den siebziger Jahren wurde der Verwitterung preisgegeben und zeugte, von Moosen überwachsen, von der langen Geschichte des Gartens.
Der Privatgarten wurde zum Versuchsfeld voller Verweise auf Eindrücke, Entdeckungen und Erfahrungen, die die Familie auf Reisen oder bei der Lektüre von Gartenbüchern in der ebenfalls im Haus an der Thujastrasse untergebrachten umfangreichen Privatbibliothek gemacht hat: so die spanisch beeinflussten Mosaike oder eben die wohl von dem Privatgarten des schwedischen Landschaftsarchitekten Sven-Ingvar Andersson (1927–2007) inspirierten geschnittenen Fabeltiere. Im Privatgarten wurde mit solchen Motiven experimentiert und das im Kleinen erprobte dann im grösseren Massstab angewandt, wie das Mosaik im Kurpark Zurzach oder die Felder aus Fabeltieren und Formschnitt im Moabiter Werder in Berlin (1990/91–2002).
Der Kienast’sche Garten veranschaulicht auf eindrückliche Weise, wie sich der Nutzungsbegriff Dieter Kienasts durch die Veränderung seines eigenen Lebensraums wandelte. Er befand seine früheren Arbeiten für ebenso alltagstauglich wie seine späteren, doch war seine Vorstellung dessen, was ein Mensch zur Alltagsbewältigung braucht, eine andere geworden. Die emanzipatorische Aneignung über Partizipationsprozesse wurde abgelöst durch die Idee des Gartens als Ort der Anteilnahme, in dem das eigene schöpferische Potenzial durch sinnliche Erlebnisse stimuliert wird: Der Garten solle das Bewusstsein schärfen und die Sinne wecken, resümiert Kienast 1990 im Text Die Sehnsucht nach dem Paradies. Darin hält er fest, dass sich der Besitz eines Gartens nicht primär über dessen Grundstücksgrösse definiere, sondern über den Grad der Auseinandersetzung mit ihm.6 Zu Letzterer gehörte für Kienast neben der physischen Gartenarbeit auch die emotionale Anteilnahme.
Anette Freytag (1971) ist Professorin für Landschaftsarchitektur an der Rutgers University, New Jersey, USA. Ihre Monografie über Dieter Kienast (gta Verlag, Zürich 2016, englisch 2021) wurde mehrfach ausgezeichnet. Forschungsschwerpunkte: Topologie, Phänomenologie, Gehen, Umweltgerechtigkeit.
1 Dieter Kienast, «Wohngrün zu Mehrfamilienhäusern in Wollishofen/Zürich», in: anthos, 4–1979, S. 10.
2 Ausstellung Dieter Kienast. Zwischen Arkadien und Restfläche, in Zusammenarbeit mit Günther Vogt, mit Fotografien von Christian Vogt, in der Architekturgalerie Luzern vom 31. Mai bis 28. Juni 1992.
3 Garten Kienast, Zürich, in: BSLA, Regionalgruppe Zürich (Hg.), Gute Gärten. Gestaltete Freiräume in der Region Zürich, Zürich 1995, S. 37.
4 Dieter Kienast, «Ohne Leitbild», in: Gaten + Landschaft, 11–1986, S. 36.
5 Dieter Kienast, wie Anm. 4, S. 35.
6 Dieter Kienast, Die Sehnsucht nach dem Paradies, in: Hochparterre 7–1990, S. 50.
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